Special Olympics (Foto: SWR, SWR)

Berlin 2023

Sport erklärt: Was sind die Special Olympics?

Stand
REDAKTEUR/IN
SWR

Die Special Olympics World Games gehören zu den größten Sportveranstaltungen der Welt, mehr als 7.000 Athlet:innen aus 190 Nationen nehmen daran teil. Es sind die Special Olympics, nicht die Paralympics. Was ist der Unterschied? Und worum geht es? Alle Infos gibt es in unserem Format "Sport erklärt".

Special Olympics ist die weltweit größte Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung. Sie ist vom Internationalen Olympischen Komitee anerkannt. Eunice Kennedy-Shriver, die Schwester des US-Präsidenten John F. Kennedy, hat die Bewegung 1968 ins Leben gerufen. Kennedy-Shriver wollte Menschen mit geistiger Beeinträchtigung die Chance geben, Sport zu machen. So auch ihrer Schwester Rosemary. Wettkämpfe gab es für sie bis dahin nämlich keine. 

Die Idee damals wie heute: Durch Sport erfahren Menschen mit geistiger Behinderung Anerkennung, entwickeln Selbstbewusstsein – und nehmen am gesellschaftlichen Leben teil. Inzwischen finden die Weltspiele alle zwei Jahre statt. Sommer- und Winterspiele wechseln sich ab. 2023 sind die Sommerspiele in Berlin. Das Motto: #ZusammenUnschlagbar.

Das Sportkonzept von Special Olympics

Special-Olympics-Wettkämpfe wie die Weltspiele sollen fair und spannend sein und möglichst vielen Sportler:innen die Chance ermöglichen, zumindest einmal im Leben dabei zu sein. Deshalb gibt es zwei wichtige Prinzipien im Sportkonzept der Special Olympics: Das Prinzip des Aufstiegs und das Prinzip der Klassifizierung.

Das Prinzip des Aufstiegs stellt sicher, dass die Athlet:innen auf die Weltspiele gut vorbereitet sind - also die Regeln ihrer Sportart kennen und ein Gefühl dafür bekommen, wie eine so große Sportveranstaltung abläuft. Es beschreibt die einzelnen Stufen, die die Athlet:innen erklimmen müssen, um bei den World Games dabei zu sein. Erste Stufe: regelmäßig trainieren, zum Beispiel in einem Sportverein, in der Schule oder einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Zweite Stufe: an regionalen Wettkämpfen teilnehmen. Dritte Stufe: bei den Nationalen Spielen mitmachen. Um teilzunehmen brauchen die Athlet:innen einen Startpass, in dem auch der Nachweis einer geistigen Beeinträchtigung festgehalten ist.

Schritt für Schritt zu den World Games

Von hier aus können sie sich für die vierte Stufe bewerben: die World Games. Jede Stufe dient als Vorbereitung und Qualifikation für die nächste Stufe, deshalb darf auch keine übersprungen werden. Jeder Sportler hat die Chance, Stufe für Stufe zu meistern. Aber natürlich sind die Plätze bei den Weltspielen begrenzt. Special Olympics Deutschland, also die deutsche Organisation der Bewegung, hat für jede Sportart eine feste Zahl, wie viele Athlet:innen aus Deutschland dabei sein dürfen.

Ein ausgedachtes Beispiel: Im Weitsprung kann Deutschland zehn Athlet:innen nominieren. Das Problem: 20 sind alle Stufen gegangen, bringen also die Voraussetzungen für die Weltspiele mit und haben sich dafür beworben. Vorrang haben jene, die bei den Nationalen Spielen in ihrer Leistungsklasse gewonnen haben - also in ihrer Finalgruppe, in der sie gegen etwa gleichstarke Athlet:innen angetreten sind. Wie es zu dieser Einteilung kommt, dazu später mehr. Gibt es beim Weitsprung genau zehn Sieger, nehmen diese die zehn vorhandenen Startplätze ein und sind bei den Weltspielen dabei. Gibt es mehr als zehn Sieger, haben die Vorrang, die noch nie bei Weltspielen dabei waren. Und wenn es dann immer noch mehr Kandidat:innen als Startplätze gibt, entscheidet das Los. Gibt es weniger als zehn Sieger, rücken erst die Zweitplatzierten nach, dann die Drittplatzierten. Und so weiter.

