50 Jahre Woodstock

Die Legende lebt

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Christian Pfarr
Christian Pfarr (Foto: SWR, SWR1 -)

Von allen Rockfestivals der "klassischen" Zeit zwischen 1967 und 1973 war Woodstock unbestritten das legendärste, aber eben nicht das einzige. Der verklärte Blick auf die mythenumwobene dreitägige Schlammschlacht im August 1969 überstrahlt in der kollektiven Erinnerung sogar den von Hippie-Idealen inspirierten Summer of Love samt dem Monterey Pop Festival von 1967.

Janis Joplin stand am Samstagabend auf der Bühne. (Foto: Pressestelle, Collection Rolf Heyne -)
Janis Joplin

Und dort waren immerhin auch schon Größen wie Jimi Hendrix, Simon & Garfunkel, Otis Redding, The Mamas & The Papas, The Who, Janis Joplin, Canned Heat, Jefferson Airplane, The Byrds, Blood Sweat & Tears oder Eric Burdon am Start.

Das Ende des Beat

Spätestens mit dem 1967 veröffentlichten "Sergeant Pepper"-Album der Beatles war die Beat-Ära vorbei, die Rockmusik war ihren Kinderschuhen endgültig entwachsen. Und wie das so ist, wenn Kinder laufen können: es geht in alle Richtungen. In England probten die musikalischen Ziehkinder von Alexis Korner und B.B. King den Bluesrock-Aufstand: Eric Clapton, Steve Winwood, Eric Burdon oder Ten Years After schmiedeten den Blues so lange, bis er bei Free, Rory Gallagher oder Deep Purple zum Hardrock mutierte. In Amerika verschmolzen die jungen Bluesadepten schwarzen Rhythm’n’Blues mit jazzigen Bläsersätzen und schufen – wie The Electric Flag oder Blood Sweat & Tears – den Bigband-nahen Brassrock.

Drogeneinfluss

Cannabis, LSD & Co. führten zu veränderten Sinneswahrnehmungen, die sich musikalisch im Psychedelic Rock von Jefferson Airplane, Vanilla Fudge oder Steppenwolf niederschlugen. Beeinflusst von Country-Tradition und Dylan-Poesie schufen Interpreten wie The Lovin' Spoonful, Buffalo Springfield und Simon & Garfunkel das Singer/Songwriter-Genre, Sly & The Family Stone mixten schwarzen Soul und weißen Rock zu einer heißen Funk-Melange.

All das (und noch viel mehr) entstand Ende der 60-Jahre, wurde auf den gewaltigen Festivals einem nach Hunderttausenden zählenden Publikum vermittelt und von interessierten Musikern aufgesaugt und weiterentwickelt.

Talk mit Siggi Schmidt-Joos

Drei Tage Rock'n'Roll wurden neun Monate lang für rund zwei Millionen Dollar vorbereitet. Drei Tage lang eine halbe Millionen junge Leute im Kampf um eine bessere Welt, berauscht von Liebe, Musik und Drogen. Drei Tage, die vor 40 Jahren die Welt veränderten. Was diesen besonderen Geist von Woodstock ausgemacht hat, weiß Musikjournalist Siggi Schmidt-Joos, der sich nicht zuletzt für sein berühmtes Rocklexikon mit dem Thema Woodstock intensiv beschäftigt hat.

Woodstock steht für ein Musikfestival, das es so nie wieder gab und offenbar auch für eine Stimmung, die es so nie wieder gab. Noch heute spricht man bei friedlichen Großereignissen von einer "Woodstock-Atmosphäre".

Der Zeitgeist

Bei dem Festival spiegelte sich alles, was in der Alternativkultur Amerikas zu dieser Zeit wichtig war. Es war die Zeit der Bürgerrechtsdemonstrationen im Süden um die Rassengleichheit. Es war die Zeit der Wehrkriegsverweigerer gegen die Vietnam-Einberufungen. Es war die Zeit der Blumenkinder von San Francisco, die den Soldaten Rosen in die Gewehrläufe steckten. All dies zusammen ergab ein Klima, eine geistige Atmosphäre, die zum ersten Mal 1967 in dem Musical "Hair" artikuliert wurde.

