16.10.1977

Verfassungsgericht: Bundesregierung muss nicht Terroristen nachgeben, um Leben zu retten

Stand

Von Autor/in Archivradio

Palästinensische Terroristen hatten eine Lufthansa-Maschine nach Mogadischu entführt. Gleichzeitig haben RAF-Terroristen den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer verschleppt. Sie drohen ihn zu ermorden und fordern, dass die in Stuttgart-Stammheim einsitzenden RAF-Terroristen freigelassen werden. Diese Ereignisse bilden im Oktober 1977 die Hochphase des sogenannten Deutschen Herbstes.

Bundeskanzler Helmut Schmidt ist nicht bereit, auf die Forderungen einzugehen oder mit den Terroristen zu verhandeln – und riskiert dadurch zwangsläufig den Tod von Hanns-Martin Schleyer. Darf die Bundesregierung das? Oder hat das Leben eines Entführten eine so hohe Priorität, dass sich eine Regierung erpressen lassen muss?
Schleyers Familie ruft das Bundesverfassungsgericht an – da die Zeit drängte, fällen die Richter eine Entscheidung im Eilverfahren in einer langen Nachtsitzung. Am Ende weisen sie den Antrag ab: Eine Regierung müsse sich nicht erpressen lassen, um Leben zu schützen. Der Bericht vom 16. Oktober 1977 schildert, was in jener Nacht in Karlsruhe los war.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts trägt den Titel „Grenzen verfassungsrechtlicher Kontrolle bei der Bekämpfung lebensbedrohender terroristischer Erpressungen“ und ist hier abrufbar.

1.6.1972 Verhaftung der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe

1.6.1972 | Hunderte Schüsse sollen gefallen sein, als am 1. Juni 1972 die Polizei im Frankfurter Nordend drei Mitglieder aus dem harten Kern der "Roten Armee Fraktion" festnahm: Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe. In den Wochen zuvor hatte die Terrorgruppe eine Reihe von Anschlägen verübt.
Baader saß 1970 schon einmal im Gefängnis, war aber mithilfe der Journalistin Ulrike Meinhof befreit worden und hielt sich seitdem im Untergrund auf bzw. zusammen mit anderen Angehörigen der Terrorgruppe in Jordanien, wo sie wiederum bei palästinensischen Terroristen Waffentraining bekamen. Zurück in der Bundesrepublik verüben sie 1972 zahlreiche Bombenanschläge – auf das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Frankfurt und Heidelberg, auf Polizeistationen, auf die Zentrale des Axel-Springer-Verlags in Hamburg.
Welche Bedeutung die Festnahme von Baader, Meins und Raspe hat, zeigt sich auch darin, wie ausführlich die Nachrichten des Südwestfunks und die unmittelbar anschließende Sondersendung darauf eingehen. Sie unterstützen auch die weiteren Fahndungsaufrufe der Polizei.

19.6.1972 Bundesanwaltschaft zur Verhaftung von Ulrike Meinhof

19.6.1972 | Ulrike Meinhof wurde heute verhaftet. Die Staatsanwaltschaft grübelt über einem verschlüsselten Brief von Gudrun Ensslin an Ulrike Meinhof. | RAF

