Musikstück der Woche vom 16.01.2017

London calling

Stand
Autor/in
Katharina Höhne
Doris Blaich

Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 103 Es-Dur "Mit dem Paukenwirbel"

Das London Symphony Orchestra, The Rolling Stones, Adele – von Klassik bis Pop beheimatet die britische Hauptstadt bis heute Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt. Sie gehört damit zu den Top 5 der internationalen Musikmetropolen. Bereits im 18. Jahrhundert war London in Sachen Musik ganz weit vorn. In den Konzertsälen saßen die Menschen dicht gedrängt, vor allem um die Musik der einkutschierten Superstars zu erleben. Besonders angetan waren sie von Joseph Haydn.

Seine Musik war schon vor ihm nach England gereist, wurde aber erst durch seine Anwesenheit und der Uraufführung seiner Sinfonie Nr. 94 G-Dur – besser bekannt als die "Sinfonie mit dem Paukenschlag" – weltberühmt. Wenige Jahr später trat Haydn mit der "Sinfonie mit dem Paukenwirbel" auf und stellte ein zweites Mal dieses Instrument in den Fokus einer Sinfonie. Im Oktober 2015 hat die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern unter der Leitung des US-amerikanischen Dirigenten Joseph Swensen diesen "Paukenwirbel" in der Fruchthalle Kaiserslautern auf die Bühne gebracht.

Vogelfrei

Über 40 Jahre stand Joseph Haydn im Dienst des österreichischen Fürsten Nikolaus Estherházy. Bekannt für seine große Affinität zu Kunst und Kultur, wünschte er sich quasi täglich ein neues Stück Musik von seinem Hofkapellmeister. Haydn erfüllte seinem Arbeitgeber diesen Wunsch und wich ihm auch sonst selten von der Seite. Denn wo immer auch Esterházy hinging, Haydn und seine Musik mussten ihn begleiten.

Erst als Esterházy starb, änderte sich das. Zum ersten Mal – Haydn war mittlerweile 58 Jahre alt – bestimmte er selbst über sein Leben. Denn seit Paul Anton II an der Macht war, hatte er keinen Vorgesetzte mehr. Der Sohn der Estherházys hielt wenig von Musik. In einem seiner ersten Amtsschritte hatte er deshalb die Hofkappelle aufgelöst und Haydn mit einer stattlichen Pension ausgezahlt. 

Innovativ

Obwohl Haydn Esterházys Hof während seiner Amtszeit kaum verlassen hatte, blieb er alles andere als einfältig in seiner Musik. Er war geistreich und clever, mit einem Hang zu Ironie und Witz. Mit einem eigenen Orchester im Haus, probierte er aus und erfand vieles neu. Als der englische Geiger Johann Peter Salomon erfuhr, dass Haydn mittlerweile vogelfrei sei, reiste er nach Wien, um ihn persönlich nach London einzuladen. In der britischen Hauptstadt lieben die Menschen seine Musik, sagte er. Dazu habe London ein genauso reiches Konzertwesen wie Paris.

Konzerte seien gesellschaftliche Großereignisse, an denen nicht nur Musikkenner und Musikkennerinnen und Musikliebhaber und Musikhaberinnen teilnähmen, sondern auch Menschen, die aus rein gesellschaftlichen Gründen kämen. Welch spannende Aufgabe wäre es, diese für Musik zu begeistern. Haydn, zeitlebens auf der Suche nach neuen Herausforderungen, nahm Salomons Einladung an und unterzeichnete einen Vertrag, der zwei Aufenthalte in London und diverse Kompositionsaufträge vorsah. 

Haydn Superstar

Salomon war nicht nur einer der bekanntesten Konzertveranstalter der damaligen Zeit, sondern auch ein guter PR-Mann. Vor Haydns Ankunft mobilisierte er die gesamte englische Presse. Wie ein Superstar ging der Wiener Komponist nun durch die Blätter, sodass die Londoner Society dessen Ankunft kaum erwarten konnte. Als Haydn 1791 endlich eintraf, war er überwältigt.

Erst der Paukenschlag - dann der Paukenwirbel

In London wurde am 2. März 1795 auch Haydns „Sinfonie mit dem Paukenwirbel“ uraufgeführt.

Sie beginnt mit einem auf- und abschwellenden Paukensolo, das ihr auch den Beinamen einbrachte. Im Unterschied zur Sinfonie "mit dem Paukenschlag", die Haydn während seiner ersten Reise nach London schrieb und in der er das gesamte Londoner Konzertpublikum überraschte - auch jenes, das vor allem aus Prestigegründen im Konzertsessel saß. Seit Haydn in London lebte, hatte er diese seltsame Klientel beobachtet, und festgestellt, dass sie entweder anteilnahmslos durch den Saal blickte oder in einen komatösen Schlaf verfiel. Dazu wollte er einen großen Coup landen, um den hohen Erwartungen, die Salomon mit seiner PR-Aktion landesweit gestreut hatte, gerecht zu werden. Deshalb arbeitete er in den zweiten Satz seiner insgesamt viersätzigen Sinfonie einen unverhofften Paukenschlag ein, der auch den letzten im Publikum senkrecht sitzen ließ: Nach 16 Takten einer volksliedhaften Melodie bricht die Pauke über das Orchester ein und bringt eine ganze neue Wendung in das Stück. Obwohl sowohl dem Publikum als auch der Presse bei der Uraufführung 1792 kurz das Herz stehen blieb – mit einem großen „Rums“ war Haydn schlagartig weltberühmt.

