#Avi Avital (Foto: Christoph Köstlin)

Ines Pasz

»Du kannst es nicht beschreiben, aber du fühlst es«

Stand

Als einen Botschafter sieht sich Avi Avital, einen Botschafter für die Mandoline. Die sei, so Avital »wahrscheinlich eines der meistunterschätzten Instrumente der Welt, aber ich finde sie wundervoll«, und er erklärt auch gleich warum: »Dieses Instrument ist nicht festgelegt in seinen Möglichkeiten. Die Mandoline hat sich auf sehr freie, sehr grenzenlose Weise entwickelt, je nachdem, was musikalisch gerade gebraucht wurde, je nach Kultur oder sozialen Aspekten.« Klingende Diversität also, könnte man sagen, auch, weil das kleine Zupfinstrument so handlich ist, so unmittelbar in seinem Klang, der silbrig hell ist und so flexibel einsetzbar. Erst einmal muss die Mandoline sich aber gegen alle möglichen Klischees durchsetzen, gegen ihr Gondoliere-Image, gegen »O sole mio« und »Amore mio« in südlicher Sommernacht. Nein, die Mandoline hat wesentlich mehr zu bieten als nur Folklore-Kitsch. Sie ist nicht nur polyglott unterwegs, sondern in ihrem Äußeren und ihrem Klangbild enorm vielseitig. »Meine Mandoline zum Beispiel«, so Avital »sieht sehr viel anders aus als die italienische Mandoline, die man von alten Gemälden kennt, mit dem ballförmigen Klangkörper, und die wiederum sieht ganz anders aus als die flache Mandoline der USA oder die Mandoline in Südamerika. Das ist einzigartig für ein Musikinstrument.« 

Geboren wird Avital 1978 in Be’er Schewa, in Israel. Seine Eltern stammen aus Marokko. »Wie viele Emigranten, gerade aus Nordafrika, stehen sie unter einem großen Druck, sich in ihrer neuen Heimat zu assimilieren«, erklärt er. Dass sie ihren Sohn in eine Musikschule schicken, um klassische Musik zu lernen, ist Teil dieser Assimilierung. Aber Avital geht freiwillig. Mehr als das. Als er mit acht Jahren zum ersten Mal eine Mandoline hört, ist er wie elektrisiert, will das Instrument unbedingt lernen. Allerdings ist sein erster Lehrer Simcha Nathansohn gar kein Mandolinist, sondern Geiger. Geige wird an der örtlichen Musikschule nicht gebraucht, aber im Keller liegen einige Mandolinen. Die nimmt sich Nathansohn und überträgt alles, was er kennt, auf die Mandoline, transkribiert ganze Mozartsinfonien für sein Jugendorchester. So lernt Avi Avital schon früh ein großes Repertoire kennen, weitet seinen musikalischen Horizont und erlebt das Zupfinstrument nicht nur im engen Radius seiner eigenen klanglichen Möglichkeiten. Nach seinem Unterricht in Israel geht Avital mit 20 Jahren nach Italien, in das Geburtsland der Mandoline und macht sich auf die Suche. Auf die Suche nach den Ursprüngen der Mandoline, ihrer Geschichte, nach ihren soziokulturellen Bezügen. Im Laufe der Zeit nämlich macht das Instrument eine enorme Wandlung durch, vom heiteren Zeitvertreib für Wohlhabende zum Alltagsinstrument für das Bürgertum und auch für die einfachen Leute. Aus den Salons der Aristokratie wandert sie in die Wohnzimmer der Städte, in die Friseurstuben, die Gasthäuser, die Hafenkneipen. Nur die klassische, komponierte Musik, die verweigert sich der Mandoline lange Zeit, vielleicht bis heute. Fast alle Werke, die für das Zupfinstrument geschrieben werden, stammen von Mandolinenvirtuosen, denn nur sie zeigen Interesse an neuem Repertoire. Es braucht also Künstler wie Avi Avital, die die Mandoline aus diesen Zwängen befreien und ihr zu einer gewissen »Seriosität« verhelfen. Avital schafft das mit seinen Kompositionsaufträgen, seinen Arrangements, seinen Konzerten zusammen mit bedeutenden Persönlichkeiten der Klassik-Szene und mit seiner enormen Spielkunst. Als erster Mandolinen-Solist wird er für einen klassischen Grammy nominiert, man vergleicht ihn mit Virtuosen wie Jascha Heifetz und Andrés Segovia und nennt ihn in Kritiken »explosiv charismatisch« (New York Times).

