Verfassungsschutz BW: Mehr Extremismus in allen Bereichen

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Florian Rudolph
Porträt Florian Rudolph

Der Jahresbericht des baden-württembergischen Verfassungsschutzes zeigt einen Anstieg extremistischer Straftaten in allen Bereichen. Ist die Fußball-EM ausreichend gesichert? Dazu Einschätzungen von Knut Bauer aus der SWR-Redaktion Landespolitik in Stuttgart im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Florian Rudolph:

SWR Aktuell: Welche Informationen haben die Verfassungsschützer?

Knut Bauer: Sie sprechen von einer hohen abstrakten Gefahr. Das heißt, es gibt zwar keine konkreten Hinweise für ein islamistisches Attentat. Aber es gibt reale Bedrohungsszenarien und da steht ein Großereignis wie die Fußball-EM eben besonders im Fokus. Beispielsweise ruft der radikale Ableger des "Islamischen Staats", mit dem Namen "Provinz Chorasan" im Internet und in einschlägigen Magazinen offen zu einem Anschlag auf Stadien der EM auf. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, CDU, hat heute ebenfalls auf so ein Risiko hingewiesen. Dabei können auch Einzelpersonen radikalisiert werden, die die Sicherheitsbehörden gar nicht auf dem Schirm haben. Wie beispielsweise beim Messerattentat kürzlich in Mannheim. Und von solchen Einzeltätern geht natürlich eine sehr große Gefahr aus.

SWR Aktuell: Hat diese Warnung Konsequenzen, werden jetzt die bestehenden Sicherheitskonzepte noch mal nachgeschärft?

Knut Bauer: Es wird noch mal genau hingeschaut zum Beispiel, wer sich für die EM in einem der Stadien akkreditiert, wird von den Sicherheitsbehörden genau durchgecheckt und es gibt eine Sonderorganisation von Verfassungsschutz und Polizei in allen Ländern, um aktuelle Erkenntnisse schnell austauschen zu können. Ansonsten steht das Sicherheitskonzept mit 3000 zusätzlichen Beamten, die im Einsatz sein werden. SWR Aktuell: Sie haben den Messerangriff von Mannheim gerade schon angesprochen. Wie groß ist denn die islamistische Szene im Südwesten? Knut Bauer: Sie ist weiter angewachsen. Nach dem Stillstand während der Corona Pandemie haben die Islamisten vor allem bei jüngeren Leuten wieder Zulauf. Insgesamt mehr als 4000 Personen rechnet der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg dem Islamismus zu. Davon allein ein Drittel, 1300, in der besonders gewaltbereiten und besonders gefährlichen islamistischen Szene. Den Anstieg um 100 Salafisten im Land führt der Verfassungsschutz auf die hohe Mobilisierung der Szene und eben die anhaltende Propaganda im Internet zurück.

SWR Aktuell: Blicken wir mal auf die Gefahren vom rechten Rand: Die Reichsbürger-Szene in Baden-Württemberg etwa war ja schon immer vergleichsweise stark, wie hat die sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes entwickelt?

Knut Bauer: Auch da gibt es einen Zuwachs wie in allen extremistischen Bereichen: 4000 Anhänger der so genannten Reichsbürger-Szene sind den Ermittlern aktuell bekannt. Das sind 200 Personen mehr als im Vorjahr. Und wenn man es mal vergleicht mit dem Jahr 2020 als die Corona Pandemie ausgebrochen ist - da gibt es einen ganz deutlichen Anstieg. Da waren es noch 3300 Reichsbürger in Baden-Württemberg jetzt also 4000. Besonders brisant: jeder zehnte von Ihnen, also um die 400, gelten als gewaltorientiert. So hatte ein Reichsbürger im März 2023 bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Reutlingen mit einem Schnellfeuergewehr auf die Polizei geschossen und zwei Beamte verletzt, er steht derzeit ebenso vor Gericht wie weitere mutmaßliche Umstürzler um Prinz Reuß. Aber die aktuellen Zahlen zeigen, dass die Prozesse und die Razzien die Szene offenbar weiter radikalisieren.

SWR Aktuell: Schauen wir noch auf die linksextremistischen Gefahren, die gibt es auch. Was sagt der Verfassungsschutzbericht dazu?

Knut Bauer: Da gibt es einen leichten Rückgang der Fälle von 352 linksextremistischen Straftaten auf 311 im vergangenen Jahr. Nach Ansicht von Innenminister Strobl, CDU, ist dies allerdings kein Grund zur Entwarnung. Vor allem das Erstarken der AfD mobilisiere die linksautonome Szene weiter, die in Teilen gewaltbereit auftritt.