Thomas Hitzlsperger, Vorstandsvorsitzender des VfB Stuttgart (Foto: IMAGO, Eibner)

Fußball | Meinung

Gegen die Angst - Thomas Hitzlsperger und das Bundesverdienstkreuz

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Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist (Foto: SWR)

Thomas Hitzlsperger, Sportvorstand von Bundesligist VfB Stuttgart, wird am 1. Oktober von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Dadurch wird unter anderem sein Coming-Out 2014 gewürdigt. Hitzlsperger habe durch sein Bekenntnis das Thema Homosexualität im Fußball und Sport enttabuisiert. SWR-Sportredakteur Johannes Seemüller kommentiert.

Es gibt sie immer noch, die Ewiggestrigen. Die breitbeinig in John Wayne-Manier verbale Schüsse abfeuern gegen Menschen, deren Lebensstil nicht in ihr eigenes Weltbild passt. So wie jetzt CDU-Mann Friedrich Merz gegen den homosexuellen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Auf die Frage, ob ein homosexueller Kanzler für ihn ein Problem sei, stellte Merz indirekt einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie her. Als ob er noch in den 1950ern leben würde, als alles jenseits der monogamen heterosexuellen Ehe für abartig gehalten wurde.

"Was sind das für schwule Schuhe!?"

Wir schreiben inzwischen das Jahr 2020. Trotzdem gibt es immer noch Männergemeinschaften, deren Blick auf die unterschiedlichsten Beziehungsformen äußerst eingeengt ist. Es gibt diese von reichlich Testosteron geprägten Zirkel nicht nur in der Politik, sondern auch im Sport. Besonders der Fußball ist eine echte MANNschafts-Sportart. Männer setzen gerne Hierarchien und Hackordnungen. Jeder, der schon mal in einem Fußballteam gekickt hat, kennt diese Sprüche aus der Kabine: "Was sind das für schwule Schuhe!?" oder "Was war das denn für ein schwuler Pass von dir!?". Diskutieren und diskriminieren geben sich die Klinke in die Hand. Während im Frauenfußball meist souverän und gelasssen mit dem Thema Homosexualität umgegangen wird, sitzt den gleichgeschlechtlich gesinnten männlichen Kollegen auch in diesen scheinbar so aufgeklärten Zeiten die Angst im Nacken.

Homosexuelle Fußballprofis haben Angst, mit einem Coming-Out, also einem öffentlichen Bekenntnis, ihre Karriere aufs Spiel zu setzen. Sie fürchten sich vor den Reaktionen der Teamkollegen, der Fans, des Vereins, der Sponsoren. Deshalb praktizieren sie ein Versteckspiel, für das sie eine enorme psychische Energie aufbringen müssen. Permanent etwas vertuschen zu müssen, ist verdammt anstrengend und alles andere als leistungsfördernd.

Enormer Gruppenzwang

So muss es auch Thomas Hitzlsperger ergangen sein, der lange brauchte, um sich seiner sexuellen Orientierung sicher zu sein. Acht Jahre war er mit seiner Jugendfreundin Inga zusammen. 2007 beschlossen sie zu heiraten, doch nur vier Wochen vor dem Termin wurde die Hochzeit abgesagt. Während seiner Zeit als Fußballprofi (u.a. beim VfB Stuttgart) erlebte er fast täglich den enormen Gruppenzwang innerhalb eines Teams. Nach seinem Karriereende 2013 nahm der 52-malige Nationalspieler all seinen Mut zusammen und machte seine Homosexualität öffentlich. Sein Interview mit der Zeitung "Die Zeit" vom 8. Januar 2014 war ein Meilenstein auf dem Weg zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit für dieses Thema im Fußball und im Sport allgemein.

Es ist schon eigenartig. Ob Politiker, Künstler oder Musiker - für Leute aus nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen ist ein Bekenntnis zur Homosexualität völlig normal. Auch für viele Athleten in anderen Sportarten ist Gleichgeschlechtlichkeit gar nicht der Rede wert, weil selbstverständlich. Allein die männlichen Fußballprofis tun sich nach wie vor schwer, öffentlich zu ihrer Homosexualität zu stehen. Das könnte sich aber bald ändern. Es soll Pläne geben, dass sich mehrere Spieler zusammenschließen, um sich zu outen. Dies könnte dann ein weiterer Meilenstein werden.

Den ersten aber hatte Thomas Hitzlsperger gesetzt. Dafür erhält der 38-Jährige jetzt völlig zu Recht am 1. Oktober im Schloss Bellevue aus den Händen des Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz. Und, wer weiß, vielleicht läuft ihm in Berlin zufällig ein gewisser Friedrich Merz über den Weg. Es gäbe einiges zu bereden.

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Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist (Foto: SWR)

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