Aber zurück zu Avitals Lebensweg. In Italien also erforscht er die Geschichte und die Entwicklung der Mandoline, eine hochinteressante Arbeit am für einen Musiker sicherlich schönsten und inspirierendsten Ort der Welt. »Mein Leben in Italien war wundervoll«, erzählt Avi Avital, »großartiges Essen, köstlicher Wein, die Kultur absolut umwerfend. Aber ich war dort eben ein Mandolinist.« Und das bedeutet, dass Konzertveranstalter, Festivals, Orchester und Dirigenten ihn nicht ernst nehmen. Die große Bühne bleibt ihm verwehrt. Avital wird klar: für seinen Traum von einer erfolgreichen Musikerkarriere muss er Italien verlassen. Aber wohin? 2009 zieht er nach Berlin und lebt dort bis heute. Für ihn als gebürtigen Israeli auch eine Herausforderung, aber er sieht die Stadt vor allem als eine lebendige und pulsierende Metropole, als ein Zentrum der Musikindustrie, der Konzertveranstaltungen. Gleich macht er sich auf die Suche nach einem großen, bedeutenden Label, bei dem er veröffentlichen und mit dem er konstruktiv zusammenarbeiten kann. Er findet es in der Deutschen Grammophon. Warum brauche die Welt Bach auf der Mandoline, fragen ihn die Plattenbosse. Er selbst weiß es, aber ihm ist auch klar, dass man es hören muss, um es zu begreifen. Also produziert Avital sein erstes CD-Master selbst. Er sucht sich einen renommierten Tonmeister, einen idealen Aufnahmeort, ein motiviertes und qualifiziertes Kammerorchester – die Kammerakademie Potsdam – und legt los. Keine Kompromisse will er eingehen, sondern lediglich »von allem das Beste«. Fast seine ganzen Ersparnisse steckt Avital in das Projekt, ist zuletzt aber glücklich und wie berauscht vom Ergebnis.   

Man kann fast alles auf der Mandoline spielen, das scheint die Botschaft von Avi Avital, entscheidend aber ist dabei, wie man es spielt. Bei ihm jedenfalls klingt Barockmusik, klingt Wiener Klassik enorm energetisch, pulsierend, mitreißend, mit extremen Dynamiken, mit einer riesigen Amplitude an Ausdrucksmöglichkeiten. Daneben gibt in den langsamen Sätzen aber auch immer wieder ruhige, kontemplative Momente der Stille. »Stille ist unser Rahmen«, sagt Avi Avital, »sie ist absolut wichtig. Auf sie stützt sich unsere Kunst.« Das bezieht Avi Avital nicht nur auf die klassische Musik. Seine Neugierde ist grenzenlos und unerschöpflich. Jazz, Klezmer, Tango oder Folklore, ihn interessiert jeder Musikstil. »Ich sehe unterschiedliche Genres wie Jazz, Pop, Rock oder Volksmusik als Dialekte derselben Kunst, verschiedene Annäherungen an dieselbe Kunstform«, erklärt er, »es hat mich immer interessiert und fasziniert, die Nuancen jedes Genres einzufangen, zu verstehen, mit welchen Mitteln das jeweilige Genre künstlerische Erfahrungen kreiert.« Am liebsten spielt er zusammen mit anderen. Denn dann, so Avital, könne er deren Erfahrungen erleben und teilen, fühle sich inspiriert und animiert. »Ich habe so viel von anderen gelernt, schon aus rein egoistischen Gründen spiele ich also lieber mit anderen.« Allerdings inspiriert er selbst auch diese anderen. Vor allem Komponisten. Über 100 Werke gibt Avi Avital in Auftrag, darunter Konzerte für Mandoline und Orchester von Anna Clyne, Jennifer Higdon, Avner Dorman, David Bruce und Giovanni Sollima. Die Interpretation der Werke für Mandoline ist ein großes, weißes Feld, und Avi Avital ist angetreten, es mit Konturen und mit Farbe zu füllen. Inspirieren lässt er sich dabei von jeder Art von Kunst. Ausstellungen, eine Tanzshow, Literatur, Theater, all das gibt ihm spirituelle Nahrung. Zuletzt aber fließt bei ihm alles zusammen in der Musik, sie ist das zentrale Moment in seinem Leben. Als Residenzkünstler bei den Schwetzinger SWR Festspielen 2024 wird Avi Avital diese Überzeugung auch an sein Publikum weiterzugeben versuchen. Konzerte und Konzertsäle bieten für ihn eine Projektionsfläche für eine einzigartige Energie, die dann entsteht, wenn viele Menschen im selben Raum gemeinsam die gleiche Musik hören. Sein Konzert am 11. Mai schafft einen immens weiten Raum von Mozart, über Saint-Saëns, de Falla und Strawinsky bis zu Sergei Voitenko, russischer Musiker, Komponist, Autor und Performer. Faszination inklusive. »Das ist das Schöne an meinem Beruf«, so Avital, »wenn Magie im Konzertsaal erzeugt wird. Du kannst es nicht beschreiben, aber du fühlst es.«

(gekürzte Fassung eines Essays aus der Saisonbroschüre der Schwetzinger Festspiele)

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SWR