Theater

Lust und Frust – Katharina Stoll zeigt am Badischen Staatstheater „Spring Awakening“ nach Frank Wedekind

Stand
AUTOR/IN
Marie-Dominique Wetzel

Die Autorin und Regisseurin Katharina Stoll hat Frank Wedekinds berühmtes Drama „Frühlings Erwachen“ neu überschrieben und die Figuren ins Heute versetzt. Auch wenn in ihrer Neufassung „Spring Awakening“ am Schluss keiner sterben muss: Heranwachsen ist auch heute kein Zuckerschlecken!

Audio herunterladen (3,7 MB | MP3)

Zwei Teenager zwischen Desillusion und tiefer Sehnsucht

Die Unterschiede sind auf den ersten Blick klar. Die Mutter trägt knallorange, ihre Teenagertochter am liebsten blasses Beige. Da knallen nicht nur unterschiedliche Geschmäcker, sondern zwei sehr verschiedene Lebenseinstellungen aufeinander.

In der Neufassung von Wedekinds „Frühlings Erwachen“, in „Spring Awakening“ von Katharina Stoll ist die Mutter eine aufgeklärte, selbstbewusste Frau während ihre Tochter Wendla ziemlich verklemmt ist. Als ihr Klassenkamerad Melchior bei ihr zu Hause auftaucht, herrscht erst einmal peinliches Schweigen zwischen den Jugendlichen. Der erste Annäherungsversuch endet darin, dass sich Melchior aufs Klo verdrückt, um sich selbst zu befriedigen.

Doch die beiden Teenager merken schnell, dass sie beide zwischen Desillusionierung und tiefer Sehnsucht schwanken.

Spring Awakening am Badisches Staatstheater Karlsruhe
Mutter und Tochter könnten kaum unterschiedlicher sein: Unten Wendla (Soraya Bouabsa), oben ihre Mutter Lulu (Ute Baggeröhr).

Die Eltern sind auch keine Hilfe

Doch der erste Sex mit Melchior ist für Wendla ernüchternd. Als sie ihrer Mutter davon erzählt, kommt die richtig in Fahrt und erklärt ihrer Tochter erst einmal, dass sie völlig falsche Vorstellungen von weiblicher Sexualität und keine Ahnung von ihrer eigenen Lust habe.

Die beiden Rollen, die der Mutter und der Tochter erscheinen anfangs etwas holzschnittartig: hier die aufgeklärte, freizügige Mutter, dort die verklemmte, angepasste Tochter. Aber im Verlauf des Stücks bekommen die Figuren mehr Tiefe. Die Tochter überrascht mit philosophischen Gedankenspielen zu Glück und Freiheit und von der Mutter erfahren wir, dass ihr das Leben einiges zugemutet hat und sie deswegen zur feministischen Kämpferin wurde. Zum Beispiel wegen Männern wie dem Vater von Melchior, der auch mit 60 noch meint, junge Frauen angrapschen zu müssen.

Kein Wunder, dass Melchior nicht so recht weiß, wie er sich als Mann verhalten soll, auf keinen Fall will er aber so eine Ausgeburt toxischer Männlichkeit werden wie sein Vater.

Spring Awakening am Badisches Staatstheater Karlsruhe
Wendlas Mutter, die Sextherapeutin Lulu (Ute Baggeröhr), macht ihr Druck, sich als kämpferische Frau behaupten zu müssen und Melchiors Vater (André Wagner) ist ein abschreckendes Beispiel an toxischer Männlichkeit.

Alle bekommen ihr Fett weg

In der Neufassung von „Spring Awakening“, die die Regisseurin Katharina Stoll gemeinsam mit dem Schauspielensemble des Badischen Staatstheaters erarbeitet hat, bekommen letztendlich alle ihr Fett weg. Und immer wenn der Text droht, pädagogisch zu werden, kippt die Szene ins Groteske.

Am Ende gehen Wendla und ihre Freundin im Dunkeln schwimmen. Melchior hat Angst und beklagt sich, dass das mit der Liebe heute alles so kompliziert sei. Die Freundinnen hören ihm da schon nicht mehr richtig zu, sie erfreuen sich an ihrer neu erwachten Lust.

