Karl-Sczuka-Preis 2003

Asmus Tietchens: Sechs Heidelberger Studien

Stand

Audio herunterladen ( | MP3)

Der Noise-Art-Künstler Tietchens komponierte ein Hörstück aus Arbeitsgeräuschen einer historischen Buchdruckmaschine:

Der Heidelberger Tiegel (Buchdruckmaschine) lässt sich durchaus als Rhythmusmaschine verstehen: deutlich wahrnehmbare, zum Teil komplizierte Rhythmen strukturieren seine Arbeitsgeräusche. Was nun im Sinne ästhetischen Handelns wichtig wurde, war die Frage, wie die vorliegenden akustischen Materialien aus ihrem Kontext herausgenommen werden konnten und welchen klanglichen Transformationen sie unterworfen werden sollten. Den rhythmischen Strukturen zu folgen, lag zu sehr auf der Hand, wäre eine allzu plakative Lösung gewesen. Auch wollte ich nicht die "Seele" der Maschine zum Klingen bringen; gern überlasse ich den Versuch, die Maschine zu transzendieren, kompetenteren Schwarmgeistern.

Die rhythmischen Strukturen der Tiegelgeräusche wurden zugunsten eher flächigen und/oder impulsartigen Klanggeschehens umgewandelt, um so eine Ebene jenseits der starren Rhythmik zu schaffen. Infolgedessen sind die "Sechs Heidelberger Studien" dem ursächlichen Geräuschkontinuum völlig entrückt. Ich zielte dabei weder auf Verblüffung, noch auf eine elektro-akustische Märchenstunde ab, sondern wandte mich dem Material selbst zu, um einige (von vielen) kombinatorische Möglichkeiten seiner klanglichen Bearbeitung und Neustrukturierung durchzuführen. Ästhetische Entscheidungen traf ich erst, nachdem die formalen und akustischen Eigenschaften des Basismaterials gründlich untersucht waren.

Wettbewerb 2003 und Jury-Begründung

86 Werke hatte sich die Jury des Karl-Sczuka-Preises 2003 angehört, bevor sie sich für Asmus Tietchens entschieden hat. Eingereicht wurden die Werke von 104 Bewerbern aus 17 Nationen. Nur einmal in der bisherigen Geschichte waren es mehr. Die freien Autorenproduktionen stellten mit 38 Werken sogar eine Rekordmarke auf. Der 1997 gestiftete Karl-Sczuka-Förderpreis wurde in diesem Jahr nicht vergeben.

"In seinen ‚Sechs Heidelberger Studien’ entwickelt Asmus Tietchens aus den Arbeitsgeräuschen einer Buchdruckmaschine ein Hörstück von großer Strenge und Klarheit. Die Klänge, obwohl als ‚konkrete’ erkennbar, bleiben seltsam abstrakt und geheimnisvoll, sie erzählen nicht, sie stellen nichts dar, sie sind unmittelbar sinnlich präsent. Tietchens vertraut ganz seinem Material, verzichtet auf jede symbolische Befrachtung und setzt sich dadurch wohltuend von modischen Trends elektronischer Klangbearbeitung ab."

Die SWR2 Programmchefin Hildegard Bußmann übergab den Preis in Vertetung des Hörfunkdirektors des Südwestrundfunks, Bernhard Hermann, an Asmus Tietchens. Die Verleihung fand am 18. Oktober 2003 im Rahmen der Donaueschinger Musiktage statt.

Der Preisträger

Asmus Tietchens wurde 1947 in Hamburg geboren. 1965 machte er erste Experimente mit Tonbandgeräten und elektronischen Klangerzeugern (Sinusgeneratoren, Rhythmusmaschinen) und konkretem Geräuschmaterial. Ab 1971 arbeitete er mit dem Minimoog und erhielt komplexere Ergebnisse durch die Verwendung achtspuriger Tonbandgeräte. 1975 entschied Tietchens, elektroakustische Musik "hauptberuflich" zu komponieren und zu realisieren.

1980 erste LP-Veröffentlichung (Nachtstücke) in Frankreich, produziert von Peter Baumann (Tangerine Dream). 1982 stilistische Hinwendung zur Industrial Music. LP Formen letzter Hausmusik (1984) beim britischen Label United Dairies. Bis 1989 entstanden mehrere LPs bei internationalen Labels der Industrial Music, darunter Arbeiten mit präpariertem Klavier, Wassergeräuschen und anderem konkreten Material. 1986 reiste Tietchens im Auftrag des Goethe-Instituts zu Gesprächs-Konzerten nach Brasilien, 1991 nach Argentinien, Chile und Uruguay.

Seit 1989 ist er Lehrbeauftragter für Sounddesign, Kommunikationsdesign und Klangforschung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Seit 1991 erschienen diverse CDs bei internationalen Labels, bis heute sind es über 50 LP- und CD-Veröffentlichungen. Asmus Tietchens arbeitete mit verschiedenen Komponisten der so genannten Noise Music (Merzbow, Achim Wollscheid, Thomas Köner, Vidna Obmana u.a.) und trat im In- und Ausland auf.

Stand
Autor/in
SWR