Buchkritik

Stefanie Sargnagel – Iowa. Ein Ausflug nach Amerika

Stand
Autor/in
Ulrich Rüdenauer

Wenn Amerika ruft, macht sich Stefanie Sargnagel natürlich auf: An einer Elite-Uni in Iowa gibt sie einen Creative-Writing-Kurs und schreibt nebenbei eine Art Tagebuch über die Merkwürdigkeiten in der amerikanischen Provinz – mit dabei: die Kult-Musikerin Christiane Rösinger.

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Erstmal ein bisschen Wikipedia-Wissen: Iowa ist der 29. Bundesstaat der USA, gelegen im Mittleren Westen, gut drei Millionen Einwohner leben dort, fast alle davon weiß. Die größte Stadt mit knapp über 200.000 Einwohnern ist Des Moines. Politisch geht es heute munter zwischen demokratischen und republikanischen Mehrheiten hin und her. Kulturell ist in Iowa wenig zu holen; die Haupterzeugnisse sind Schweine, Mais, Sojabohnen, Kartoffeln, Rinder und Milchprodukte. Dorthin, nach Iowa, verschlug es 2022 die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel und die Berliner Musikerin Christiane Rösinger, „die Speerspitze feministischer Kunst“, wie es einmal mit angemessener Selbstverständlichkeit heißt. Die ersten Eindrücke der beiden nach ihrer Ankunft haben durchaus symptomatischen Charakter:

„Draußen zieht Iowa an uns vorbei, in der Dunkelheit erkennt man allerdings nicht viel. Rote Windräderlichter blinken am Horizont und scheinen auf und ab zu hüpfen. Die Fast-Food-Kettenrestaurants am Wegrand sind dagegen unbeleuchtet, die Straßen kaum befahren. Alles ist still, es ist, als flögen wir durch ein Vakuum.“

Zwei Berliner Bohmemiennes im Mittleren Westen

Vakuum trifft es ganz gut, zumindest für Wiener und Berliner Bohemiennes: In Iowa findet sich der größte Truckstop der Welt, die Landwirtschaftsmesse „Iowa State Fair“ lockt eine Million Menschen an, die sich bei Jodel-, Cowboy- oder Holzhackwettbewerben vergnügen können. Die Bars wirken wie Bahnhofs-Wartesäle, die Supermärkte sind überdimensioniert, mit Waffen kann man sich rund um die Uhr eindecken, die meisten Menschen sind ziemlich übergewichtig, und auf den Straßen begegnet man all den schönen Stereotypen, die man so vom ländlichen Amerika im Kopf und aus hunderten Spielfilmen im Gedächtnis hat, bis hin zu Amish-Gemeinden, die ihr gottgefälliges Leben fast noch wie im 19. Jahrhundert fristen. Auch am Zielort Grinnell, einer Kleinstadt mit nicht mal 10.000 Bürgern, müssen Sargnagel und Rösinger erst einmal einen Wirklichkeitsschock verdauen:

„Der graue Himmel hängt seit Tagen tief über Grinnell, und die mit toten Tieren übersäten Straßen strahlen noch intensiver als sonst die Anmutung aus, sie würden nirgends hinführen. Wenn wir einfach eine Straße irgendwohin nehmen würden, wären wir am Ende wahrscheinlich wieder in Grinnell. Man kann sich schon vorstellen, wie man zwischen Beton und Wolken langsam zerquetscht wird. Allerdings wirken die Menschen hier zufriedener, als wir Besucherinnen aus der Großstadt mit unserem herablassenden Mitgefühl vermutet hätten. Sie sind wahrscheinlich ausgelastet mit ihren Beziehungen. Und ein bisschen Programm gibt es dann doch immer: Ich entdecke eine neue Veranstaltungsankündigung an der Scheibe, durch die man auf den Parkplatz blickt. Ein älteres Pärchen tritt als Double von Dolly Parton und Kenny auf. Leider war auch das schon gestern.“

Ethnologische Erkundung im lustig-sarkastischen Ton

„Grinnell, Grinnell. Boring as hell“, singt Christiane Rösinger vor sich hin. Wie eine Insel der Diversität und Intellektualität wirkt da das Grinnell College, eine liberale, private Kunsthochschule, die der eigentliche Grund für die Reise ist: Stefanie Sargnagel soll Deutschstudierenden etwas über Schreiben und Humor beibringen, und Christiane Rösinger ist als launig-launische Begleiterin, gute Freundin und seelische Unterstützung in den ersten Iowa-Wochen mit dabei.