Die Veranstalter

Zwei Leute aus dieser Szene trafen mit zwei Investoren zusammen. Die beiden Investoren hatten Geld geerbt und schalteten in der New York Times und im Wall Street Journal Anzeigen: zwei junge investitionsbereite Menschen möchten ein unbeschränktes Vermögen investieren.

Was hat den Geist von Woodstock vor allem ausgemacht?

Dass Geld vorhanden war, dass eine revolutionäre Stimmung vorhanden war und die Bands vorhanden waren, machte Woodstock aus. Die damalige Atmosphäre traf während des Festivals genau den Nerv der Zeit.

Und wieso haben all die Santanas und Janis Joplins, die Joe Cockers und viele andere Größen zugesagt?

Viele von den Bands haben verstanden, dass es wohl auch ein riesiges Promotion-Ereignis geben würde. Zunächst rechneten die Veranstalter mit nur 20.000, dann 50.000, dann 250.000 Besuchern. Dass es dann so einen Auflauf geben würde von fast einer halben Million, hatte niemand erwartet. Aber die Bands haben das wohl schon gerochen.

Gab es noch mal ein Festival, das ähnlichen Erfolg hatte?

Nein, weil es nie wieder eine Situation gab, in der alle Faktoren zusammen trafen.

Gewinner und Verlierer

Nach den Woodstock-Festival-Tagen schien es nur Verlierer zu geben. Die Veranstalter hatten bei weitem nicht das eingenommen, was sie sich erhofft hatten – die Verluste beliefen sich auf mehr als 1,3 Millionen Dollar.

Im Laufe der Jahre wurden durch Film- und Plattenrechte so viele Dollar eingenommen, dass es nur noch Gewinner gab. Gewinner waren ganz sicher auch etliche der Künstler, die bei Woodstock aufgetreten sind. Nehmen wir zum Beispiel Santana. Carlos Santana sagte später: "Wir hatten nicht mal ein Album draußen. Keiner kannte uns. Aber wenn Bill Graham glaubte, wir würden es schaffen, dann würden wir es auch schaffen."Bill Graham war ein erfolgreicher amerikanischer Konzertveranstalter.

Das Debütalbum von Santana erschien Ende August 1969. Im September kam es in die Hitparaden und erhielt Doppelplatin. Dabei war der Auftritt von Carlos Santana nicht unter guten Vorzeichen gestartet. Zitat: "An meinem Geburtstag, am 20. Juli, war die Mondlandung. Im Monat darauf waren wir auf dem Stammestreffen in Woodstock. Ich war voll auf Mescalin und kann mich nur erinnern, dass ich betete: Herr, hilf mir, dass ich nicht falsch spiele und meine Einsätze nicht verpasse. Die Musik ließ die Leute wie Blumen im Wind wiegen."

Die Schlammschlacht

Als Joe Cocker in Woodstock auftrat, war er für viele Europäer kein Unbekannter mehr. Sein Hit "With A Little Help From My Friends", die Coverversion eines Beatles-Titels, hatte im Herbst 1968 Platz 1 in Großbritannien und Platz 3 in Deutschland erreicht.

In den USA war die Platte auf Platz 68 hängen geblieben. Joe Cocker trat Sonntag, den 17. August, um 14.00 Uhr auf. Für ihn war Woodstock die Chance, den amerikanischen Markt zu knacken. Wie viele andere Künstler wurde auch Joe Cocker mit einem Hubschrauber zum Festivalgelände gebracht. Er erzählte später: "Ich hatte gar keine Zeit für Nervosität oder so was. Kaum war der Hubschrauber gelandet, hatte die Band schon einen kleinen Soundcheck gemacht, und Michael Lang, einer der Veranstalter, tauchte auf und meinte: seid ihr so weit? Ich sagte, klar, ging die Stufen hoch und wir legten los. Keine Zeit für Lampenfieber. Im Film sieht man, wie jemand zu mir sagt: Joe, dreh dich mal um. Da sah ich diese riesige Regenwolke und dann ging die Schlammschlacht los. Ich weiß noch, wie wir die Zeit nach dem Auftritt mit ein paar Hippies in einem Wohnwagen verbrachten. Es dauerte einige Stunden, bis wir weg konnten."