In der drei Jahr später entstandenen Sinfonie "mit dem Paukenwirbel" nimmt die Pauke insgesamt eine prominente musikalische 'Stellung' ein, gibt nicht nur den ersten Ton an sondern hat auch im zweiten Satz als Klangelement eine besondere Rolle. Unter dem einleitenden Paukenwirbel steht in den Noten „Intrada“, was soviel bedeutet wie ‚Einzugsmusik für eine hochrangige Person’. In Haydns Sinfonie betritt die Musik selbst die Bühne und erobert nach und nach das Terrain. Zunächst erklingt mit dem Paukenwirbel ein einziger Ton, noch ohne klaren Rhythmus und Struktur. Aus den Bassinstrumenten steigt dann wie aus der Dämmerung eine Melodie auf, Takt und Rhythmus werden allmählich klarer. Zuletzt kommen Harmonie und Mehrstimmigkeit hinzu, schließlich immer mehr Instrumente und Klangfarben. Haydn präsentiert also nach und nach die Zutaten, aus denen Musik besteht. Aus ihnen baut er in strengster Ökonomie einen Sonatensatz. Als besondere Überraschung greift er gegen Ende des Satzes auf den Beginn zurück: In der Musik braut sich eine Katastrophe zusammen, alles bricht auseinander. Wie eine Intarsie baut Haydn den Paukenwirbel und die Anfangstakte noch einmal ein – ein überaus wirkungsvoller Kunstgriff, der das Londoner Publikum verblüffte und begeisterte.
Wie auch die übrigen Sätze der Sinfonie: Im langsamen Satz zeichnet Haydn ein ländliches Idyll, in dem er Themen aus der Volksmusik Kroatiens und Ungarns einfließen lässt. Der dritte Satz tarnt sich als Menuett – als derjenige Tanz, mit dem sich der Adel des 18. Jahrhunderts am meisten identifizierte. Haydn schmuggelt an mehreren Stellen überflüssige Takte ein, Stolpersteine, die dieses Menuett untanzbar machen – vielleicht ein dezenter musikalischer Hinweis darauf, dass die Position des Adels 1795 (ein paar Jahre nach dem Sturm auf die Bastille) gefährlich ins Wanken geraten ist. Das Finale ist ein Musterbeispiel für Haydns Kunst, aus dem Nichts – mit nur ganz wenigen unspektakulären musikalischen Gedanken – einen großen sinfonischen Satz zu formen.

Joseph Swensen (Dirigent)

Joseph Swensen ist ein Multi-Talent. Er reist nicht nur als international anerkannter Dirigent durch die Welt. Er ist zuallererst Violinist, Komponist und setzt sich für die musikalische Bildung von Kindern ein.  

1960 in Hoboken, New Jersey geboren, wuchs er als Kind zweier Musiker auf. Er studierte an der Juillard School in New York Violine und Komposition. Mit dem Gewinn des Leventritt Foundation Awards startete seine Karriere: Als Solist reiste er zu den großen Orchestern der USA, performte Rezitals und Kammermusikkonzerte in namhaften Häusern wie der Carnegie Hall oder dem Lincoln Center. Später arbeitete er als künstlerischer Leiter mit Kammerorchestern in u.a. Paris und Malmö zusammen.

Mit dem Scottish Chamber Orchestra – dem er bis heute verbunden ist – tourte er durch Amerika, Europa und Asien, bespielte mit ihnen Festivals wie das Mozart Festival sowie die BBC Proms. Dazu nahm er zahlreiche CDs auf, auf denen er sowohl als Violinist als auch Dirigent agierte. Als Gastdirigent arbeitet er regelmäßig mit namhaften Orchestern wie der Los Angeles Philharmonic oder der London Philharmonic zusammen und schreibt eigene Werke. 

Zusammen mit seiner Frau gründete er Habitat4Music ein, eine Non-Profit-Organisation, mit der er weltweit versucht, klassische Musik zu Kindern zu bringen, die keinen Zugang dazu haben. Seit Herbst 2013 ist Joseph Swensen darüber hinaus Professor für Violine an der Jacobs School of Music an der Indiana University. 

Deutsche Radio Philharmonie

Die Deutsche Radio Philharmonie entstand 2007 aus der Fusion der beiden traditionsreichen ARD-Klangkörper, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (SR) und dem Rundfunkorchester Kaiserslautern (SWR). Sie hat in kürzester Zeit ein eigenes Profil gewonnen und sich seinen Platz unter den renommierten deutschen Rundfunkorchestern erspielt. Programmschwerpunkte bilden neben dem Vokalbereich das klassisch-romantische Repertoire sowie die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Auftragskompositionen erweitern das Repertoire. Chefdirigent ist seit der Spielzeit 2011/12 der Brite Karel Mark Chichon.

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Katharina Höhne
Doris Blaich