Seit dem Terror-Überfall der Hamas auf Israel gibt es mehr antisemitische Straftaten in Deutschland. Ein 28-Jähriger Libyer soll einen Anschlag auf Israels Botschaft in Berlin geplant haben. Warum Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Justiz für zu weich hält, erklärt er im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Andreas Herrler.
SWR Aktuell: Wie bedroht fühlen sich Juden in Deutschland im Moment?
Josef Schuster: Seit dem 7. Oktober 23, dem Terroranschlag der Hamas in Israel, beobachten wir nicht nur, aber gerade auch in Deutschland einen deutlichen Anstieg antisemitischer Handlungen. Handlungen im Wort, Handlungen in Schrift - und wie wir jetzt wieder merken, eben auch in Taten, und zwar von ganz unterschiedlichem Spektrum: der muslimische islamistische Terrorismus, auf der einen Seite linksextremer Antisemitismus, auf der anderen Seite aber auch weiterhin einen rechtsextremen Antisemitismus.
SWR Aktuell: Nun hören wir nach solchen antisemitischen Straftaten immer wieder, dass das jüdische Leben in Deutschland einen hohen Schutz verdiene. Gestern hat Bundesinnenministerin Faeser gesagt, der Schutz jüdischer Einrichtungen und israelischer Einrichtungen habe höchste Priorität. Jetzt kann man sagen: Okay, im konkreten Fall ist der Anschlag vereitelt worden. Der Schutz hat funktioniert. Aber gehen Sie davon aus, dass die Schutzmaßnahmen wirklich ausreichend sind?
Schuster: Ich glaube, man muss ganz ehrlich und offen sagen: Einen hundertprozentigen absoluten Schutz wird kann es nicht geben. Trotzdem bereits seit dem versuchten Synagogen-Attentat in Halle vor fünf Jahren wurden die Sicherheitsmaßnahmen für israelische und jüdische Einrichtungen in Deutschland erheblich verstärkt. Und ich sehe schon die ernsthaften Bemühungen der Sicherheitsbehörden, hier für Sicherheit zu sorgen, was sich auch in der Meinung und der Empfindung der jüdischen Menschen in Deutschland widerspiegelt.
SWR Aktuell: Andererseits aber Sie haben es gesagt nehmen andere antisemitische Straftaten zu, auch Beleidigungen, Hass, all das gehört dazu. Kann die Politik überhaupt was tun, um dieses gesellschaftliche Klima zu ändern?
Schuster: Es sind zwei Dinge: Es ist natürlich so, dass die Politik schon viel tut. Es gibt aber noch einen anderen Bereich, der mir auch sehr wichtig ist. Das ist der Bereich der Justiz. Und da habe ich die Empfindung, dass, wenn es zu strafbaren Handlungen kommt, die Justiz doch ein bisschen zu nachsichtig ist. Urteile, die dann gesprochen werden, haben in meinen Augen nicht den ausreichend abschreckenden Charakter.
SWR Aktuell: Dann gibt es noch den großen Bereich der Außenpolitik. Israel ist im Krieg mit der Hamas seit dem Überfall am 7. Oktober vor einem Jahr. Nun hat Bundeskanzler Scholz vergangene Woche im Bundestag gesagt, Deutschland werde auch künftig Waffen an Israel liefern. Aber es gab ja kurz zuvor Berichte über einen zwischenzeitlichen Exportstopp. Haben Sie denn weiter das Gefühl, dass die Solidarität Deutschlands mit Israel wirklich eine echte Staatsräson ist?
Schuster: Ich habe schon die Empfindung, dass seitens der Politik sowohl auf der Seite der Ampelkoalition als auch der Opposition eine klare Meinung und Stellung gibt. Etwas anderes ist die Empfindung der Gesellschaft. Da habe ich das Gefühl, dass die Solidarität mit Israel leider in den letzten Monaten abgenommen hat. Und da muss man auch sagen, dass einiges, was wir aus Bildern aus dem Nahen Osten sehen, auch in diese Richtung wirkt. Und so habe ich die Empfindung, dass es einer Terrororganisation wie der Hamas oder auch der Hisbollah gelingt, Bilder in die Welt zu senden, die genau in diese Richtung zielen.