Mehr als zwei Jahre nach der Flutkatastrophe laufen nach wie vor Wiederaufbauarbeiten am Kurhotel in Bad Neuenahr.

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Flutkatastrophe: Wie die Frage nach der Schuld die Menschen im Ahrtal beschäftigt

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Nada Fiebes
Bild von Autorin Nada Fiebes aus dem SWR Aktuell Studio Koblenz unterwegs als Reporterin in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Bei der Flut im Ahrtal starben 135 Menschen. Die Ermittlungen dazu sollen noch in diesem Monat abgeschlossen sein. Aber beschäftigt die Menschen im Ahrtal die Frage nach der Schuld fast drei Jahre nach der Katastrophe überhaupt noch? Ein Stimmungsbild.

Christian Fleischmann aus Sinzig wäre in der Katastrophennacht im Ahrtal beinahe ertrunken. Der 33-Jährige rettete sich in letzter Sekunde aus seiner überfluteten Kellerwohnung. Die Frage, ob es einen Schuldigen gibt und ob der ehemalige Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), zur Rechenschaft gezogen werden sollte, interessiert ihn allerdings kaum. "Ich habe so viele andere Sorgen", sagt er. "Ich habe enorm viel mit dem Wiederaufbau zu tun."

Ich habe so viele andere Sorgen.

Anders sieht es Rudolf Siegmund. Sein Haus in Bad Neuenahr stand in der Flutnacht 2021 vier Meter hoch unter Wasser. "Wir hatten monatelang kein Wasser, keinen Strom, gar nichts." Ihn treibt es um, wie es im Fall Pföhler weitergeht. Es gebe Gerüchte, dass der Landrat in der Katastrophennacht in einem Restaurant gewesen sei, sagt Siegmund: "Und dass er seinen Porsche aus der Garage rausgeholt hat. Viele Leute schimpfen über ihn, weil wir 135 Tote zu beklagen haben."

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Ermittlungen immer wieder Thema in Gesprächen mit Psychologen

Dass die Schuldfrage nach wie vor viele Menschen im Tal beschäftigt, merkt auch die Chefärztin der Ehrenwallschen Klinik in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Psychotherapeutin Katharina Scharping. Sie leitet auch das Traumahilfezentrum im Ahrtal und spricht jeden Tag mit Betroffenen der Flutkatastrophe.

Die Ermittlungen gegen den ehemaligen Landrat seien immer wieder Thema in den Gesprächen - aber nicht das Hauptthema: "Durch die Medienpräsenz dieses Themas werden die Leute einfach noch mal mehr an die Flutkatastrophe erinnert. Das ist einfach ein Trigger."

Trauma-Therapeutin Katharina Scharping
Katharina Scharping leitet das Traumahilfezentrum im Ahrtal. Hier können Menschen nach der Flutkatastrophe psychotherapeutische Unterstützung bekommen.

Etwa zwei Monate nach dem verheerenden Hochwasser im Ahrtal hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz mit ihren Ermittlungen zu den Ereignissen am 14. Juli 2021 begonnen. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob der ehemalige Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, sowie ein Mitglied der Einsatzleitung beim Schutz der Bevölkerung versagt haben: Hätten zum Beispiel durch frühere Warnungen Menschenleben gerettet werden können?

Ermittlungsergebnis wichtig bei Aufarbeitung der Flut

Diese Frage komme hin und wieder auch in seinen Therapiegesprächen auf, sagt der Psychologe Michael Bruckner. Er bietet Paarberatungen für Flutbetroffene im Ahrtal an. Auch ihn selbst beschäftigt die Schuldfrage und was sie mit den Menschen macht.

Er sieht in der Entscheidung der Staatsanwaltschaft ein wichtiges Zeichen für die Betroffenen: "Es geht ein Stück weit um die Frage: Übernimmt der Staat den Aspekt der Gerechtigkeit. Und ich glaube, das ist ein wichtiges Signal und deshalb ist dieses Verfahren unglaublich wichtig."

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Langwierige Ermittlungen im Ahrtal können belastend sein

Bruckner betont, dass es sehr unterschiedlich sei, inwieweit sich Flutbetroffene mit den juristischen Aspekten beschäftigten oder wie wichtig sie für den Einzelnen seien. Er sagt aber gleichzeitig auch: Für die Aufarbeitung seien die ganzen Gutachten, Zeugenaussagen und Entscheidungen wichtig: "Das Zusammentragen aller Aspekte ist ein wichtiger Baustein, um auch kollektiv für ein Tal aufzuarbeiten, was da alles passiert ist."

Das ist jetzt noch eine Sache, die lange dauert, wo man am Anfang gehofft hat, dass es schneller geht.

Dass das alles so lange dauere, könne für manche aber auch zu einer Belastung werden, erlebt seine Kollegin Scharping in ihren Gesprächen mit Flutbetroffenen. "Solange es offen ist, umso weniger kann abgeschlossen werden." Sie verweist darauf, dass es viele Dinge gibt, die lange dauern - so wie der Wiederaufbau. "Die Leute werden gereizt und ausgebrannt. Und das ist jetzt noch eine Sache, die lange dauert, wo man am Anfang gehofft hat, dass es schneller geht."

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Denn noch hat die Staatsanwaltschaft nicht entschieden, ob sie Anklage erhebt oder nicht. Scharping sagt, dass es bei Flutbetroffenen für Verbitterung und Hoffnungslosigkeit sorgen könne, wenn die Ermittlungen eingestellt würden: "Weil wir Menschen einfach das Bedürfnis haben, dass es klare Kausalzusammenhänge in unserer Geschichte gibt. Dass es einen Schuldigen gibt und eine Tat und dann gibt es eine Entschädigung und eine Bestrafung."

Obwohl viele Flutbetroffene im Ahrtal über das Verhalten des ehemaligen Landrats schimpfen und ihn gern auf der Anklagebank sähen, gibt es auch andere Stimmen: Christian Fleischmann aus Sinzig zum Beispiel. Er mahnt zur Mäßigung: "Es ist wohl klar, dass Jürgen Pföhler unterlassen hat, die Bürger im Ahrtal rechtzeitig zu warnen", sagt der 33-Jährige. Aber man müsse aufpassen, dass man keine Hetzjagd auf Pföhler mache. "Er ist ja nicht der Verursacher der Flut. Er hat das Wasser ja nicht in die Ahr gekippt."

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