Der Friedrichring in Freiburg: Die breite Durchgangsstraße steht wohl in keinem Reiseführer, dennoch lohnt sich ein Besuch. (Foto: SWR)

Barbiere, Banken, Bubble-Tea: Insights fernab der Tourismus-Hotspots

Freiburg, ungeschminkt: der Friedrichring und seine Gesichter

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Michael Hertle
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Anita Westrup
Anita Westrup ist Reporterin und Redakteurin im SWR Studio in Freiburg. (Foto: SWR)

Freiburg ist ein Touristenmagnet. Aber der Friedrichring taucht wohl in keinem Reiseführer auf. Warum sich ein Besuch abseits der Bilderbuch-Altstadt dennoch lohnt.

Breite Asphalt-Achse, schnöde Nachkriegshäuser, schmuckloser Durchgangsverkehr - der Friedrichring in Freiburg. Kein Ort, wo man hinfährt, höchstens vorbei. Aber warum nicht mal anhalten und die Gesichter der Straße kennenlernen? Den "Lampenmeister" Freiburgs oder den Barbier-König. Eine versteckte Pizzeria im Hinterhof oder ein altehrwürdiges Bankhaus von 1879. Spannende Geschichten, die SWR-Reporter Michael Hertle in einer fünfteiligen Serie für die Landesschau Baden-Württemberg herausgefunden hat.

Der Friedrichring in Freiburg - eine Straße und ihre Gesichter. (Foto: SWR)
Der Friedrichring in Freiburg - eine Straße und ihre Gesichter.

Zerstört und schnell wieder aufgebaut

Der Friedrichring, eine große Ringstraße am Rande der Freiburger Innenstadt. Die Rückseite der malerischen Altstadt-Gassen. Hier hat Doris Reymond den größten Teil ihrer 84 Lebensjahre verbracht hat. Ihr gehört das Haus mit der Nummer 14. Nur ein paar Schritte entfernt, in derselben Straße, kam sie zur Welt - 1940, mitten im Krieg.

Beim Bombenangriff im November 1944 wurde weite Teile Freiburgs zerstört - auch der Friedrichring. (Foto: Stadtarchiv Freiburg)
Beim Bombenangriff im November 1944 wurde weite Teile Freiburgs zerstört - auch der Friedrichring.

Als Doris Reymond gerade einmal vier Jahre alt war, fielen Bomben auf Freiburg und verwandelten den Friedrichring in ein Trümmerfeld. "Als wir kamen, waren nur noch Trümmer", erinnert sich die 84-Jährige. Sie und die anderen Bewohnerinnen und Bewohner ließen sich nicht unterkriegen und bauten ihre Häuser wieder auf, Stein für Stein.

Ihr Haus war das erste, das wieder stand - ein schnell errichteter Bau aus den 50er-Jahren. Vor dem Krieg säumten verzierte Geschäftshäuser aus der Gründerzeit den Friedrichring: Miederwarengeschäfte, Blumenläden, Metzgereien und Zigarrenläden. Heute ist der Friedrichring eine vielbefahrene Durchgangsstraße, kein Schmuckstück, das Touristen anzieht. Man geht einfach vorbei.

Barbiere und Bubble-Tea: Neues Leben am Ring

Seit die neue Straßenbahnlinie am Friedrichring vorbeiführt, hat er sich sogar ein bisschen zum Boulevard gemausert. Ein Geschäft sticht besonders hervor: Der Salon von Mohamed Akba, besser bekannt als Memo, funkelt in Gold und Glitzer und zieht die Blicke der Passanten auf sich. Memo ist nicht nur ein Friseur, er ist der Barbierkönig des Friedrichsrings. Mit drei Salons, die er hier betreibt, hat er sich ein kleines Imperium aufgebaut. Er träumt davon, sich hier über kurz oder lang wie in Istanbul zu fühlen.

Auch Doris Reymond und ihr Mann führten einst einen Salon im Erdgeschoss ihres Hauses. Doch das ist Vergangenheit. Heute duftet es in den Räumen nach Tee, Milch und Sirup. Bunte, prickelnde Gummiperlen schwimmen in den Getränken. Ein vietnamesischer Bubble-Tea-Laden hat hier vor einem Jahr seine Türen geöffnet. Binh An Nguyen, die Besitzerin, schätzt die Lage am Stadtrand. Hier seien die Mieten nicht so teuer.

Eine Meile mit Traditionsunternehmen

Neues Leben neben Tradition: Gregor Kaiser zum Beispiel betreibt am Friedrichring ein fast 90 Jahre altes Elektrogeschäft. Sein Großvater hatte 1937 den "Elektro-Disch" gegründet. Zu kaufen gibt es unter anderem Bügeleisen, Wasserkocher und Lampenschirme. Über dem Laden erstrecken sich drei Etagen mit Wohnungen, die Kaiser vermietet.

Einmal, erzählt Kaiser, stand ein Mieterwechsel an. Ein Mann mietete gleich zwei Wohnungen und vermietete sie zimmerweise weiter. Was folgte, war ein zweistöckiges Bordell, das über zwei Jahrzehnte hinweg seinen Betrieb aufrechterhielt. Doch dann schritten Polizei und die Stadt ein und schlossen das Etablissement. Heute wohnen Studierende in den Wohnungen.

Eine Bank als Familienunternehmen

Nur wenige Schritte entfernt thront das Bankhaus Mayer. Seit 1879 ist die Privatbank in Freiburger Familienbesitz. Jürgen Imm ist das Familienoberhaupt. Das Hauptgeschäft: Kredite für mittelständische Unternehmen der Region. Die Bank ist anders als alle anderen Geldinstitute. Sie ist ein Familienunternehmen.

"Ich persönlich hafte auch privat für die Bank. Aber das ist nicht entscheidend für meine Tätigkeit. Aber es mag vielleicht doch eine Rolle spielen im Vergleich mit anderen Banken", erzählt Jürgen Imm. Viele Anwohnerinnen und Anwohner haben beim Bankhaus Mayer ihr Konto, so auch Doris Reymond.

Ganz in der Nähe des Bankhauses werkelt Zahntechniker Günther Bretz. Seit bald 30 Jahren hat er sein Labor mit Aussicht – auf den Friedrichring. Die Hälfte der Zeit ist Sara Bohmann mit dabei. Es geht um Tausendstel Millimeter, damit es hinterher im Mund auch absolut genau passt. Das Allermeiste ist noch Handarbeit, die Zahnkrone aus der Computerfräse die Ausnahme - noch. Die beiden Zahntechniker schätzen inzwischen diese Straße.

Es ist ein bisschen belanglos, aber ich mag die unterschiedlichen Leute hier, das ist einfach Leben.

Kulinarische Vielfalt, internationales Flair

In der Mittagspause geht es häufig zur "Beatzzeria", einer versteckten Pizzeria in einem Hinterhof. Den Laden schmeißt Beni aus Kalabrien. Er ist nach Freiburg wegen der Liebe gekommen. "Wir machen nur italienische Spezialitäten, keine Ananas", sagt er mit einem Lächeln. Italiener, Afghanen, Syrer - das Zahntechniker-Duo schätzt die kulinarische Vielfalt am Friedrichring. Ebenso wie die Straße vor ihrer Haustür.

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Anita Westrup ist Reporterin und Redakteurin im SWR Studio in Freiburg. (Foto: SWR)