Buch-Tipp

Lea Singer- Der Klavierschüler

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AUTOR/IN
Dorothea Hußlein

Vor sieben Jahren stieß die Münchner Autorin Lea Singer in der Zentralbibliothek Zürich auf unveröffentlichte Briefe von Vladimir Horowitz an den jungen Schweizer Nico Kaufmann. Auf Grundlage dieser brisanten Dokumente erzählt Lea Singer in ihrem neuesten Roman „Der Klavierschüler“ von der verbotenen Liebe, mit der Horowitz seine Karriere und die Ehe mit Toscaninis Tochter Wanda belastete und oft sogar aufs Spiel setzte.

Robert Schumanns rettende "Träumerei"

Der Roman beginnt mit einem Blick in den Abgrund, aus dem nur die Musik retten kann. Der erfolgreiche Schweizer Jurist und Diplomat Robert Donati leidet 1986 an schweren Depressionen und wollte eigentlich freiwillig aus dem Leben scheiden. Er hat bereits Sterbehelfer beauftragt, die ihm den Todestrank bringen wollen. Doch als diese eintreffen ist Donatis Villa verlassen: Im letzten Moment faszinierte ihn Robert Schumanns „Träumerei“ so sehr, dass er die Flucht ergreift. Er macht sich auf die Suche nach einem Pianisten, der ihm Schumanns „Träumerei“ vorspielt und wird in einer Bar im berüchtigten Züricher Viertel Kreis 4 fündig. Nico Kaufmann, dem seine Ausbildung als klassischer Pianist noch anzumerken ist, spielt dem fremden Gast die kaum drei Minuten lange Träumerei vor.

Eine Reise zu den Orten einer großen Liebe

Kaufmann fröstelt als er diese Worte hört und nimmt Donati mit zu sich nach Hause. Im weiteren Gespräch entpuppt sich der jetzige Barpianist als ehemaliger Schüler und Geliebter von Vladimir Horowitz. Schließlich treten beide gemeinsam eine Reise zu den Orten dieser großen Liebe an. So besuchen sie etwa das Zürich der dreißiger Jahre. In Rückblenden erzählt Lea Singer spannend und doch einfühlsam vom Leben und der Karriere des auch von ihr verehrten Jahrhundertpianisten Horowitz. Es geht ihr dabei nicht um ein Outing des berühmten Pianisten oder die Enthüllung von Intimitäten, sondern um den hohen Preis, den Horowitz für seine Karriere zahlte.

Facettenreiches Künstlerportrait

Sie berichtet von seiner schwierigen Beziehung zum despotischen Schwiegervater Toscanini, mit dessen Tochter Wanda er im Grunde eine Scheinehe führte und vom aussichtslosen Kampf der Eheleute um gegenseitige Anerkennung. Lea Singer erzählt von Nathan Milstein, der um die Qualen von Horowitz wusste, und von der Freundschaft mit dem väterlichen Mentor Rachmaninow. Doch im Zentrum steht die komplizierte Liebesbeziehung zu Nico Kaufmann ab 1937. Der damals 24-jährige Klavierschüler stammte aus gutbürgerlichem Züricher Hause und war mit Weltgewandtheit, Charme und Schönheit ausgestattet. Zu dieser Zeit kämpfte Horowitz mit Depressionen und hatte Krisen mit langen Auftrittspausen. Darüber zu sprechen war tabu und die Liebe des weltberühmten Künstlers zu seinem Schüler durfte unter keinen Umständen öffentlich werden. Horowitz selbst versuchte, ganz im Geist seiner Zeit, seine Homosexualität als Krankheit zu bekämpfen. Er litt unter der Einsamkeit des Solokünstlers, dem Zwang zur Anpassung an die gesellschaftlichen Konventionen und unter der Verleugnung seiner wahren Liebe. Erfüllung findet er einzig in der Musik. Lea Singer entwirft anhand von Briefen und Tagebucheintragungen ein facettenreiches Künstlerportrait. Häufig erzählt sie aus der Perspektive von Nico Kaufmann, den Horowitz Volodja nannte:

Durch diese Vermischung von Fiktion und Briefinhalten, wie auch durch die Rahmenhandlung, wahrt Lea Singer die nötige Diskretion gegenüber dem berühmten Künstler. Ergriffen sehen Kaufmann und Donati am Schluss des Romans gemeinsam die Übertragung des Moskauer Konzerts 1986 von Horowitz . Berührt davon, wie er mit jedem Stück, kindlicher wurde und unbeschwerter spielte. Er weinte und lachte „ohne Angst, dass ihm irgendjemand irgendetwas verbieten könnte“ und sein ehemaliger Liebhaber resümiert nach diesem Konzerterlebnis:

Buch-Tipp vom 24.04.2019 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik

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Dorothea Hußlein