Musikstück der Woche vom 15.08.2016

Tönende Autobiografie

Stand
Autor/in
Katharina Höhne

Friedřich Smetana: Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello Nr. 1 e-Moll "Aus meinem Leben"

Obwohl der tschechische Komponist Friedřich Smetana ein geselliger Mensch war, der zahlreiche Freundschaften pflegte und sich gern mit Kollegen über Musik austauschte, behielt er zumindest was seine eigenen Werke anging, die Dinge gern für sich. Alles zu zerdenken oder erklären zu müssen, empfand er als unnötig. Der Zuhörer werde seine Musik auch so verstehen, sagte er, wenn auch jeder auf seine eigene Weise. Nur einmal machte Smetana eine Ausnahme. Vor der Uraufführung seines Streichquartetts Nr. 1 e-Moll verfasste er eine Kurzbeschreibung, um sowohl den ausführenden Musikern als auch dem Publikum seine kompositorischen Absichten mitzuteilen. Denn in seinem vielleicht persönlichsten Stück geht es um sein Leben, das 1874 eine dramatische Wendung nahm… Im Mai 2015 hat das tschechische Panocha-Quartett Smetanas Streichquartett im Rahmen des Internationalen Bodenseefestivals in der Klosterkirche Münsterlingen gespielt. 

Unter Freunden            

Das Leben von Friedřich Smetana war kein einfaches. Egal ob durch politische Unruhen in seinem geliebten Heimatland Tschechien oder private Schicksalsschläge, wie den Tod seiner ersten Ehefrau Kateřina Kolářová – immer wieder wurde der Komponist aus der Bahn geworfen, auf die er mehr oder weniger gut zurückfand. Als sich jedoch 1874 ein unaufhörliches Brausen in sein Ohr setzte, riss es ihm den Boden unter den Füßen weg. Denn wie bei vielen Musikern vor und auch nach ihm, war das der erste Vorbote einer allmählich einsetzenden Ertaubung.

Um fernab der Großstadt zur Ruhe zu kommen, zog Smetana zwei Jahre nach der Diagnose mit seiner Familie nach Jabkenice, einer kleinen Gemeinde, etwa 60 Kilometer nordöstlich von Prag entfernt. Doch das Leben auf dem Land bewirkte das Gegenteil in ihm. Smetana fühlte sich ins Exil verbannt, abgeschnitten von aller Kunst, für die er einst gelebt hatte. In Jabkenice gab es keine Freunde oder Bekannten, mit denen er sich spontan im Salon über Musik oder sein Leben unterhalten konnte. Es gab auch keine Konzerte, geschweige denn eine kreative Szene. Also besann er sich auf das, was ihn ausmachte. Denn auch wenn er als Pianist nicht mehr auf der Bühne sitzen oder mit dem Taktstock in der Hand vor einem Orchester stehen konnte, hatte er immer noch Musik im Kopf. 

Lediglich eine Stunde konnte Smetana nun durchgehend arbeiten, "weil gewöhnlich das Brausen in den Ohren einsetzt und mich an der Weiterarbeit hindert. Ich muss daher in ziemlich kurzen Zeitabschnitten arbeiten und mich vor jeder Überanstrengung hüten", wie er in einem Brief an seinen Freund Josef Srb schrieb. Am 29. Dezember 1876 vollendete er sein Streichquartett Nr. 1. Im Februar des darauffolgenden Jahres sollte es in Prag erstmals aufgeführt werden. Da es die Musiker jedoch als zu orchestral und deshalb technisch zu schwierig einstuften, fand die Uraufführung erst im März 1879 statt.                

Dass Smetana auf die Gattung des Streichquartetts zurückgriff ist kein Zufall. Wie schon für ihren Schöpfer Joseph Haydn, bedeutete sie für ihn eine vertraute Runde vier Gleichgesinnter. Mit zwei Violinen, Viola und Violoncello trafen hier vier Freunde aufeinander, die sich über das Leben austauschten. Smetana vertraute den Instrumenten an, was ihn, wie er sagte, so "bedeutsam bedrückt" und gibt uns damit einen Einblick in sein Innerstes. Wie in einer Autobiografie lässt Smetana sein Leben Satz für Satz Revue passieren. Kein Wunder, dass er dem Streichquartett später den Beinamen "Aus meinem Leben" gab.

Aus meinem Leben

Im ersten Satz erzählt Smetana von seinen Jahren als Jugendlicher, in denen er sich typisch romantisch nach etwas sehnt, für das es keine Worte gibt, aber das er schlussendlich in der Musik zu finden scheint. Doch das musikalische Suchen und Finden wird von einem "schicksalshaften" Pfeifen unterbrochen, das die 1874 beginnende Taubheit ankündigt. Smetana war in jungen Jahren ein leidenschaftlicher Tänzer. Dazu schrieb er Unmengen an Tanzstücken. Dieser Leidenschaft widmete er mit einer "Quasi-Polka", wie er festhielt, den zweiten Satz. Im dritten Satz wird es romantisch: "Largo sostenuto erinnert mich an die Wonne der ersten Liebe zu dem jungen Mädchen, das später meine treue Frau wurde", so der Komponist. Der vierte Satz ist eine klingende Hommage an ihn selbst, den Begründer der "tschechischen Nationalmusik". Er erzählt von Smetanas musikalischem Werdegang, bevor "sein weiterer Verlauf durch die ominöse Katastrophe jäh unterbrochen wurde: Beginn der Taubheit". Von der unbestimmten Angst vor der Zukunft bis zum kleinen Hoffnungsschimmer, dass sich doch noch alles zum Guten wendet, erklingen hier alle nur möglichen Emotionen.

Panocha-Quartett

Das Panocha-Quartett – bestehend aus Jirí Panocha (Violine), Pavel Zejfart (Violine), Miroslav Sehnoutka (Viola) und Jaroslav Kulhan (Violoncello) – wurde bereits 1968 gegründet. Damals noch als Studenten des Prager Konservatoriums, gehören die vier Musiker heute fest zur internationalen Streichquartett-Szene. Mit Konzerten auf allen Kontinenten reist das tschechische Ensemble über die Podien der großen Konzerthäuser und internationalen Musikfestivals. Vielfach ausgezeichnet, sowohl als Preisträger prominenter Wettbewerbe als auch Tonaufnahmen, wie dem  "Grand Prix de l'Académie Charles Cros Paris" für die Einspielung der Streichquartette Nr. 4 und 6 von Bohuslav Martinu, sind sie auch in Sachen Nachwuchsförderung unterwegs. Sie geben regelmäßig Meisterkurse bei der Kusatsu International Music Academy (Japan) und der Yale Summer Music School (Norfolk/USA). Das besondere Interesse des Panocha-Quartetts gilt der tschechischen Musik. Aber auch zahlreiche Werke der Wiener Klassiker, besonders die Quartette von Joseph Haydn, sowie der Romantiker als auch der Meister des 20. Jahrhunderts, wie z.B. Bartók und Schostakowitsch, finden sich in ihrem Repertoire.

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Katharina Höhne