Pygmalion (Foto: SWR)

Thomas Betzwieser

Rousseaus Melodram Pygmalion in Deutschland

Stand

Das Melodram zählt zweifellos zu den merkwürdigsten Erscheinungsformen innerhalb des an musikdramatischen Gattungen reichen 18. Jahrhunderts. Es liegt gewissermaßen auf der Schnittstelle von Schauspiel und Oper, mehr noch setzt es die beiden konstitutiven Medien Text und Musik demonstrativ in Szene. Dies rührt nicht zuletzt daher, dass das Melodram buchstäblich eine Erfindung war. Der »Erfinder« war kein Geringerer als Jean-Jacques Rousseau, der nicht nur mit wirkmächtigen philosophischen Schriften, sondern auch mit musiktheoretischen und musikalischen Werken in Erscheinung trat. 1762 konzipierte Rousseau eine kleine »scène lyrique«, betitelt Pygmalion. Der Philosph war davon überzeugt, dass sich die französische Sprache grundsätzlich nicht für eine Vertonung eigne, insbesondere nicht für das (Accompagnato-)Rezitativ, wo es auf eine Verschmelzung von poetischem und musikalischem Akzent ankam. Die Konsequenz aus dieser Überlegung war, dass Rousseau Text und Musik voneinander separierte und in getrennten Blöcken erscheinen ließ. Aus der Sicht Rousseaus konnten auf diese Weise sowohl die französische Sprache, als auch Musik und schauspielerische Deklamation ihre volle Wirkung entfalten. Die melodramatische Form war geboren, für welche Pygmalion das Exemplum darstellte.

Das Sujet, das auf Ovids Metamorphosen zurückgeht und in dem sich eine »elfenbeinerne Figur« unter den Händen des Bildhauers Pygmalion in einen Menschen verwandelt, war ein beliebter Stoff und hatte zahlreiche künstlerische Anverwandlungen erfahren, auch auf der Opernbühne, unter anderem durch Jean-Philippe Rameau 1748.

Anders als in Frankreich, wo das von Rousseau inaugurierte Genre ein Kuriosum blieb, stieß das Melodram vor allem im deutschsprachigen Raum auf lebhaftes Interesse seitens der Komponisten. Durch seine Akzentuierung von Ausdruck und Gestik fiel das Melodram zudem im deutschen »Sturm und Drang« auf besonders fruchtbaren Boden. Rousseaus Pygmalion verbreitete sich rasch auf deutschen Bühnen, bereits 1772 kam es in Weimar zu einer Aufführung. Oft ist aber nicht mehr eruierbar, ob dabei Coignets originale Musik erklang oder eine Neuvertonung. Das Textbuch der Mannheimer Aufführung von 1778 weist dagegen die Verwendung der Originalmusik aus (»mit Begleitung der Musik des Hrn. Coignet«).

Bemerkenswert ist, dass Rousseaus »Versuch« zu einem Zeitpunkt auf die Mannheimer Bühne gebracht wurde, als das Melodram im deutschsprachigen Raum kaum noch eine Novität darstellte. Vor allem die Melodramen des Böhmen Georg Anton (Jiří Antonín) Benda hatten seit Mitte der 1770er-Jahre den Siegeszug auf deutschen Bühnen angetreten – auch in Mannheim, wovon Mozart enthusiastisch berichtete. Mit Ariadne auf Naxos und Medea (Gotha 1775) verhalf Benda dem Melodram nicht nur zum Durchbruch, sondern er verlieh der Gattung ihr eigentliches musikalisches Profil. Die sogenannte Mannheimer Fassung der Medea von 1784, die 2022 bei den Schwetzinger SWR Festspielen zur Aufführung gelangte, ist zweifellos Bendas musikalisch differenzierteste Melodramkomposition.

1779 komponierte Benda sein drittes Melodram Pygmalion, das am 20. September desselben Jahres am Gothaer Hoftheater seine Premiere feierte. Die Übersetzung besorgte Friedrich Wilhelm Gotter, mit dem Benda eng zusammenarbeitete und aus dessen Feder bereits Medea stammte. Die Spielräume für den Übersetzer waren jedoch begrenzt, insofern als die Autoren Rousseaus Vorlage als bindend erachteten. Die »Autorität« Rousseaus spiegelt sich selbst in Bendas Partitur wider, die neben Gotters Übersetzung auch den originalen französischen Text enthält.

Bendas Musik zeichnet sich durch kurze Orchestereinwürfe im Wechsel mit expressiver Deklamation aus, wie es der Komponist in seinen beiden vorausgehenden Melodramen bereits stilbildend realisiert hatte. Allerdings besaßen Ariadne auf Naxos und mehr noch Medea ein wirkliches dramatisches Narrativ. Pygmalion dagegen stellt ein selbstreflexives »Künstlerdrama« vor, zudem ist es komplett auf eine Figur konzentriert. Dem reflexiven Charakter dieses Monodramas trägt Benda Rechnung, indem er beispielsweise jedwede Simultaneität von Musik und Text vermeidet. Auf diese Weise gibt er den gesprochenen Passagen einen größeren Resonanzraum, Geste und Aktion treten ganz hinter die Reflexion zurück.

(gekürzte Fassung eines Essays aus der Saisonbroschüre der Schwetzinger Festspiele)

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SWR