Solche Schreibworkshops gibt es an vielen Unis der USA, und immer wieder dürfen auch deutschsprachige Autorinnen und Autoren dort von ihrem Tun berichten. Das ist natürlich weniger ernstzunehmender Unterricht als vielmehr ein schickes Stipendium mit Auslandsaufenthalt, der wiederum nicht selten in dann eigens verfasste Bücher einfließt. In diesem Fall heißt das Buch schlicht „Iowa“, und es erzählt im lustig-sarkastischen Sargnagel-Ton von der ethnologischen Erkundung des Mittleren Westens, in Fußnoten wunderbar komisch kommentiert und korrigiert von Christiane Rösinger. Das klingt dann etwa so bärbeißig wie hier, wo die Erzählung eines Ausflugs nach Chicago, Illinois, von Rösinger ergänzt wird:

„Selten habe ich die unerschrockene Stefanie Sargnagel so hilflos erlebt. Als am Busbahnhof in Chicago – anders, als es die App versprochen hatte – kein Linienbus anhielt, brach ihre schöne Google-Maps-Welt zusammen und sie verlor jeglichen Halt. Auf was in der Welt ist Verlass, wenn noch nicht mal Google Maps funktioniert! Zum Glück erinnerte ich mich der alten Kulturtechnik des Vorbeifahrenden-Taxis-mit-Handzeichen-signalisieren-dass-man–mitfahren-will, und wir wurden gerettet."

Komik entsteht hier aus dem Zusammenprall von Gegensätzen

Was Humor ist, lässt sich weder recht lehren noch erklären. Aber die Komik im Falle von „Iowa“ entwickelt sich aus dem Zusammenprall von Gegensätzen: Da ist zum einen das „Odd Couple“ Sargnagel und Rösinger – die eine in der Rolle des etwas weltfremden Millennials, dennoch selbstironisch, ein bisschen unberechenbar, den Hang zum Prolligen etwa in einer Absturzbar mit absturzgefährdeten Ureinwohnern auslebend. Die andere gibt die reife, abgeklärte, meinungsfreudige, idiosynkratische Szenegröße, die aber abends auf dem Sofa in gemütlicher Freizeitkleidung das ZEIT-Rätsel löst. Als verdienstvolle 60-Jährige darf man sich schon mal gehen lassen. Großstadtdünkel gegen Provinzdumpfheit, wokes Collegeleben gegen konservatives Landvolk, Europa versus USA – aus diesen Oppositionen lassen sich schriftstellerische Funken schlagen.

Das ist sehr charmant und von subtilem bis derbem Witz, manchmal ein bisschen berechenbar und nah am Klischee gebaut (Klischees sind ja ein gutes Material für Komik). Es ist auch ein bisschen weise, wenn das Altern etwa als „Attraktivitätskommunismus“ beschrieben oder Tratsch zur Essenz von Gemeinschaft erklärt wird. Ganz selten schimmert zwischen dem Originalitäts- und Pointenzwang, der Sargnagels Social-Media-Sozialisation geschuldet sein mag, auch eine vom Älterwerden ausgelöste Melancholie durch. Und öfter eine ganz grundsätzliche Skepsis gegenüber den sozialen Blasen, in denen man sich so bewegt. Als einmal ein heruntergekommen ausschauender Mann auf dem Campus des Grinnell College nach einer Toilette fragt und die Angesprochenen ganz hilflos dastehen, resümiert Sargnagel:

„Die StudentInnen reisen zwar regelmäßig in die Welt, um globale soziale Krisen zu analysieren, sie machen Freiwilligendienste in Burkina Faso oder Praktika in bulgarischen Elendsvierteln. Kommen soziale Probleme allerdings an ihren Campus, ohne dass sie bestellt wurden, ohne Vor- und Nachbereitung, ohne dass man weiß, wie lange der Aufenthalt dauert, sieht man die Ratlosigkeit in ihren Blicken.“

Der Blick Sargnagels auf die sie umgebende Welt ist eben nicht nur einer, der nach Skurrilität zur bestmöglichen, unterhaltsamsten Textaufarbeitung giert. Sondern durchaus ein erkenntnissuchender und schonungsloser. Das gilt, wenn sie andere zur Kenntlichkeit überzeichnet. Aber auch, wenn sie über sich selbst ohne allzu große Rücksicht nachdenkt. In Deutschland sind solche lustigen, aber eben auch nicht ganz blöden Bücher anders als in angelsächsischen Ländern ja eher eine Seltenheit. Wer also mal nicht unter seinem Niveau lachen will, sollte zu „Iowa“ greifen.

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