Anderes Konzept im Teamsport

Anders läuft es in Mannschafts-Sportarten. Beim Handball beispielsweise gibt es Lehrgänge, bei denen die Trainer:innen die Spieler:innen beobachten und auswählen. Mindestens 75 Prozent der Athlet:innen eines Kaders müssen bei den Nationalen Spielen dabei gewesen sein. In anderen Mannschafts-Sportarten, z.B. im Fußball, nimmt das Team bei den Weltspielen teil, das bei den Nationalen Spielen in den jeweiligen Leistungsklassen am erfolgreichsten war. Bewerben sich auch hier mehr jeweils erstplatzierte Teams als Startplätze vorhanden sind, entscheidet das Los.

So läuft die Klassifizierung

Das Prinzip des Aufstiegs regelt also den Weg der Athlet:innen zu den Weltspielen. Wie die Wettkämpfe dann ablaufen, dafür gibt es das Prinzip der Klassifizierung. Die Idee dahinter: Alle Athlet:innen sollen eine Chance auf eine faire Platzierung haben - gemäß ihres tatsächlichen Leistungsvermögens. Die Klassifizierung ordnet die Sportler:innen daher in Leistungsklassen ein – damit die gegeneinander antreten, die ähnlich gut sind, also ähnlich weit springen, werfen oder schnell rennen. Bei der Klassifizierung geht es nicht darum, welche geistigen Behinderungen oder Mehrfachbehinderungen die Athlet:innen haben und wie schwer sie sind. Es geht ausschließlich darum, was sie in ihrer Disziplin leisten. Bei Sportarten mit vielen Athlet:innen sind Geschlecht und Alter weitere Kriterien, um die Startklassen zu bilden. 

Es gilt die "Maximum Effort Regel"

Nochmal zum Beispiel Weitsprung. Eine Athletin springt bei der sogenannten Vor-Ort-Klassifizierung 4 Meter. Anhand dieser Weite wird sie einer Leistungsklasse zugeteilt, in der die Athletinnen ähnlich weit springen wie sie. Dadurch hat jede Athletin dieser Leistungsklasse eine Chance, eine gerechte Platzierung zu erreichen. Es kann vorkommen, dass Sportler:innen bei der Vor-Ort-Klassifizierung deutlich kürzer springen als sie eigentlich können. Zum Beispiel, weil sie aufgeregt sind. In diesem Fall können ihre Trainer:innen eingreifen. Sie reichen dann für die Einteilung in die Leistungsklasse für das Finale nicht die Weite der Vor-Ort Klassifizierung ein, sondern eine Weite, die die Athletin im Training gesprungen ist – und die näher dran ist an dem, was sie tatsächlich zu leisten im Stande ist.

Trainer:innen haben eine große Verantwortung und müssen die Sportler:innen und ihr Leistungsvermögen gut kennen. Denn im Finale dürfen Athlet:innen maximal 15 Prozent besser sein als bei der Klassifizierung. Wenn die Athletin aus unserem Beispiel bei der Klassifizierung im Weitsprung also 4 Meter springt, diese Weite einreicht und im Finaldurchgang aber 5 Meter erreicht, dann hat sich ihre Leistung um 25 Prozent verbessert. Sie würde disqualifiziert. Es könnte nämlich sein, dass sie bei der Klassifizierung absichtlich kürzer gesprungen ist, um in eine schwächere Leistungsklasse zu kommen, in der sie dann Gold gewinnt. Genau das soll vermieden werden. Deshalb gilt die "Maximum Effort Regel": Sportler:innen müssen immer ihr Bestes geben.

