Komponist und Musikpädagoge

Christian Ridil wird 80: Ein Musikerleben zwischen Theorie und Praxis

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AUTOR/IN
Michael Rebhahn
ONLINEFASSUNG
Dominic Konrad

Die Musik von Christian Ridil ist eine, die bewusst die Balance wahrt zwischen kompositorischem Entwurf und praktischer Umsetzbarkeit. Der Komponist, der seit vielen Jahren im Weinort Spiesheim bei Alzey lebt, feiert am 12. Juni seinen 80. Geburtstag. Er blickt zurück auf ein Musikerleben zwischen Praxis und Theorie.

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Domspatz mit Sehnsucht nach neuen Klangwelten

Wenn man wie Christian Ridil in den 1960er-Jahren das Gymnasium der Regensburger Domspatzen besucht hat, wurde man vor allem mit zwei Dingen versorgt: mit einer profunden musikalischen Ausbildung und mit einer gewissen Distanz zu allem, was sich jenseits von ziemlich eng gesetzten Traditionsgrenzen bewegt.

„Das Neueste, war wir gesungen hatten in Regensburg, das war Hugo Distler. Das war im stockkatholischen Regensburg nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit“, erinnert sich Ridil, „aber wir haben dann den Dirigenten gebeten, endlich einmal etwas von Hugo Distler mit ins Programm zu nehmen. Das war so ein Traum von uns, mal eine Distler-Motette zu singen.“

Bei Hugo Distler blieb es für Christian Ridil nicht. Nach seinem Abitur 1963 ging er zum Studium an die Münchner Musikhochschule, zunächst einmal im Fach Schulmusik. Ridil wollte Musikpädagoge werden, einerseits aus Vernunftgründen, andererseits aber schon damals mit einer tiefen Sympathie für den Beruf des Lehrers.

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Aha-Gefühl als Schüler von Günter Bialas

Ihm sei schon früh klar gewesen, dass er in den Lehrberuf gehen werde, erzählt Ridil. Seine Mutter zog ihn praktisch alleine groß, denn der Vater starb bereits mit 42 Jahren. „Sie sagte: ‚Junge, such dir einen Beruf, bei dem du Musik und finanzielle Sicherheit verbinden kannst‘“, so Ridil, „und das war Schulmusik.“

Die Schulmusik allein war Christian Ridil aber dann doch zu wenig. Er wollte mehr über die Musik erfahren — und vor allem darüber, wie man sie schreibt. Also war ein Studium der Komposition für ihn genau das Richtige. Ridil wurde Schüler von Günter Bialas und lernte hier ganz andere Möglichkeiten des Musikalischen kennen.

„Bei Bialas wurden wir ganz behutsam an die Welt der Dissonanzen herangeführt, ein vorsichtiges Ausweichen oder Ausrücken aus der Tonalität“, erinnert sich der Komponist. Es sei ein Aha-Gefühl gewesen, dass ihn die neuere Musik völlig anders habe sehen lassen. „In Regensburg wäre Stockhausen, denke ich, nicht so gut angekommen“, lacht Ridil, „vielleicht war er auch zu wenig katholisch, ich weiß nicht.“

Komponieren neben dem Lehrberuf

Hauptberuflicher Komponist wurde Christian Ridil nicht. Es war dann doch der Lehrberuf, der ihn anzog, zunächst im Schul- und dann im Universitätsdienst. Ridil gründete und leitete mehrere Chöre. Er reaktivierte die Collegia Musica an der Frankfurter Goethe-Universität, wo er von 1984 bis 2008 unterrichtete.

Daneben entstanden kontinuierlich seine Kompositionen, die sich nicht selten an den ganz praktischen Umständen ihrer Aufführbarkeit ausrichteten. An der Basis habe er eine ganze Menge gelernt, so Ridil. Er schrieb in seiner Zeit als Schulmusiker hin und wieder Stücke, die für den Schwierigkeitsgrad der Schulkinder geeignet waren.

„Was mir auch Spaß gemacht hat: Für Gruppen zu schreiben die eine ganz bestimmte Anzahl von Instrumenten nur zur Verfügung hatten“, erinnert sich der Komponist. Sein Anspruch: eine Musik für die vorgegebene Besetzung, die auch noch Sinn macht.

Seine Musik setzt immer auf hörendes Nachvollziehen

Eine solche „sinnvolle“ Musik kann schon auch mal für Mundharmonika, Bassklarinette, zwei Fagotte und Cembalo geschrieben sein. An kompositorischen Einfällen mangelt es Christian Ridil nicht. Zugleich mit eher anwendungsbezogenen Kompositionen schrieb Christian Ridil auch immer wieder Stücke, in denen es keine Limits mit Blick auf ihre Aufführung gab.

In solchen Arbeiten entwickelt er noch einmal ganz andere Ideen, sich musikalisch mitzuteilen. Aber auch hier ist Ridils Stil nicht experimentell oder von Konzepten bestimmt. Im Gegenteil: Seine Musik setzt immer auf hörendes Nachvollziehen.

80 Jahre wird Christian Ridil nun alt und die Sorge des nach wie vor leidenschaftlichen Musikers, sei es lehrend, praktizierend oder schaffend, gilt der Zukunft der musikalischen Bildung, die gegenwärtig immer mehr vernachlässigt wird. 

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