Musikstück der Woche vom 28.04.2014

"Es gibt kein Geschlecht in der Kunst"

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Cécile Chaminade: Lento aus dem Klaviertrio Nr. 2 a-Moll op. 34

Wie ein Popstar wurde diese Komponistin verehrt: um die Jahrhundertwende erreichte Cécile Chaminades erfolgreichstes Lied eine Auflagenhöhe von 200.000 Stück, es gab Postkarten mit ihrem Porträt, Toilettenartikel, die ihren Namen trugen und in Amerika gründete man sogar einen "Chaminade Club". Über 400 Werke hat sie komponiert; der langsame Satz aus ihrem zweiten Klaviertrio ist unser Musikstück der Woche. Das französische Trio Chausson hat ihn als Zugabe in seinem Bruchsaler Schlosskonzert gespielt; am 9.10.2011.

Audio herunterladen (12,7 MB | MP3)

"Mein kleiner Mozart" – so nannte Georges Bizet die junge Komponistin und Pianistin Cécile Chaminade. Sie selbst beschreibt ihren Werdegang so: "Ich habe meine Karriere nicht gewählt, sie hat sich mir von allein auferlegt. Mit drei Jahren spielte ich Klavier, ohne dass ich Noten lesen konnte. Meine Eltern, die hervorragende Musiker waren, freuten sich über dieses Talent. Dennoch hätten sie sich gewünscht, dass es nur zu meiner persönlichen Freude Nutzen hätte, zumal sie mich vor den Schwierigkeiten des Wettstreits zu schützen suchten. Aber dann erschien Georges Bizet, der sich für meine Berufung einsetzte und meine zaghaften Eltern beharrlich anhielt, sie sollten alle Mittel dafür einsetzen, damit ich mich ganz meiner Kunst widmen könne. Er war aber auch der Meinung, dass man mich nicht zu sehr drängen sollte. Meine Eltern gaben ihm nach." Die französische Zeitung Pèle-Mèle druckte dieses Interview 1912 ab, da war Cécile Chaminade 55 Jahre alt und blickte zurück auf eine große Karriere.


Mit dem Klavier durch ganz Europa
Ihre Ausbildung erhielt Chaminade außerhalb des Konservatoriums, denn dort waren Frauen nicht zugelassen. Sie studierte privat Klavier und Komposition und setzte sich schon als Jugendliche mit fast allen musikalischen Gattungen schöpferisch auseinander. Die großen Orchester ihrer Zeit spielten ihre Werke. Als Pianistin füllte Cécile Chaminade die Konzertsäle in ganz Europa: Königin Viktoria lud sie ein, zu spielen und auf Schloss Windsor zu wohnen. Jedes Jahr gab sie ein Konzert in London, tourte durch den Balkan und die Türkei, hatte Auftritte in Belgien, in der Schweiz, in Deutschland und in den USA, wo sie von Präsident Roosevelt empfangen wurde.
Der Erste Weltkrieg war ein Schock für sie und beendete abrupt ihre Karriere: Sie übernahm die Verwaltung eines Krankenhauses und zog sich selbst eine Verletzung am Bein zu. Die verheilte schlecht, und so musste ihr Bein amputiert werden. Daraufhin zog sie sich ganz aus dem künstlerschen Leben zurück. 1944 starb sie mit über 80 Jahren in Monte Carlo.


Zur Musik
"Es gibt kein Geschlecht in der Kunst. Genialität ist eine selbstständige Eigenschaft. Die Frau der Zukunft, mit ihrem Weitblick und ihren größeren Möglichkeiten, wird weit kommen, denke ich, was kreative Arbeit in jeglicher Hinsicht betrifft", so äußerte sich Chaminade einmal gegenüber der Washington Post. Sie hat Musik aller Gattungen geschrieben: geistliche Vokalmusik und weltliche Lieder, Bühnenwerke, Orchester- und Kammermusik sowie eine Fülle von Klavierstücken. Ihr zweites Klaviertrio entstand 1887 und ist dem Cellisten Jules Delsart gewidmet, einem Professor am Pariser Konservatorium. Der zweite Satz daraus (Lento) entfaltet mit lyrischer Intensität Sehnsuchtsmelodien. Der raschere Mittelteil lässt schon die Kunst eines Maurice Ravel vorausahnen: mit seinen schillernden Harmonien, die zwischen Dur und Moll changieren, und mit seinen zerbrechlichen, geheimnisvoll raunenden Themen.

Trio Chausson
"Rising stars" – "aufgehende Sterne": Wer bei dieser Konzertreihe auftreten darf, kann sich glücklich schätzen, denn er wird sich spielend die Bühnen der wichtigen Konzerthäuser erobern. Das junge französische Trio Chausson hat im Rahmen dieses Programms in der New Yorker Carnegie Hall und auf Konzertbühnen in ganz Europa gastiert.
Die drei Musiker - Philippe Talec (Violine), Antoine Landowski (Violoncello) und Boris de Larochelambert (Klavier) - haben am Pariser Konservatorium studiert und wurden dort in den Fächern Klaviertrio und Kammermusik (in der Klasse von Pierre-Laurent Aimard) mit ersten Preisen ausgezeichnet. 2005 gewann das Trio den Internationalen Kammermusikwettbewerb Joseph Joachim in Weimar, 2004 wurde es beim Joseph Haydn Wettbewerb Wien mit dem Preis für die beste Interpretation zeitgenössischer Musik ausgezeichnet.
Das Trio Chausson ist ständiger Teilnehmer der European Chamber Music Academy (ECMA) und arbeitet mit bedeutenden Kammermusikern wie Hatto Beyerle, Anner Bylsma, Gérard Wyss und Rainer Kussmaul zusammen. In Anerkennung seiner brillanten Leistungen wählte die Association Française d’Action Artistique das Trio Chausson 2005 im Rahmen des Programms "Declic" für eine Aufnahme bei Radio France sowie für Konzerttourneen im Ausland aus. Beim Label Mirare Records sind mehrere CDs erschienen – unter anderem auch mit Chaminades zweitem Klaviertrio.

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich