Schwetzinger SWR Festspiele

„Der Doppelgänger“ in Schwetzingen: Lucia Ronchettis Chance für Dostojewski

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Martina Senghas
Martina Senghas
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Dominic Konrad

Am 26. April beginnen die Schwetzinger SWR Festspiele. Und wie in jedem Jahr steht zum Auftakt eine Opern-Uraufführung auf dem Programm: „Der Doppelgänger“, ein Musiktheaterwerk der italienischen Komponistin Lucia Ronchetti auf ein Libretto der ukrainisch-deutschen Schriftstellerin Katja Petrowskaja nach dem gleichnamigen Roman von Fjodor Dostojewski.

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Ein Doppelgänger am Arbeitsplatz

Unheimlich und etwas bedrohlich, das ist eine der Grundstimmungen in dieser Oper, die auf Fjodor Dostojewskis relativ kurzem Roman „Der Doppelgänger“ beruht. Im Zentrum der Geschichte steht Jakow Goljadkin, ein unscheinbarer Beamter aus Sankt Petersburg, der in kürzester Zeit einige sehr merkwürdige Dinge erlebt.

Regisseur David Hermann erklärt die Handlung: „Erst hat er ein Hochgefühl, wo er zum Arzt geht, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Dann hat er einen Kaufrausch. Dann lädt er sich selbst zu einer Feier ein, wo gar nicht erwünscht ist, und denkt, dass eine Tochter aus höherem Haus in ihn verliebt ist. Und plötzlich auf der Arbeit ist ihm ein Mensch gegenüber, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist und auf seinem Platz sitzt. Und alle finden das ganz normal.“

Szenenfoto von der Klavierhauptprobe zur Premiere von "Der Doppelgänger"
Peter Schöne (Goljadkin) und Christian Tschelebiew (Doppelgänger)

Dieser Doppelgänger verdrängt Goldjadkin mehr und mehr aus dessen Leben und ist erfolgreicher als sein Original – sowohl beruflich als auch privat. Schließlich landet Goljadkin in der Psychiatrie. Wobei unklar ist ob das Schiziphrenie ist oder Manie, erklärt der Regisseur.

„Ob das ein pathologisches Bild ist von Dostojewski oder ein phantastisches“, so Herrmann, „oder ob es eine Parabel ist auf eine Gesellschaft, die total bürokratisiert ist und auf Funktionieren getrimmt ist. Wo jemand, der mal nicht so funktioniert, einfach ausgesondert wird. Und das erleben wir an diesem Abend.“

„Ich habe nie gedacht, dass es möglich wäre, eine Oper über Dostojewski zu machen“

Dostojewski begleite sie schon lange, meint Komponistin Lucia Ronchetti: „Aber ich habe nie gedacht, dass es möglich für mich wäre, eine Oper über Dostojewski zu machen. Und dann habe ich dieses Treffen mit Katja Petrowskaja gehabt. Sie ist Ukrainerin, aber sie hat Dostojewski im Original gründlich studiert. Ich habe gedacht, das ist eine Chance.“

Nämlich die Chance, mit einem Libretto arbeiten zu können, das die Musikalität des Romans erfasst und wiedergibt. Für Lucia Ronchetti ist Dostojewski ein Meister des Timings.

Er hat sie zu einer Komposition inspiriert, in der es viel um Stimmen und den genauen Einsatz unterschiedlicher Stimmen geht; um Schatten-Gesang, der teilweise aus dem Off hinter der Bühne kommt: eine Partitur für Solisten, männliche Stimmen, Vokalensemble und Orchester.

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Katja Petrowskaja bleibt nah dran am Roman von Dostojewski

Katja Petrowskajas Libretto ist nah dran am Originaltext. Eine Art Kondensat, in dem sie Raum lässt für die Musik, Sprache und Gesang. Musik und Geflüster gehen teilweise ineinander über.

„Es gibt Momente, wo das Orchester so richtig begleitet, aber das ist eher die Ausnahme, erklärt der musikalische Leiter Tito Ceccherini. „Öfter hat das Orchester einen Teil der Psychologie der Charakter. Zum Teil hört man die Posaune, wie sie spricht. Oder wir hören die Bassklarinette, die so wie ein Mann atmet, der gerade schnell laufen musste.“

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Dostojewski hat etwas Mythos-Artiges

Das Motiv des Schattens und des Doppelgängers gibt es in der Kunst schon lange. Will die Oper es in die Gegenwart holen, in der die eigene Identität sich mit digitalen Parallelwelten auseinandersetzen muss?

Jein, sagt Regisseur David Hermann: „Dieser Moment, dass jemand im Raum ist, der genauso ist wie wir und sogar besser, das hat ja durchaus etwas avatar- oder roboterartiges. Und zeigen wir im Kostüm und auch im Spiel von diesem Doppelgänger. Dass er so etwas merkwürdig Steriles hat. So etwas total Funktionierendes, aber es ist kein Roboter, es ist wie die verbesserte Version nur ohne Fehler.“

Aber das ist das Tolle bei Dostojewskis Stoff, dass es so etwas Mythos-Artiges hat. Es geht sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft.

Gegenwärtig und zeitlos zugleich

Steril und funktional wirkt auch das Bühnenbild. Ein schlichter Rahmen mit Zwischenböden und -wänden, die alle verschiebbar sind. Dadurch entstehen Räume, in denen die Figuren mal aufrecht stehen, mal eingequetscht werden. Dabei geht es nicht zuletzt um soziale Positionen: Wer muss wann wir gebückt sein, während jemand anderer über ihm steht.

Auch für die Komponistin Lucia Ronchetti hat dieser Stoff etwas Gegenwärtiges und Zeitloses zugleich. Deshalb spiele sie auch viel mit Zitaten, meint sie. Mechanismen, die die eigene Identität bedrohen, die gibt es in digitalen Zeiten genauso wie zu Dostojewskis Zeiten.

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