SWR 1 Meilensteine (Foto: SWR)

1971 - SWR1 Meilensteine

Carole King - "Tapestry"

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AUTOR/IN
Adrian Beric
Moderator Adrian Beric aus dem SWR1 Team (Foto: SWR)

Manchmal braucht man Freunde, um den großen Schritt zu wagen. James Taylor sei Dank: Carole King, erfahrene Songwriterin, versucht es als Solo-Künstlerin und hat mit ihrem zweiten Album einen Erfolg, der wie ein Erdbeben daherkommt.

Was ist das eigentlich für ein merkwürdiger Titel? Selbst hartgesottene Englisch-Fans müssen im Jahr 1971 das Wörterbuch herausholen. Und da steht dann die Übersetzung: "Bildteppich" – oder etwas intellektueller ausgedrückt: "Gobelin". Einen Gobelin sieht man auf dem Cover aber weit und breit nicht. Weder auf der Vorder- noch auf der Rückseite.

Carole King benutzt den Ausdruck eher im übertragenen Sinne. Denn dieses Kult-Album ergibt einen Gobelin, der aus zwölf einzelnen Liedern zusammengesetzt ist. Als diese zwölf Lieder 1971 auf den Markt kommen, werden sie zu einem Erfolg, der wie ein Erdbeben daherkommt.

James Taylor sei Dank: Carole King versucht es als Solo-Künstlerin

Das mit dem Erdbeben kann man wörtlich nehmen, denn der Opener heißt vielsagend "I Feel The Earth Move". Der Song hat einen Drive, der so zwingend ist, dass sich kaum einer dagegen wehren kann. Carole King ist 1971 längst eine erfahrene Songwriterin. Sie hat mit ihrem damaligen Ehemann Gerry Goffin schon Dutzende Hits komponiert und getextet. Unter anderem für so Leute wie die Drifters, Aretha Franklin, die Everly Brothers und Dusty Springfield. Selbst die Beatles covern einen King/Goffin Song (und zwar "Chains", den man auf dem Debut-Album "Please, Please Me" findet).

King schreibt also immer nur für andere Leute. Sie selber scheut das Rampenlicht und bleibt lieber im Hintergrund. Freunde versuchen immer wieder, sie zu überreden: Sie solle sich mit ihrem riesigen Talent für Hit-Melodien doch bitte unbedingt selber mal in den Mittelpunkt stellen - und nicht ständig nur was für andere Leute machen. Einer dieser Freunde ist James Taylor. Sein bis heute größter Hit "You´ve Got A Friend" stammt eigentlich von Carole King. Er ist wohl derjenige, der den größten Einfluss auf King gehabt hat.

1970 ist sie dann auch so mutig und bringt ihr erstes Solo-Album heraus. Aber "Write"“ geht kommerziell komplett unter. Keiner nimmt Notiz von der Singer-Songwriterin.

Kurios: Ein Song – zweimal ein Welthit. Gleichzeitig!

1971 beweist Carole noch mehr Mut. Denn dieser Flop geht anscheinend spurlos an ihr vorüber. James Taylor sei Dank, der nicht locker gelassen hat. Als sich die Sängerin entscheidet, trotz des ersten Misserfolgs ein neues Album aufzunehmen, ist er als Gastmusiker persönlich mit an Bord. Rein räumlich betrachtet, ist das nicht weiter schwierig, denn Taylor selber nimmt im Studio nebenan gerade ein eigenes Album auf.

Besonders "You´ve Got A Friend" hat es ihm angetan. Er bittet King, das Lied ebenfalls aufnehmen zu dürfen. Das führt zu der sehr seltenen und sehr kuriosen Situation, dass ein Welthit zeitgleich in unterschiedlichen Versionen von unterschiedlichen Interpreten aufgenommen wird! Weiterer Unterschied: Kings Version wird als Album-Track erfolgreich - Taylors Version wird als Single ein Nummer-Eins-Hit.

Die Kunst, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren

Was bis heute an dem Album verblüfft: Die Songwriter-Kunst von Carole King. Jedem Lied merkt man an: Es ist aufs Wesentliche konzentriert. Alles ist fein durchdacht. Man spürt förmlich die Gedanken der Autorin, die an jeder Formulierung, an jeder Note gefeilt haben muss, bis sie ihren Qualitätsansprüchen genügt haben. Nichts ist zu viel. Keine Note. Kein Wort.

Und das merkt man übrigens auch der Instrumentation deutlich an. Es kann zwar sein, dass mal eine Flöte zu hören ist; ein Saxophon oder sogar ein Streichquartett. Aber grundsätzlich gilt: Selbst dort, wo der Sound ziemlich satt daherkommt, hört man tatsächlich in den allermeisten Fällen nur Carole Kings Stimme; ein Klavier; ein Schlagzeug; eine Akustik-Gitarre und einen Bass. Mehr nicht.

Song-Material, das für die Ewigkeit reicht

Und mehr braucht Carole King nicht bis zur musikalischen Unsterblichkeit. Song-Material, das für die Ewigkeit reicht - dargeboten in äußerster Bescheidenheit. Das verdeutlicht schon das Cover ihres Albums. Da sieht man eine entspannte junge Frau, die auf einer Fensterbank sitzt. Barfuß mit Strickpulli, Wuschelhaaren und Schlaghosen guckt sie in die Kamera. Und zu ihren Füßen sitzt eine Katze, die mindestens genauso tiefen-entspannt in die Kamera blickt.

Carole King trifft den Zeitgeist und bricht mit ihrem Album Verkaufs-Rekorde. Bis heute werden 25 Millionen Stück von "Tapestry" verkauft. Es gibt von zahlreichen Liedern des Albums etliche Coverversionen - sogar ganze Tribute-Cover-Alben. Sie ist die erste Frau, die als Solo-Künstlerin einen solchen Millionen-Erfolg schafft - und es dauert fast zwei Jahrzehnte, bis dieser Rekord von einer anderen Frau (nämlich Whitney Houston) geknackt wird. Ein Meilenstein eben. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.