Musikstück der Woche vom 9.11.2015

Schubert sucht sich selbst

Stand
Autor/in
Doris Blaich

Franz Schubert: Streichquartett Es-Dur D 87

"Was vermeid ich denn die Wege, wo die andern Wandrer gehn", fragt der Wanderer in Schuberts Winterreise. In diesem Streichquartett des 17-jährigen Schubert mag man sich dieselbe Frage stellen. Eine mögliche Antwort: weil der wahre Schubert sich selbst nur abseits der ausgetretenen Pfade begegnet, immer getrieben von Sehnsucht, Weltschmerz und einem Gefühl der Fremdheit. In unserem Mitschnitt vom Bodensee-Festival 2015 spielt das Panocha Quartett.

Versetzungsgefährdet

Herbst 1813: Franz Schuberts Schulnoten in Mathe und Latein lassen derart zu wünschen übrig, dass er am Akademischen Gymnasium eine Wiederholungsprüfung ablegen muss, wenn er auf dieser Schule (der ein Internat angeschlossen ist, das Wiener Stadtkonvikt) bleiben will – seit er elf Jahre alt ist, hat Schubert diese Schule besucht, seine schönen Knabenstimme hat ihm den Weg dorthin geebnet; und von dem Musikunterricht wird er sein Leben lang profitieren – Antonio Salieri ist einer seiner Lehrer.
Jetzt also droht die Wiederholungsprüfung – Schubert, damals 17 Jahre alt, entscheidet sich dagegen. Im Oktober kehrt er ins Haus seiner Eltern zurück, legt die Hilfslehrerprüfung ab und unterstützt seinen Vater beim Unterrichten.

Biographische und künstlerische Zäsur

Seit Schubert 13 ist, hat er komponiert. Jetzt ist er 17, und der Einschnitt in seiner Biographie bringt natürlich auch einen Einschnitt in seiner Art zu komponieren mit sich. Als "Auseinandersetzung mit der Form" hat man diesen neuen kompositorischen Blickwinkel bezeichnet. Die erste Sinfonie ist fertig, jetzt setzt sich Schubert vermehrt mit klassischen Vorbildern auseinander, mit ihren formalen Gestaltungsmitteln, ihrer Technik, ihrem Handwerk – und reibt sich daran. Ab jetzt wird die Suche nach einem eigenen, selbstständigen Weg charakteristisch für Schubert – und sie wird es bis an sein Lebensende bleiben.

Seitenwege wagen

Das Streichquartett Es-Dur D 87 entsteht in dieser Zeit des ersten großen Umbruchs. Lange hat man es für ein späteres Werk gehalten, das etwa um 1817 entstanden sei. Das Autograph lässt sich aber eindeutig auf November 1813 datieren.
Alle vier Sätze stehen in Es-Dur, dreien davon legt Schubert die Sonatensatzform zugrunde und spielt mit den Möglichkeiten dieser etablierten Form: Im ersten Satz formuliert er zwar wie üblich zwei Themen, aber die Entwicklung des Satzes hat mit diesen beiden Themen kaum etwas zu tun. Immer wieder findet Schubert neue Möglichkeiten, die Arbeit mit den beiden Themen zu umgehen und stattdessen einen Seitenweg einzuschlagen: Die Durchführung, der gewichtige Mittelteil des Satzes, ist eine Auseinandersetzung mit dem Gedanken, der zuvor als Überleitung gedient hatte. "Die Möglichkeit, die Themen aus dem motivischen Prozess des Satzes weitgehend herauszuhalten, bleibt eine von mehreren Optionen bis ins Spätwerk hinein", schreibt ein Schubert-Forscher. Das Es-Dur-Quartett kostet diese Möglichkeit der Um- und Abwege zum ersten Mal bewusst aus.

Panocha Quartett

In unserem Mitschnitt vom Bodenseefestival 2015 spielt das tschechische Panocha Quartett: 1968 gründete sich das Ensemble am Prager Konservatorium.
Benannt ist es nach seinem Primarius Jiří Panocha, neben ihm ist der Cellist Jaroslav Kulhan von Anfang an dabei. Die anderen Quartettmitglieder sind Pavel Zejfart (2. Geige) und Miroslav Sehnoutka (Bratsche).

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Autor/in
Doris Blaich