Zwei Jahre später spielte Joe wieder in Bars vor höchstens 300 Leuten. Schließlich hat er es doch noch gepackt: "With a little help from my friends".

Fans & Stars Arm in Arm

Wenn es im Woodstock-Film eine Szene gibt, die genau das ausmachte, was Woodstock für viele Menschen war und wie sie miteinander umgingen, dann wird die durch den Auftritt von Canned Heat dokumentiert. In diesem Film sieht man, wie ein Fan auf die Bühne klettert und sich neben Sänger Bob "Bear" Hite stellt.

Aus dem Hintergrund wollen schon ein paar Menschen auf diesen Fan springen und ihn achtkantig von der Bühne werfen. Hite hält sie zurück. Statt dessen umarmt er den Fan und singt sein Lied weiter. Der Fan zieht aus der Brusttasche von Hite eine Packung Zigaretten und nimmt sich eine daraus.

Was macht Hite?

Er sucht in seiner Tasche nach Feuer und zündet dem Fan die Zigarette an. Da stehen sie nun gemeinsam auf der Bühne und Canned Heat spielen weiter ihr erstes Stück "A Change Is Gonna Come". In allen Konzerten vor und nach Woodstock wäre man ziemlich rigoros mit diesem Fan umgesprungen.
Schon wenige Monate nach Woodstock ging der Hippie-Traum von friedlichen Miteinander beim berüchtigten Festival von Altamont in einer Orgie von Chaos und Gewalt unter. In Woodstock war alles friedlich. Und mögen es nun 400.000 oder 600.000 Besucher gewesen sein – es kam nicht zu ernsthaften Prügeleien oder ähnlichen Zwischenfällen wie in Altamont. Zu den Titeln, die Canned Heat in Woodstock spielten, gehörten natürlich "On The Road Again" und "Going Up The Country".

Gagen Mythos

Lange konnte man lesen, dass etliche der Stars, die in Woodstock aufgetreten sind, keine Gage erhalten haben. Inzwischen sieht es so aus, als hätten alle auftretenden Künstler etwas bekommen. Allerdings – wenn man ehrlich ist: die Gage von 1.375 Dollar für Joe Cocker und seine Band ist eher eine Lachnummer.

Der bestbezahlte Künstler war Jimi Hendrix mit 18.000 Dollar. Überhaupt fühlte sich Jimi Hendrix wie der Star dieses Festivals, und schon aus diesem Grund wollte er als letzter auftreten und der Höhepunkt sein. Hat er auch geschafft, aber er hat sich dabei wahnsinnig verkalkuliert.

Startverzögerung

Eigentlich hätte das Festival ja am Sonntag um 24.00 Uhr beendet sein sollen, aber durch den vielen Regen und die daraus resultierenden Verzögerungen kam es immer wieder zu Verschiebungen. Und so begann der vierte Woodstock-Tag, also Montag, der 18. August, um 0.00 Uhr mit einem Auftritt von Johnny Winter. Um 1.30 Uhr spielten Blood, Sweat & Tears. Um 4.00 Uhr morgens traten Crosby, Stills, Nash & Young auf, um 5.00 Uhr die Paul Butterfield Blues Band, um 6.30 Uhr Sha-Na-Na und dann als letzter Künstler Montag Morgen um 8.30 Uhr Jimi Hendrix. Von den angeblich 400.000 bis 600.000 Zuschauern waren nur noch 40.000 anwesend. Und ob die mitgekriegt haben, wer da auf der Bühne stand, weiß man nicht. Jimi Hendrix hat sich zumindest, was den Auftritt beim Festival anging, verkalkuliert. Bei Film und Platte ist sein Auftritt immer noch der krönende Abschluss.

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Christian Pfarr
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