Der Standpunkt in unserer Sendung

Zum Tag der Deutschen Einheit. Blick aus Ostdeutschland von Andreas Rausch

Stand
AUTOR/IN
Rausch, Andreas

Die deutsche Einheit jährt sich zum 33. Mal - gerade hat die Bundesregierung ihren aktuellen Bericht dazu vorgelegt. Vieles sei auf gutem Weg, unter anderem hole der Osten wirtschaftlich mit großen Schritten auf. Anderes sei weiter Baustelle. Wo stehen wir denn nun wirklich, in vereinigten Ost und West, im Jahr 2023? Es ist kompliziert, kommentiert Andreas Rausch

Audio herunterladen (2,1 MB | MP3)

Meine Tochter hatte ihr Erweckungserlebnis mit Anfang 20. Da stand sie bei einer Studiparty in Bamberg plötzlich im Mittelpunkt: Hey, du kommst doch aus dem Osten – erzähl mal, was ist da los mit AfD und Pegida und überhaupt so. Wieso seid ihr da so anders? Das hat meine Tochter überrollt. Sie war sich bisher gar nicht bewusst, eine Ossi zu sein, und jetzt sollte sie das stellvertretend auch noch erklären!  

Warum erzähl ich das?  

Meine Tochter ist 1997 geboren, acht Jahre nach der Wende in der DDR. Eine gefühlte Ewigkeit her – aber noch immer ist für weite Teile des Westens der Osten eine Blackbox, die nur in ihrer Abweichung zum vermeintlichen Standard für Aufregung und Interesse sorgt. Jammert der Ossi, wenn er Wahrheiten durchaus beklagend ausspricht? Dass seine Lebensleistungen auch sein Wegstecken von Brüchen weniger gewürdigt werden, als sie verdienen. Der Ostdeutsche wurde nach 1990 quasi entwurzelt – der gewohnte Staat löste sich auf, komplette Lebensentwürfe mit ihm, Vergangenheit wurde ab sofort vor allem über den Grad der Systemtreue beurteilt, Jobs brachen massenhaft weg, in meiner Heimat der Lausitz waren es allein in den 90ern mehr als 100.000. Der Westen beschränkte sich in den Augen vieler Ostdeutsche auf die Rolle – was wollt ihr? Schließlich finanzieren wir euch doch den Aufbau? Wohlweislich vergessend, dass die Lasten beidseitig zu tragen waren und die Einheit mal eben 17 Millionen neue Kunden in den Markt spülte, apropos. Bis heute ist kein DAX-Unternehmen im Osten zu Hause, die Löhne hinken dem Standard hinterher, in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen gibt es kaum Ostler in Führungspositionen. All das 33 Jahre nach dem Sektknall der Einheit. Nicht zu fassen. Meine Tochter hat im übrigen was gemacht, mit ihrer neuen aufgedrängten Ost-Identität. Für ihre Bamberger Studierendenzeitschrift hat sie ein Titelthema durchgedrückt, zum Thema Vergangenheit und Herkunft - und was wir aus ihr lernen können. Das Heft wurde sehr gut verkauft, sie war für dieses Semester verantwortliche Herausgeberin, die wohl gerade einzige Ostdeutsche in ganz Bayern in einem solchen Führungsjob, erzählte sie mir grinsend. Und Bayern habe das sogar überlebt. Nicht zu fassen! 

Stand
AUTOR/IN
Rausch, Andreas