Der letzte Wille

Autorin und Regisseurin Ulrike Grote zu ihrer neuen Serie

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Nach dem großen Erfolg von „Die Kirche bleibt im Dorf“ ist „Der letzte Wille“ Ihre neue Serie für den SWR. Sie haben sie in einem Altenheim angesiedelt, was hat Sie dazu bewogen?

Ich habe im Augenblick sehr viel mit älteren Menschen zu tun und erlebe die teilweise schmerzliche Ausgrenzung, die sie durchleben. Sei es durch verschiedene Erkrankungen, Demenz, Alzheimer, Parkinson oder auch durch große Einsamkeit und Depression. In meinem Alter haben die meisten von uns Eltern, die noch leben, aber eben nicht mehr fähig sind ihren Alltag alleine zu gestalten. Viele landen dann auch in einem Altersheim und da sieht das Leben nicht immer rosig aus. Ich denke schon lange darüber nach, wie wir eigentlich mit unseren Alten umgehen und habe mich mit Ilona Schultz, der es ähnlich ergeht dann entschlossen eine Altenheim-Serie zu erfinden.

Ihre beiden Serien sind verwandt, was den Wortwitz und die komödiantische Erzählweise betrifft, „Der letzte Wille“ hat aber auch stille, sehr anrührende Momente. War Ihnen von Anfang an klar, dass eine Serie im Altenheim auch den Freiraum fürs Innehalten haben muss?

Zu diesem Thema passen die teilweise derben Witze aus der Serie ‚Die Kirche bleibt im Dorf‘ nicht. Genauso fand ich, dass die Geschichte ein langsameres Erzähltempo braucht. Und Ilona und ich wollten unbedingt auch die Einsamkeit, Traurigkeit und Hilflosigkeit, die einen im Alter überkommen kann, mit einbeziehen. Die alten Menschen in der Serie stecken voller Ideen, sind aber manchmal auch zutiefst deprimiert, weil sie sich innerlich zwar ganz fit fühlen, der Kopf und der Körper aber oft hinterherhinken. Daran nichts ändern zu können, lässt einen durchaus verzweifeln.

Das Schöne und auch Ermutigende ist, dass Sie trotzdem mit viel Humor erzählen und die Figuren viele witzige und skurrile Seiten haben, die Alten genauso wie die Belegschaft. Das Komödiantische ist Ihnen auch bei diesem Thema wichtig, oder?

Natürlich erlebt man auch in dieser Phase des Lebens eine Fülle an komischen oder skurrilen Situationen. Wenn einem das Lachen komplett verloren ginge, wäre das ja eine Katastrophe. Und diese vielen kleinen Situationen habe ich versucht einzubauen. Der ewige Schürzenjäger, der sich immer noch für den tollsten Hecht hält, der einsame Intellektuelle, der sich auf seine alten Tage in den dementen Neuzugang verliebt. Die demente Malerin, die denkt, sie befinde sich in einem Hotel und und den Service einfach nur miserabel findet. Die Charakterstärken und Schwächen bleiben ja dieselben, man ist eben nur mit ihnen älter geworden. Wichtig ist mir dabei immer, dass die Figuren nicht verraten werden. Deswegen ist der Situations- und Sprachwitz auch nicht laut, sondern eher leise.

Es gibt wahrscheinlich niemanden, der sich freudig aufs Seniorenheim vorbereitet oder auch nur gerne mit dem Gedanken auseinandersetzt. Trotzdem die Frage, was denn für Sie ein ideales Altenheim ausmachte? Und was Lebensfreude, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit nachlässt?

Kommunikation, lebendige Beschäftigung, liebevoller Umgang, Zeit von den Pflegekräften für die einzelnen Schicksale. Ich habe viel recherchiert und mich gewundert, z. B über die Sportprogramme, die merkwürdig kindlich waren und natürlich für einen Teil der Bewohner durchaus richtig, aber eben nicht für alle. Einige sind fitter und mit diesen Programmen absolut unterfordert, andere sind sehr schüchtern und für die ist so ein Gruppenzwang gar nichts. Aber es läuft immer auf dasselbe hinaus. Bessere Bezahlung für die Pflegekräfte, sehr viel mehr Pflegekräfte, die gerne Zeit mit den Menschen verbringen oder alternative Ideen finden, wie man mit der immer älter werdenden Gesellschaft umgeht, ohne sie abzuschieben. Darüber sollten wir uns ernsthafte Gedanken machen, denn es wird uns alle irgendwann erwischen.