Seit Frank Wedekind 1891 die literarische Vorlage, sein Stück „Frühlings Erwachen“, geschrieben hat, hat sich einiges getan. Aber so aufgeklärt, liberal und gleichberechtigt wie oft behauptet, ist unsere Gesellschaft auch heute noch nicht. Und auch wenn in Katharina Stolls jetziger Fassung keiner der Jugendlichen mehr unter der bigotten Gesellschaft zerbricht und sterben muss: Das Heranwachsen in unserer Zeit ist auch alles andere als ein Zuckerschlecken!

Mehr Bühne

Bühne Mutiges Experiment: Staatstheater Mainz verlegt „Woyzeck“ ins Schlachthaus

Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ ist ein Klassiker auf deutschen Bühnen. Die Regisseurin Mirjam Loibl holt das Schauspiel in die Gegenwart und lässt die Hauptfiguren Woyzeck und Marie in einem Schlachtbetrieb arbeiten. Ihr Stück „Woyzeck I Marie“ zeigt eine Pantomime, unterlegt von einer Klang-Collage aus Musik und eingesprochenen Textpassagen. Ein mutiges Experiment, das allerdings nicht zu einem überzeugenden Ergebnis führt.

SWR2 am Morgen SWR2

Theater Rasanter Shakespeare in Stuttgart: „Was Ihr wollt“ – Liebe ist eine Projektion

Shakespeares frivole Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“ wird am Schauspiel Stuttgart von Intendant Burkhard C. Kosminski mal boulevardesk, dann wieder melancholisch abgründig inszeniert. Die Geschlechterrollen verschwimmen, in Bezug auf die Selbsterkenntnis wird auch dem Publikum der Spiegel vorgehalten. Bunt, verrückt und doch mit ernstem Kern: Grenzenlose Liebe ist oft nur Projektion.

SWR2 Journal am Mittag SWR2

Virtual-Reality-Inszenierung im Vorlesungssaal der Uni Heidelberg Theater Heidelberg zeigt "Freud träumt. Anna O." - In Träume eintauchen mit VR-Technik

Am Theater Heidelberg bringt das Kollektiv die Dreiecksgeschichte um Sigmund Freud, seinem Kollegen Josef Breuer und der Patientin Anna O. auf die Bühne. Das Publikum erlebt dabei mit VR-Brillen zusätzliche Perspektiven. Mit den VR-Brillen könnten andere Räume oder Erfahrungen wie Träume kreiert werden, die auf einer klassischen Bühne nicht möglich seien, so Regisseur Bernhard Mikeska.

SWR2 Journal am Mittag SWR2

Bühne „Extrem teures Gift“ am Theater Trier – Die Vergiftung des Ex-Spions und Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko

Das Stück „Extrem teures Gift“ erzählt, wie der russische Ex-Spion und Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko 2006 mit Plutonium ermordet wurde.

SWR2 Journal am Mittag SWR2

Bühne Grandiose sängerische Leistung: „Eugen Onegin“ am Theater Heidelberg

Dieser „Eugen Onegin“ am Theater Heidelberg ist einer der besten, den man derzeit erleben kann., findet SWR2 Opernkritiker Bernd Künzig.

SWR2 am Morgen SWR2

Basel

Oper Voller Wut, aber ohne Fallhöhe: „Die Walküre“ feiert Premiere am Theater Basel

Die Neuproduktion von Richard Wagners Opernvierteiler „Der Ring des Nibelungen“ versteht Intendant und Regisseur Benedikt von Peter als ein groß angelegtes Familienstück. Nach der kompletten Familie geht es im ersten Tag „Die Walküre“ um die Kinder des Familienoberhaupts Wotan. Sie sind letztlich Werkzeuge im Spiel um die Macht, mit dem der Ring der Herrschaft zurückerobert.

SWR2 am Morgen SWR2

Stand
AUTOR/IN
Marie-Dominique Wetzel