Musikstück der Woche vom 17.10.2016

Ein Tisch aus Tönen

Stand
Autor/in
Doris Blaich

Heinrich Ignaz Franz Biber: Suite Nr. 3 a-Moll aus der Sammlung „Mensa sonora“

Zu einem kultivierten Essen gehört in der Barockzeit selbstverständlich auch Musik, die zwischen den Gängen goutiert wird. Eine Kostprobe aus Heinrich Ignaz Franz Bibers Tafelmusik ist unser Musikstück der Woche, gespielt vom Ensemble Lyriarte am 14.12.2011 in Schloss Waldthausen.

Biber, der Aufsteiger

Das einzige erhaltene Porträt von Biber zeigt ihn mit merkwürdig abwesendem Blick, Zwirbelbart, kunstvoll drapiertem Spitzenkragen, ausladender Allongeperücke und einer Kette um den Hals, um die ihn jedes Stadtoberhaupt beneiden würde.

Alles auf diesem Kupferstich deutet auf Eleganz, Würde und Stilbewusstsein. Er ziert Bibers Violinsonaten, die er 1681 in Druck gab. Damals war er 36 Jahre alt, Vizekapellmeister des Erzbischofs von Salzburg und sehr ehrgeizig: Er hatte es unbedingt auf den Kapellmeisterposten abgesehen, den er 3 Jahre später auch bekam. 1690 schließlich erhob ihn Kaiser Leopold I. in den Adelsstand. Ab sofort durfte er sich „Biber von Bibern“ nennen – ein riesiger sozialer Aufstieg, denn Biber stammte ursprünglich aus bescheidenen Verhältnissen.

Aber wo hat die Geige Platz?

Bei diesem Porträt, bei dem jeder freie Millimeter mit Haarlocken, Spitzen oder anderen Prestigematerialien zugepflastert ist, fragt man sich: wo hat auf dieser Schulter, unter diesem Kinn eine Geige Platz? Denn gegeigt hat Biber sicher in jeder freien Minute und offenbar virtuos wie der Teufel. Wir wissen es aus seinen Kompositionen, deren technische Anforderungen alles Bisherige in den Schatten stellen. Biber verlangt die abenteuerlichsten Sprünge, wilde Läufe, Doppelgriffe und Akkorde, bei denen sich die Finger fast verknoten und – als einer der ersten Komponisten überhaupt – Skordatur, also das absichtliche Verstimmen der Geige. Bibers geigerische Abenteuerlust, sein Spiel mit den Grenzen und darüber hinweg, kann locker mit derjenigen von Niccolò Paganini mithalten.

Mit Biber in die Mensa

Die sechs Suiten der „Mensa sonora“ sind allerdings eher zurückhaltend mit geigerischen Show-Effekten. Sie erschienen 1680 im Druck und sind eine musikalische Visitenkarte, die Biber von seiner geselligen Seite zeigt (wieder dem Erzbischof Max Gandolph gewidmet, dem Entscheider über Bibers Karriereweg). „Mensa sonora“ bedeutet „klingender Tisch“: Musik, die man zwischen den Gängen einer fürstlichen Mahlzeit zu sich nahm, um die Gaumengenüsse mit angenehmem Ohrenkitzel zu steigern. Darum darf die Musik natürlich auch nicht allzu schwer verdaulich sein.

Biber schreibt in der a-Moll-Suite ein akustisches fünf-Gänge-Menü aus stilisierten höfischen Tänzen und einer instrumentalen Arie. Manches dauert weniger als eine Minute, manches knapp zwei; einzig der Mittelsatz ist ausladender: eine Chaconne, die über einem ostinaten Bass aus vier absteigenden Tönen (traditionell das klingende Symbol von Klage und Weltschmerz) immer neue Variationen der Oberstimmen ersinnt; zwischendurch ist eine Passage mit ausgiebiger Chromatik eingebaut, die den Schmerzfaktor noch steigert; quasi der Magenbitter in dieser wohlmundenden Komposition. Danach würde sich ein süßes Dessert gut machen – kandierte Früchte vielleicht, Schokolade oder ein Sorbet – was genau, bleibt unserer Phantasie überlassen.

Lyriarte

Im Ensemble Lyriarte spielten in diesem Konzert folgende Musiker mit (alle auf historischen Instrumenten): Rüdiger Lotter (Violine und Leitung) Chouchane Siranossian (Violine), Katharina Egger (Viola) Sebastian Hess (Violoncello) und Olga Watts (Cembalo).

Stand
Autor/in
Doris Blaich