Musikstück der Woche

Gustav Mahler: Urlicht - mit dem SWR Vokalensemble

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AUTOR/IN
Katharina Höhne

Lied für Singstimme und Klavier. Bearbeitet für achtstimmigen gemischten Chor a cappella von Clytus Gottwald

Antonio Vivaldi tat es. Johann Sebastian Bach auch und Georg Friedrich Händel sowieso. Immer wieder griffen Komponisten in die Schublade, um aus alten Ideen neue entstehen zu lassen.

Als Gustav Mahler für seine zweite Sinfonie auf das Gedicht "Urlicht" zurückgriff, hatte er es bereits für Singstimme und Klavier angelegt und als Orchesterlied. Damit trat er nicht nur in die Fußstapfen seiner berühmten Kollegen sondern läutete auch eine neue Ära in der sinfonischen Musik ein. 2012 hat das SWR Vokalensemble Stuttgart unter der Leitung von Marcus Creed Mahlers "Urlicht" in einer Version für achtstimmigen Chor eingesungen.

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O Röschen rot!

1805 veröffentlichten Clemens Brentano und Achim von Arnim den ersten Band von "Des Knaben Wunderhorn", einer Gedichtsammlung altdeutscher Volkslieder. Die beiden Schriftsteller waren Anfang 30 und gehörten damit zur jungen Generation der Romantiker. Erfüllt von einem neuen Nationalstolz stöberten sie sich durch die eigene Historie. Märchen, Sagen, Volkslieder – sie gruben alles aus. "Des Knaben Wunderhorn" widmeten sie Johann Wolfgang Goethe, der lobend kritisierte: 

Gustav Mahler war einer dieser "Meister der Tonkunst", denn seit er sich das erste Mal durch die besagte Gedichtsammlung geblättert hatte, ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. "Das sind Felsblöcke", sagte er, "aus denen jeder das Seine formen darf." Also formte er und ersetzte z.T. ganze Strophen mit eigenen Worten. Verteilt über mehr als zehn Jahre entstanden auf diese Weise gut 25 Lieder. "Urlicht" ist eines davon und wurde zum Ausgangspunkt für Mahlers neue sinfonische Musik. 

Das Ringen der Seele

Seit der Veröffentlichung seiner ersten Sinfonie, hatte Mahler das Gefühl an Grenzen zu stoßen. Auch wenn ein Orchester sehr farbenreich sein konnte, waren ihm Streicher, Bläser und Schlagwerk auf Dauer nicht genug. Er wollte einen monumentalen Klang auf die Bühne bringen und dafür auf die menschliche Stimme als "Träger musikalischer Ideen" zurückgreifen. Somit wurde Mahlers 2. Sinfonie, die sogenannte Auferstehungssinfonie, das erste großangelegte Werk, in dem er neben einem Orchester sowohl einen Chor als auch zwei Solistinnen mitwirken ließ.

Denn als vierten von insgesamt fünf Sätzen – ebenfalls ein Novum – hatte er "Urlicht" in seine Musik geholt. Das Lied von 1893, ursprünglich für Singstimme und Klavier geschrieben, bildete nun Dreh- und Angelpunkt seiner neuen Sinfonie. 

"Das 'Urlicht' ist das Fragen und Ringen der Seele um Gott und um die eigene göttliche Existenz über dieses Leben hinaus", schrieb Mahler einer Freundin. Denn in ihm bündelt er die Hoffnung des Menschen auf Erlösung und den Glauben an ein Leben nach dem Tod. In der Sinfonie lässt er den Text aus "Des Knaben Wunderhorn" unter einer einfachen Choralmelodie laufen, die eingebettet wird in z.T. feierlich-hymnische Klänge und zarte, himmlische Zwischentöne.  

Marcus Creed (Dirigent)

Seit 2003 ist Marcus Creed künstlerischer Leiter des SWR Vokalensembles Stuttgart. Geboren und aufgewachsen an der Südküste Englands, studierte er am King's College in Cambridge, der Christ Church in Oxford und der Guildhall School in London. 1977 kam er nach Berlin, wo er u. a. an der Deutschen Oper Berlin als Repetitor und später Chordirektor arbeitete und die Gruppe Neue Musik und das Scharoun Ensemble als Pianist und Dirigent verstärkt hat. 1987 wurde er zum künstlerischen Leiter des RIAS-Kammerchores ernannte, der unter seiner Leitung zahlreiche internationale Auszeichnungen wie den Edison Award erhielt. 

Die Zusammenarbeit mit der Akademie für Alte Musik Berlin, dem Freiburger Barockorchester und Concerto Köln wurden wesentlicher Bestandteil seiner Konzerttätigkeit. Er trat bei den Berliner Festwochen, Wien Modern, den Salzburger Festspielen und Festivals in Montreux, Edinburgh, Luzern und Innsbruck auf. 1998 folgte er einem Ruf auf eine Dirigierprofessur an der Musikhochschule Köln. 

SWR Vokalensemble Stuttgart

Bereits vor 70 Jahren gründete sich das SWR Vokalensemble Stuttgart als Kammerchor von Radio Stuttgart. Dreizehn Sängerinnen und Sänger sangen von einfachen Volksliedern bis hin zu Operetten und Opern für den Sendebetrieb. Geleitet und geformt durch diverse künstlerische Leiter, arbeitete sich der Chor unter Marinus Voorberg in den 1970ern an die Spitze der A-cappella-Chöre. Das Programm änderte sich, hinzu kamen immer mehr Werke des 19. und 20. Jahrhunderts und der Gegenwart, mit denen sich das Ensemble auch im internationalen Ranking einen Namen machte. 

Heute steht das SWR Vokalensemble Stuttgart für Innovation. Es erfindet sich immer wieder neu, setzt sich mit SWR Young CLASSIX für die Vermittlung von klassischer Musik bei Kindern und Jugendlichen ein und wurde sowohl im Rahmen von Wettbewerben als auch für seine Produktionen mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Echo Klassik oder dem Europäischen Chorpreis.

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Katharina Höhne