Buchkritik

Gert Ueding – Bloch, Jens und Mayer. Die Tischgesellschaft der Julie Gastl

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AUTOR/IN
Jörg Magenau

Gert Uedings „Bloch, Jens und Mayer“ ist eine Hommage an eine versunkene Epoche. Drei Geistesgrößen treffen sich regelmäßig zu Austausch und Gespräch. Initiatorin der Tübinger Tischgesellschaft war die Buchhändlerin Julie Gastl. Sie hat es geschafft, die unterschiedlichen Temperamente von Ernst Bloch, Hans Mayer und Walter Jens in ihrem „Bücherhaus“ zusammenzubringen.

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Auf dem Umschlagfoto sitzt der Philosoph Ernst Bloch in der Mitte, wie immer mit der Pfeife im Mund. Von links redet der Literaturwissenschaftler Hans Mayer sicherlich gewohnt druckreif auf ihn ein, rechts setzt der Rhetorikprofessor Walter Jens zu einem seiner gefürchteten Monologe an. Vielleicht hatte Blochs Frau Karola also doch recht, wenn sie mahnte: „Der Jens und der Mayer? Da wirst du wohl kaum zu Wort kommen.“  

Ganz so schlimm wurde es dann aber nicht, jedenfalls nicht in den Versionen der Gespräche, die Gert Ueding nun zu Papier gebracht hat. Ueding muss es schon deshalb wissen, weil er in den 60er und 70er Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter Blochs in Tübingen gewesen ist, dann bei Walter Jens promoviert und bei Hans Mayer habilitiert hat. 1988, nach Jens‘ Emeritierung, übernahm er dessen Lehrstuhl für Rhetorik.  

Eine heroische Epoche des Geistes 

Die Tischgesellschaft, zu der sich die drei Berühmtheiten zusammenfanden, bestand in den Jahren 1974 und 1975. Sie ging auf eine Initiative der Tübinger Buchhändlerin Julie Gastl zurück, die in ihrem „Bücherhaus“ nicht einfach nur Bücher verkaufen wollte.  

Vor allem ein Ort des geistigen Austauschs, der produktiven Erinnerung sollte die Buchhandlung sein, im geistigen Raum Tübingens der Horizont, der über seine beschränkenden Grenzen hinausginge. Denn die gab es genug. 

Vor wenigen Monaten hat die Buchhandlung Gastl Konkurs angemeldet und musste endgültig schließen. Damit ging ein Stück Tübinger Geschichte zu Ende. Gert Uedings Buch ist also auch ein Nachruf auf diesen verschwundenen Ort, ein Rückblick auf die heroische Epoche der Intellektuellen, als Philosophen noch über die Universität hinaus und in die Gesellschaft hinein wirkten und die Tübinger ihre Professoren auf der Straße grüßten.  

Tischgesellschaft im Bücherhaus 

Das Herzstück der Buchhandlung Gastl war die sogenannte „Theologie“, ein separater Raum im ersten Stock mit bequemen Lesesesseln. Hier traf sich die „Tischgesellschaft“, deren Gesprächsrunden Ueding so rekonstruiert hat, wie sie hätten verlaufen können. Dazu zitiert er aus Büchern der Beteiligten und stellt sich Rede und Gegenrede vor. Als stummer Protokollant nimmt er an der Runde teil und mogelt sich als Erzähler dazwischen. Julie Gastl debattiert – entgegen ihres bescheidenen Naturells – auch mit; Bloch hätte sonst nicht mitgemacht.  

Bloch, Jens und Mayer verwandeln sich also ansatzweise in Romanfiguren. Allerdings reden sie ziemlich papieren, als müssten sie unentwegt ihre Bildung beweisen. Was sie natürlich nicht müssen – oder nur deshalb, weil Ueding sie vor seiner Leserschaft profilieren möchte. Doch in den Gesprächen über Immanuel Kant und Thomas Mann, übers Spiel oder über Kunst kommen immer wieder überraschende Ansichten zur Sprache. Sie wirken gelegentlich so aktuell, als zielten sie ganz direkt auf unsere Gegenwart. So ließe sich eine Wortmeldung Hans Mayers auch als Kritik an der Cancel-Culture verstehen:  

Wehe, einer ist nicht auf dem progressiven Stand von heute, und das schon 1700 oder 1800, er verfällt dem Bann der Progressiven, die meinen, sie wären das. In totalitären Regimen werden unliebsame Romane verboten und die Geschichtsbücher gereinigt, in demokratischen Regimen auf den Stand des sogenannten fortschrittlichen Bewusstseins gebracht. Der Furor der geschichtlichen Eiferer ist fürchterlich.“ 

Literarisches Spiel und freudige Fiktion 

Ueding liefert präzise Charakterstudien vor allem zu Walter Jens, der von Ängsten und Depressionen gefährdet war. Sein Buch über die Tischgesellschaft der Julie Gastl ist eine Hommage an seine drei Lehrer. Es ist ein literarisches Spiel, eine freundliche Fiktion und also absolut ernst zu nehmen.  

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