16.12.1974 Bundespräsident Heinemann schreibt Ulrike Meinhof einen Brief

16.12.1974 | Bundespräsident Gustav Heinemann, der Meinhof von früher kennt, appelliert an die inhaftierte RAF-Terroristin, ihren Hungerstreik zu beenden.
Die Öffentlichkeit erfährt von diesem Brief erst fünf Tage später – im folgenden Bericht vom 16. Dezember 1974 wird der Brief vorgelesen, vorher ist noch der Schriftsteller Heinrich Böll zu hören, der von einem Wahnsinn spricht, der in Deutschland vor sich gehe und den politischen Umgang mit der RAF kritisiert.
Der Brief des Bundespräsidenten an Ulrike Meinhof, die er kennt, seit er sie einmal als Anwalt in einem Beleidigungsverfahren verteidigt hat, wird von einem Rundfunksprecher verlesen. Er beginnt mit "Sehr geehrte Frau Meinhof" und geht dann auf den Hungerstreik ein. "Sie kommen an die Grenzen Ihres Lebens."
Selbstopferung hält Heinemann für einen Irrtum. Ulrike Meinhof erschwere damit die Arbeit anderer, die sich um Besserung der Verhältnisse bemühen. Heinemann meint, er habe ihren Weg mit Aufmerksamkeit verfolgt und schließt mit den Worten: "Bitte nehmen Sie sich die Freiheit und beenden den Hungerstreik."

24.4.1975 Geiselnahme: Überfall auf deutsche Botschaft in Stockholm

24.4.1975 | Die fast eineinhalbstündige Livesendung beginnt 14 Stunden nach Beginn der Geiselnahme, als sich die Lage in Stockholm zuspitzt, und endet mit der Bergung der Geiseln und einer schwächer brennenden Botschaft, aus der heraus noch geschossen wird. Wesentliche Elemente werden durch ein Live-Telefongespräch mit dem Reporter vor Ort geliefert. | RAF

28.10.1975 Stammheim-Prozess: Jan-Carl Raspe zu den Haftbedingungen

28.10.1975 | Der Angeklagte Jan-Carl Raspe kritisiert während der Verhandlung am 28. Oktober 1975 die Isolationshaft. | RAF

4.5.1976 Baader kritisiert Stammheim-Prozess, Schily fordert Nixon als Zeuge

4.5.1976 | Der Stuttgarter Stammheim-Prozess gegen die Mitglieder der RAF zieht sich hin. Der Angeklagte Andreas Baader wirft dem Gericht vor, dass der Prozess aus wahlkampftaktischen Gründen künstlich in die Länge gezogen werde. Baader sieht das Gerichtsverfahren letztlich als Spiegelbild der globalen Machtverhältnisse.

10.5.1976 Neue Erkenntnisse nach dem Tod von Ulrike Meinhof

10.5.1976 | Einen Tag nach dem Tod von Ulrike Meinhof gibt es Streit über die Obduktion und die Informationspolitik der Justizbehörde. In Frankfurt finden gewalttätige Sympathiekundgebungen statt. | RAF

10.1.1977 Otto Schily erhebt Beschwerde gegen Haftbedingungen für RAF-Mitglieder

10.1.1977 | Otto Schily, Verteidiger von Gudrun Ensslin, erhebt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Bundesrichter Albrecht Mayer. Begründung: Verdacht auf geheime Absprachen zwischen den Richtern sowie Weitergabe von Prozessakten an Journalisten. Noch am selben Tag wird Albrecht Mayer versetzt. | RAF

7.4.1977 Tagesschau: Siegfried Buback ermordet

7.4.1977 | Die ARD-Tagesschau ist am 7. April 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback gewidmet: Er wurde um 9.15 Uhr von Mitgliedern der „Aktionsgemeinschaft Ulrike Meinhof“ erschossenen. | RAF

6.9.1977 Attentat auf Hanns Martin Schleyer: Augenzeugenbericht

6.9.1977 | Ein Augenzeuge schildert die Ereignisse nach dem Anschlag auf den Arbeitgeberpräsidenten: Böllerschüsse, Pulvergeruch und fürchterliche Schreie. | RAF

7.9.1977 Durchsagen des BKA zur Entführung von Hanns Martin Schleyer

7.9.1977 | Das Bundeskriminalamt wendet sich über die ARD und das ZDF an die Entführer von Hanns Martin Schleyer und geht eingeschränkt auf Forderungen ein. | RAF

14.10.1977 Flugzeugentführung steht in Zusammenhang mit Schleyer-Entführung

14.10.1977 | Die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" gerät in eine dramatische Phase. Der Pressesprecher der Bundesregierung beendet die Nachrichtensperre. | RAF

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