Thema Musik

Eine Geschichte der ukrainischen Musik

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AUTOR/IN
Winfried Roth
Autor Winfried Roth (Foto: privat)

Die Musikgeschichte der Ukraine ist wenig bekannt: Nach einer langen Zeit kultureller Unterdrückung entwickelte sich erst seit dem 19. Jahrhundert eine eigenständige, ukrainische E-Musik. Manchmal griffen russische und westeuropäische Komponisten wie Tschaikowsky, Liszt und Janáček ukrainische Motive auf. Mit dem Beginn der Stalin-Ära wurde der "sowjetische Mainstream" auch in der Musik durchgesetzt. Die staatliche Unabhängigkeit 1991 bedeutete eine Renaissance der traditionellen ukrainischen Kultur. Mehr dazu erzählt Winfried Roth.

Das Feuer brennt, Musik ertönt, wie sanft sie weint, wie wild sie stöhnt!  

Das Feuer brennt, Musik ertönt, wie sanft sie weint, wie wild sie stöhnt!  

Die faszinierende Kultur eines der größten europäischen Länder, der Ukraine, ist international nur wenig bekannt. Das gilt auch für ihre Musik. Der Hintergrund: vor 1991 war die Ukraine nur selten ein unabhängiger Staat.

Jahrhundertelang versuchten vor allem polnische und russische Herrscher die einheimische Kultur niederzuhalten; sie verschwand zeitweise im Nebel der Geschichte.

Traditionelle Musik der Ukraine

Eine eigenständige ukrainische Kunst-Musik entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert. Wie in Berlin, Paris oder Rom begeisterten sich in Kiew, Odessa oder Lwiw romantische Künstler für Folklore und Themen aus der nationalen Geschichte. Manchmal griffen sogar ausländische Komponisten – etwa Tschajkowskij, Liszt und Janáček - ukrainische Motive auf.

Nach der Oktoberrevolution von 1917 wurde die ukrainische Musik - wie die russische - zwischen Traditionalismus und Moderne hin- und hergerissen. In der ganzen Sowjetunion setzte sich dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein „internationaler“ Musikstil durch. Die Ukraine besitzt eine reich entwickelte Volksmusik. Ähnlichkeiten mit der russischen und – seltener – polnischen Folklore sind unüberhörbar.

Durch die Jahrhunderte

Schon im 18. Jahrhundert – als der Westen der Ukraine zu Österreich-Ungarn und der Osten zu Russland gehörten – machten Komponisten ukrainischer Herkunft wie Dmitro Bortnjanskyj und Maksym Beresowskyj Karriere, allerdings außerhalb ihrer Heimat.

Bei ihnen klangen auch ukrainische Melodien und Rhythmen auf – aber es überwogen italienische Einflüsse. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich mit der "nationalen Romantik" dann eine eigenständige ukrainische E-Musik.

„Nationale Romantik“

In den kulturellen Eliten der meisten Länder Europas begann im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert die Suche nach einem neuen Selbstverständnis als „Nation“. Auch zwischen Karpaten und Schwarzem Meer wollten viele Menschen nicht mehr als Untertanen alter Dynastien leben - schon gar nicht fremder Dynastien.

In weiten Teilen Europas entstand damals ein liberales, weltoffenes Nationalgefühl. Ein  neugieriger Blick richtete sich auf die Vergangenheit des eigenen Landes, auf seine Epen, Mythen und Volkslieder. Zur „nationalen Romantik“ in der E-Musik zählten so unterschiedliche Komponisten wie Verdi und Wagner, Grieg und Dvořák, Tschajkowskij und Sibelius – in der Ukraine Mychailo Kolatschewskyj oder Mykola Lysenko.

Ein neues dramatisches Kapitel der ukrainischen Musik begann 1917. In diesem Jahr zerfiel das russische Zarenreich, ein Jahr später Österreich-Ungarn. Der kommunistischen Oktoberrevolution von 1917 folgte ein dreijähriger grausamer Bürgerkrieg – „Rote“, zarentreue „Weiße Armeen“ und ukrainische Nationalisten kämpften gegeneinander. Am Ende wurde die Ukraine – überwiegend – Teil der Sowjetunion. Die westliche Ukraine fiel an Polen und wurde dann 1939 ebenfalls von der Roten Armee besetzt. Zu den bekanntesten Komponisten der Ukraine in jenen Jahren gehörten Julij Mejtus, Lewko Rewuzkyj und Borys Ljatoschynskyj.

Ein Komponist, dessen Stimme das Volk nicht erreicht, ist nicht einmal eine Null – er ist etwas Negatives. Ich werde mich bemühen, meine Musik näher zum Volk zu bringen.

Vom 20. Jahrhundert bis heute

In dem letzten Jahrzehnten vor dem Zerfall der Sowjetunion und der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 waren in der Ukraine Komponisten wie Andrij Schtoharenko, Myroslaw Skoryk und Walentyn Sylwestrow aktiv. Sylwestrow erlebte eine ungewöhnliche Entwicklung. Er, 1937 geboren, wurde als einziger ukrainischer Komponist auch international bekannt.

In der sowjetischen Ära sah er sich massiver Kritik ausgesetzt – und erfuhr doch eine Menge Anerkennung. In den sechziger Jahren beschäftigte er sich mit Zwölftonmusik, dann fand er zu einer Art „Neoromantik“, ließ sich von alter liturgischer Musik ebenso wie von der Minimal Music anregen.

Wie werden sich Krieg, Vertreibung und Flucht seit dem Februar 2022 auf die Entwicklung der ukrainischen Musik auswirken? Eines ist sicher: Musikerinnen und Musiker außerhalb der Ukraine bringen die Musik ihrer Heimat verstärkt auf die Konzertpodien – und bringen damit vielfach Neuentdeckungen mit. Die ukrainische Pianistin Lisa Golovnenko hat beispielsweise 2023 nahezu unbekannte Klaviermusik von Myroslaw Skoryk eingespielt.

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