Fabian Müller (Foto: Gregor Hohenberg)

Lotte Thaler

»Ich dürste nach Musik«

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Als Fabian Müller 2020 bei den Schwetzinger SWR Festspielen debütierte, hatte er mit der monumentalen Concord-Sonate von Charles Ives und seiner verwegenen Appassionata op. 57 von Ludwig van Beethoven sein Publikum sprachlos gemacht. Damals galt er den meisten noch als unbeschriebenes Blatt. Immerhin als Nachwuchspianist, der als einer der wenigen Deutschen in dieser Disziplin einen stolzen Zweiten Preis beim ARD-Musikwettbewerb errungen hatte. Wenn er jetzt nach vier Jahren mit drei Konzerten nach Schwetzingen zurückkehrt, ist aus dem Newcomer ein Residenzkünstler geworden. Nicht nur als Pianist ist er mit vollem Terminkalender im Geschäft. In der Zwischenzeit ist er auch Dirigent, Orchestergründer und Hochschullehrer geworden, und zuletzt hat er sich beim Klavierfestival in Husum sogar noch als Komponist vorgestellt. Zudem leitet er seit 2017 die Konzertreihe »Bonner Zwischentöne« an der dortigen Trinitatiskirche, wo sein Vater Pfarrer war. Wie kriegt Fabian Müller all diese Tätigkeiten zeitlich und organisatorisch unter einen Hut? Er sei tatsächlich am Limit, gesteht er mir im Interview, aber sein Appetit habe noch kein bisschen nachgelassen: »Ich dürste nach all diesen Dingen und vor allem nach Musik.« Seine Begeisterung überwiege in jeder Sekunde: »Ich arbeite viel, und manchmal zehrt es an mir, aber das ist vielleicht gerade der Moment im Leben, in dem man mutig und fleißig sein muss.«

Als gebürtiger Bonner fühlt sich Müller Beethoven sehr nahe. Deshalb knüpft er mit zwei weiteren Klaviersolitären Beethovens an seinen ersten Schwetzinger Auftritt an. Seinen Soloabend am 12. Mai wird er mit der Waldstein-Sonate op. 53 beenden, also mit dem hymnisch-ekstatischen Gegenstück zur Appassionata. Technisch wie musikalisch sind beide Sonaten ähnlich anspruchsvoll, aber ihre Zielrichtungen liegen diametral auseinander: Die Waldstein-Sonate strebt ins Paradies, die Appassionata in den Orkus. Fabian Müller wehrt sich vehement gegen eingefahrene Rezeptionsmuster und hält etwa das Spätwerk Schuberts nicht für Todesmusik, sondern für Musik des Aufbruchs. Aber zurück zu Beethoven. Mit seinem vierten Klavierkonzert op. 58 beginnt Müllers Schwetzinger Konzerttrias am 11. Mai, zusammen mit dem SWR Symphonieorchester und dem Dirigenten Antonella Manacorda. Müllers Lieblingskonzert: »Es ist eine große Herausforderung, aber es gehört in meinen Augen zu den zehn größten Kunstwerken der klassischen Musik.« Und es widerlegt jedes Beethoven-Klischee – wie auch Beethovens etwa gleichzeitig entstandenes Violinkonzert op. 61 –, denn hier spricht der Lyriker und Poet Beethoven, nicht der Dramatiker und Revolutionär wie im dritten und fünften Klavierkonzert. Eine Zitterpartie ist es erst recht, angefangen bei dem suchenden, solistischen Einstieg, der wie ein selbstvergessenes Präludieren wirkt, über den magischen Mittelsatz im Kampf des Klaviers gegen eine unerbittliche Streicherwand bis zum ausgelassenen Finale: »Es ist auch unglaublich virtuos, es gibt so viele Noten«, stöhnt Müller. Lange Läufe des Klaviers, die nicht mit Akzenten unterteilt werden können und deren letzte Note mit dem Orchester zusammen sein muss. Das ist einer der Gründe, warum Fabian Müller lieber vom Klavier aus selbst dirigiert: dann schauen die Musiker auf den Pianisten, der vor dem Orchestereinsatz nur noch »mit dem linken Auge zwinkern« muss. Deshalb hat er kürzlich seine Trinity Sinfonia gegründet, abgeleitet von der Trinitatiskirche, und ist mit ihr auf Tournee gegangen. Bei der Frage, was er mit einem eigenen Orchester besser erreichen kann als mit einem fremden, wird der Rheinländer euphorisch: »Mit einem fremden Orchester ist es wie bei einem ersten Date: Man flirtet, man versucht charmant zu sein, man gibt etwas und schaut, was man kriegt. Mit meinem Orchester ist es wie mit einem besten Freund, man muss sich für nichts schämen, man kann alles aus sich rauslassen und man braucht keine Angst zu haben, dass die Musiker zu höflich wären, sich darüber zu beschweren.«

Dirigieren hat Müller neben dem Klavier studiert, Komposition aber nicht. Dafür fühlte er sich zu weit entfernt von der aktuellen akademischen Ausbildung in diesem Fach, wie er zugibt. Aber er hat schon als Kind begonnen, kleine Sachen zu schreiben, »irgendwo zwischen Mozart und Beethoven«. Als er dann die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts kennengelernt hatte, folgte eine lange Pause: »Da war ich verwirrt und wusste nicht, was für eine Art von Musik ich eigentlich schreiben wollte. Seit einigen Jahren kam ich dann aber immer mehr auf die Spur: Ich bin überzeugt, dass man nicht ›gute‹ Musik komponieren kann, sondern nur Musik, die man selber braucht.« Im letzten Sommer stellte er in Husum seine erste Klaviersonate vor. Wo sieht er sich stilistisch innerhalb der zeitgenössischen Musik? »Zu traditionell für Avantgardisten, zu modern für Traditionalisten. Aber ich kann weder auf tonales Material verzichten, noch auf atonales. Ich finde es schade, dass man sich begrenzen soll, ich möchte lieber aus dem Vollen schöpfen.«

Dass sich Fabian Müller in Schwetzingen nicht zuletzt als Kammermusiker präsentieren möchte, liegt für ihn als Allrounder auf der Hand. Aber auch hier geht er sehr eigene Wege, sucht nicht die näher liegende Verbindung mit Streichern, sondern die ausgefallene, sehr aparte Kommunikation mit zwei Bläsern: dem Staroboisten Albrecht Mayer und dem Solo-Fagottisten des Sinfonieorchesters des HR, Theo Plath, zugleich Mitglied im Monet Quintett und der Trinity Sinfonia. Neben Werken von Jean Françaix und Camille Saint-Saëns werden hier auch die Interférences I (1972) für Fagott und Klavier des 2019 verstorbenen französischen Komponisten, Dirigenten und Pianisten Roger Boutry zu hören sein. Er hatte, wie es sich in den 50er-Jahren gehörte, bei Nadia Boulanger studiert, wurde dann selbst als Hochschullehrer sehr einflussreich und leitete viele Jahre das Orchester der Garde Républicaine. Wie kam Fabian Müller zu dieser Vorliebe? »Ich habe schon als Kind viel französische Kammermusik mit Bläsern gemacht, und es freut mich, dass ich mit Albrecht Mayer und Theo Plath zwei Bläser neben mir habe, deren Fähigkeiten wirklich ein Wunder sind.« Das heißt aber, dass der Pianist mit den Bläsern mitatmen muss. Wie selbstverständlich ist dies für Fabian Müller? »Ich singe viel unter der Dusche, ich habe also Übung!«

(gekürzte Fassung eines Essays aus der Saisonbroschüre der Schwetzinger Festspiele)

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