Medaillen pro Leistungsklasse

Wichtig zu verstehen ist, dass es bei den Special Olympics World Games - anders als zum Beispiel bei den Olympischen Spielen - nicht nur eine Goldmedaille pro Disziplin oder Sportart gibt. Stattdessen gibt es in jeder Leistungsklasse, also jeder Finalgruppe, einen Sieger. Gibt es beispielsweise im Weitsprung vier Leistungsklassen je nach Leistungsvermögen, wird es auch vier Weitsprung-Sieger und damit vier Goldmedaillen geben. Das gilt auch für Teamsportarten.

Bei Teamsportarten oder Sportarten wie Tischtennis oder Boccia, bei denen die Leistung nicht in Weiten oder Zeiten gemessen wird, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Klassifizierung. Häufig angewandt wird das Schweizer System.

In der ersten Klassifizierungsrunde werden Begegnungen ausgelost oder festgelegt. Die Ergebnisse der ersten Spiele entscheiden dann darüber, wer in der zweiten Runde gegeneinander spielt. Sieger spielen gegen Sieger, Verlierer gegen Verlierer. Dieses Prinzip wird über mehrere Runden fortgeführt. Am Ende entsteht eine Tabelle. Sie zeigt, wie gut welche Mannschaft ist – und vor allem, welche Teams auf ähnlichem Niveau sind. Sie spielen dann in der Finalrunde, also wenn es um die Medaillen geht, gegeneinander.

Die Unterscheidung zwischen Special Olympics Weltspielen und Paralympics

Bei den Paralympics ist das anders: Hier werden die Startklassen danach gebildet, wie stark die Athlet:innen beeinträchtigt sind und wie sich das auf ihre Sportart auswirkt. Wie das System genau funktioniert, findet ihr in unserem "Sport erklärt" zu den Paralympics.

Und es gibt weitere wichtige Unterschiede: Bei den Special Olympics Weltspielen treten Athlet:innen mit geistiger und mehrfacher Behinderung an. Bei den Paralympics sind überwiegend Athlet:innen mit körperlicher Behinderung dabei. Theoretisch dürfen bei den Paralympics in einigen Sportarten auch Athlet:innen mit geistiger Behinderung mitmachen, praktisch aber war in Tokio kein einziger Sportler aus Deutschland dabei - und auch von den anderen Nationen nur sehr wenige.

Der zentrale Grund dafür ist, dass es bei den Paralympics ausnahmslos um Spitzenleistungen geht. Wirklich nur die Besten der jeweiligen Disziplinen sind dabei. Die sportlichen Hürden sind also deutlich höher als bei den Special Olympics Weltspielen.

Und es gibt für Sportler:innen mit geistiger Behinderung nur eine weitgefasste Startklasse. Ihr Intelligenzquotient darf 75 Punkte nicht überschreiten und sie müssen im Alltag auf Hilfe angewiesen sein. Intellektuelle Beeinträchtigungen und auch ihre Auswirkungen auf körperliche Einschränkungen aber können sich stark unterscheiden. Dadurch fallen viele Athlet:innen, die aufgrund ihrer geistigen Behinderung eine gewisse Leistung nicht erreichen können und in dieser Startklasse nicht konkurrenzfähig sind, durch das Raster.

Was sollen die Weltspiele bewirken

Es geht nicht nur um Medaillen, sondern auch um das Miteinander. Bei den Weltspielen gibt es zum Beispiel Unified-Wettbewerbe. Sportler:innen mit und ohne geistige Behinderung treten zusammen gegen andere Teams an. Dieser Modus bringt Menschen mit und ohne geistige Behinderung durch den Sport zusammen. Im Alltag funktioniert das oft noch nicht. Schätzungsweise nur ein bis zwei Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung, die in Deutschland leben, sind in Sportvereinen aktiv. Die Hoffnung ist, dass die Athlet:innen durch die Weltspiele mehr Aufmerksamkeit bekommen. Dass es in Zukunft mehr Sportangebote für sie gibt, in Werkstätten und in Sportvereinen. Angebote, die ihnen mehr und mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen.

Stand
REDAKTEUR/IN
SWR