Gespräch

Hanya Yanagihara - Zum Paradies

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INTERVIEW
Alexander Wasner, Beate Tröger

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Drei Jahrhunderte in New York - auch in der Zukunft

Hanya Yanagiharas Roman „Zum Paradies“ hat drei große Teile, alle spielen jeweils am Jahrhundertende in New York:

Es beginnt 1893, das New York des Romans allerdings ist anders als das historische New York. Es ist ein freier Staat in einem aufgewühlten Kontinent. Der freie Staat New York ist sowas wie ein aufgeklärtes Paradies für seine Bürger, schwule Lebensgemeinschaften längst toleriert. David Bingham ist Enkel eines sehr wohlhabenden Bürgers der Stadt, der Großvater, bei dem er lebt, will eine Vernunftehe mit dem älteren gutsituierten Charles Griffith für ihn arrangieren. Doch dann begegnet er dem hochstaplerischen Edward Bishop und bricht aus dem großbürgerlichen Korsett aus.

Der zweite Teil spielt in New York des Jahres 1993, mit AIDS ist eine der großen Pandemien ausgebrochen, die uns seitdem begleiten, das Leben verändert sich, es wird unübersichtlich. Auch hier begegnen wir Figuren, die Charles und David heißen, auch hier taucht der Name Bingham auf, allerdings in anderen Rollen – bevor im dritten Teil die Zukunft in düsteren Farben gemalt wird. Pandemien beherrschen den Alltag, New York ist in streng unterteilte Zonen getrennt, der Alltag ist totalüberwacht, Ehen werden arrangiert, die Heldin heißt dieses Mal Charly.

Hanya Yanagihara, eine erfolgreiche Autorin im Nebenberuf

Hanya Yanagihara hat mit ihrem Roman „Ein wenig Leben“ 2015 (deutsch 2017) einen weltweiten Erfolg gehabt – die Geschichte eines New Yorker Freundeskreises rund um den im Rollstuhl sitzenden schwulen Rechtsanwalt Jude St. Francis, dessen tragische Lebensgeschichte nach und nach enthüllt wird, war mitreißend, aufwühlend und passte hervorragend in den Zeitgeist. 

Danach erschien, in Deutschland verspätet, der Erstling der Autorin, „Das Volk der Bäume“, ein Virologe auf Hawaii steht dabei im Mittelpunkt. Kein Wunder, denn Hanya Yanagiharas aus Japan stammender Vater arbeitete als Virologe.  Die Autorin ist Herausgeberin der Stilbeilage der New York Times – sie sieht sich mehr als Journalistin denn als Schriftstellerin. In Interviews hat sie sogar davon gesprochen, dass sie nach „Ein wenig Leben“ keinen Roman mehr schreiben wollte. Deshalb ist der 900 Seiten-Wäzer „Zum Paradies“ ziemlich überraschend.

Man sollte von „Zum Paradies“ nicht die gleiche Intensität erwarten wie von „Ein wenig Leben“, meint die Literaturkritikerin Beate Tröger im Gespräch mit Alexander Wasner.  Das Buch ist offensichtlich erst während der Pandemie geschrieben worden, es enthält viele Motive, die man von Yanagihara kennt, manches ist vielleicht auch ein wenig lang geraten. Dafür hat die Autorin sich bei Motiven der Literaturgeschichte bedient: David Mitchells „Cloud Atlas“ etwa, Virginia Woolfs „Orlando“ oder Dantes „Commedia“.

Überlegungen für Zeiten der Pandemie

Vor allem aber reflektiert sie die Gegenwart. Und durch die familiäre Nähe zur Virologie wird sie hier zur Autorin, deren Überlegungen in Zeiten der Pandemie man ernst nehmen sollte – Gerade im dritten und letzten Teil stellt Yanagihara in ihrer wuchtigen Dystopie wichtige Fragen. Zum Beispiel die, wie sehr wissenschaftliche Erkenntnis unser Leben leiten kann und wann die Freiheit darin zu sehr beschnitten wird.

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Alexander Wasner, Beate Tröger