Am Set kam sehr viel Schauspielerfahrung zusammen, wie war die Arbeit mit dem Ensemble? Und welche Rolle spielt dabei das Haus, Ihre Villa September?

Die Arbeit war herrlich und hat allen, glaube ich, sehr viel Spaß gemacht. Das Ensemble war unglaublich gut vorbereitet, und gerade das ältere Ensemble sprühte nur so vor Ideen. Katharina Matz, eine absolute Entdeckung, kam später dazu. Und natürlich mein »Kirchen«-Ensemble, mit dem ich unbedingt weiterarbeiten wollte. Sabine Hahn, Christian Pätzold, Joachim Raaf und alle anderen haben es mir schon beim Erfinden der Figuren leicht gemacht. Die Villa ist natürlich auch eine Hauptfigur. Als ich sie das erste Mal besichtigt habe, dachte ich, das Haus ist ja genau, wie ich es im Drehbuch beschrieben habe. Als ob es nur auf uns gewartet hätte. Aber was dann mit dieser Villa passiert ist, nachdem die wunderbare Szenenbildnerin Tanja Arlt mit ihrem Team sie unter ihre Fittiche genommen hat, ist unbeschreiblich. Jedes Zimmer wurde tapeziert, gestrichen, für jede Rolle und Schauspieler passend eingerichtet. So liebevoll und genau, wie in einem englischen Kinofilm. Alles hat mit allem korrespondiert, und ich habe versucht mit dem Kameramann Thomas Vollmar die unglaubliche Arbeit von Tanja und ihrem Team sichtbar werden zu lassen.

Viel Stimmung kommt über die verwendeten Songs. Haben Sie sich da bewusst in die Zeiten versetzt, in denen die Protagonisten junge waren?

Ich wollte von Anfang an, dass die Musik aus einer anderen Zeit kommt. Als ich vor Jahren noch in Stuttgart wohnte, gab es ein kleines Kino, da kamen vormittags immer sehr alte Filme und das Kino war voll mit alten Leuten, die sich an ihre Jugend erinnerten. Natürlich sind die Comedian Harmonists älter als unsere Helden, aber ich fand es trotzdem passend.

Gegen Ende der sechs Folgen spielen diverse Gemälde eine Rolle, wer hat die gemalt?

Die Bilder haben die Künstlerin Anna Sansi und Christian Schattke aus unserem Szenenbildteam gemalt. Sie mussten die Bilder in mehreren Zuständen vorbereiten, weil die Schauspieler auch mit den halbfertigen Bildern zu sehen waren und in diesen Bildern auch selbst herummalen durften. Das war eine logistisch sehr aufwändige Aufgabe, die auch wieder liebevoll und aufwändig gestaltet wurde.

Wie wichtig ist es für Sie, vor und hinter der Kamera mit Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen es schon gemeinsame Erfahrungen gibt?

Das ist meiner Meinung nach das Allerwichtigste. Das gilt für Schauspieler und Crew. Je besser wir uns kennen, umso schneller und effektiver können wir auch mit Situationen umgehen, die unerwartet auf uns einprasseln, was ja täglich geschieht. Hier mal ein Beispiel: Wir wurden alle krank während der Dreharbeiten, das zog sich durch die ganze Drehzeit. An einem Nachmittag hatte mich die Erkältung besonders hart erwischt und ich konnte tatsächlich nicht mehr weitermachen. Die Produzentin Ilona Schultz hat den Rest des Tages mit den Schauspielern und der Crew übernommen und niemand wird heute merken, welche Szenen das denn nun waren, die sie inszeniert hat. Dieses Vertrauen kann man nur haben, wenn man die Menschen, mit denen man arbeitet, wirklich gut kennt. Ich bedanke mich noch mal sehr bei diesem unfassbar tollen Team vor und hinter der Kamera. 

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SWR