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Virtuelle Pop-Stars: Wenn Künstliche Intelligenz die Charts stürmt

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Lydia Huckebrink
Lydia Huckebrink, Autorin SWR Kultur (Foto: SWR, Foto: Lydia Huckebrink)

In den USA hat die Musikindustrie erstmals Spielregeln für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz festgelegt. So dürfen die Bezeichnungen „Sänger“ oder „Musikerin“ nur noch für menschliche Urheber verwendet werden. In Korea gibt es hingegen bereits Musik-Acts, die vollständig mit Künstlicher Intelligenz generiert wurden – und die Entwicklung steht noch am Anfang.

Junge Frau mit Neonfilter überlegt (Foto: IMAGO, Pond5 Images)
Wenn KI perfekte Popsongs produziert, ist das dann noch Musik?

Die erste Girlgroup aus dem Computer

Auf Instagram gibt das koreanische K-Pop-Idol Zae-In Einblicke in ihre Welt als Popstar. Wir erleben sie bei Interviews, wie sie Sport treibt oder Klamotten shoppt.

Zae-In ist Teil von Iiterniti, einer elfköpfigen Girlgroup, die mit ihrem größten Hit „DTDTGMGN“ auf YouTube über 6,5 Millionen Streams erreicht hat. Die Ästhetik ist typisch K-Pop: Bonbon-Farben, Schulmädchenlook, Neonlichter, aalglatter Pop.

Iiterniti ist eine Deepfake-Simulation

IIterniti ist die erste K-Pop-Girlband, die nur in der virtuellen Welt existiert. Alle elf Bandmitglieder sind durch Deepfake entstanden. Die Choreografie, das Lipsync: Alles wirkt täuschend echt, ist aber eine Computersimulation.

Dutzende echte Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Sängerinnen dienten als Vorlage. Auf deren Körper und Gesichter überträgt die Faceswap-Technologie die KI-generierten Bilder der Idols – die Simulation ist perfekt.

Eine „Musikerin“ darf nur ein Mensch sein

Künstliche Intelligenz stellt die Unterhaltungsindustrie weltweit auf den Kopf. Egal ob bei Musik, Video, Bilder oder Text: Unbeteiligte können praktisch nicht mehr unterscheiden, ob Mensch oder Maschine der Urheber ist.

Schauspieler und Sängerinnen, Tänzerinnen, Sprecher und Autoren fürchten um ihre Jobs. Die US-Gewerkschaft SAG-AFTRA, die auch die Filmschaffenden im Hollywood-Streik vertritt, kämpft seit Monaten für ein Regelwerk, dass den Einsatz von KI in der Unterhaltungsindustrie begrenzt.

Mit den großen Playern der Musikindustrie – Universal, Sony, Warner, Disney – hat sie nun erstmals verbindliche Spielregeln ausgehandelt. Eine davon: Die Bezeichnungen „Sänger“ oder „Musikerin“ sollen nur dann erlaubt sein, wenn hinter dem Namen wirklich ein Mensch steckt. Schließlich müsse der wahre Kern von Musik immer der menschliche Ausdruck bleiben.

Virtuelle Popbands sind in Südkorea beliebt

Zae-In bezeichnet sich auf Instagram als „Virtual K-Pop-Idol“, nicht als „Sängerin“. Die Produktionsfirma Pulse9 macht kein Geheimnis daraus, dass es sich bei IIterniti um eine KI-generierte Band handelt.

Denn virtuelle Popbands scheinen in Südkorea gut anzukommen. Auch Mave: ist am Computer entstanden. Vor wenigen Monaten erschien das erste Album der vierköpfigen Girlgroup, die Songs haben auf Spotify teilweise über eine Million Streams.

Keine Erschöpfung, keine Skandale

Zae-In oder Bandleader Siu: von Mave: werden nie alt, nie müde und tun immer nur das, was sie sollen. Es ist ein perfekt kuratiertes, kantenloses Popstar-Image ohne Burnouts, Drogenexzesse oder andere Skandale – in der K-Pop-Welt ist das gefragt.

Und als wäre das nicht schon genug, können die KI-Stars auch noch zu jedem einzelnen Fan eine individuelle Beziehung aufbauen. Die vier Idols von Mave: werben auf Instagram bei ihren Fans, sich in privaten Chaträumen auszutauschen.

Sie sind Chatbots mit dem Potential, die besten Freundinnen zu werden – und so den Superfan der nächsten Generation zu kultivieren. Ein lukratives Geschäft für die Produktionsfirmen.

Die virtuellen Idole sprechen vier Sprachen und sind rund um die Uhr für ihre Fans verfügbar – überall, auf allen Smartphones gleichzeitig. Kein menschlicher Popstar der Welt kann das leisten.

Wann erobert KI-Musik die Charts?

Die ständige Verfügbarkeit lohnt sich langfristig für die Produktionsfirmen und kompensiert den großen technischen Aufwand der Deepfake-Technologie. Denn auch bei Mave: sind Dutzende echte Tänzerinnen im Einsatz, die dem Computer die Bewegungen vorgeben.

Auch die Songs stammen nicht etwa von einer KI-Software, echte Musiker*innen produzieren und singen sie. Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, bis Deepfake-Musikacts die Charts stürmen, deren Hits ein Computer generiert hat.

Stimmen klonen soll zukünftig Geld kosten

KI-Software, die das kann, ist längst verfügbar und für jedermann erschwinglich. Es ist Software, die nicht nur immer bessere Popsongs auf Knopfdruck erstellt, sondern die auch die Stimmen echter Popstars mühelos klont.

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Auch in diesem Punkt hat die US-Gewerkschaft SAG-AFTRA mit den großen Plattenlabels eine Einigung ausgehandelt. Die menschlichen Urheber*innen sollen zukünftig Geld bekommen, wenn KI deren Stimmen in Songs reproduziert.

„It worked so good, I could not believe it“

Für die Kreativwirtschaft sind Deepfakes ein echtes Problem geworden. Erst vor wenigen Monaten führte David Guetta der verdutzten Öffentlichkeit vor, wie tiefgreifend KI die Musikindustrie da bereits unterwandert hatte.

Let me introduce you to… Emin-AI-em 👀 pic.twitter.com/48prbMIBtv

Er spielte einen Soundschnipsel mit der täuschend echten Stimme des Rappers Eminem. Doch dieser hatte dieses Sample nie aufgenommen. Guetta hatte zuhause mit KI-Tools experimentiert und sei über das Ergebnis selbst verblüfft gewesen, berichtete der DJ und Produzent mit leuchtenden Augen auf X.

Taylor Swift in Deepfake-Pornos

Heute, nur gut ein Jahr später, ist das Internet überschwemmt mit gefakten Songs und Videos. Der HipHop Track „Heart on my Sleeve“ sorgte für Wirbel, weil er klang wie eine Kollaboration zwischen den Rappern Drake und The Weeknd, die aber nie zusammen im Studio standen.

Und Taylor Swift musste Anfang des Jahres machtlos mit ansehen, wie sich auf der Plattform X massenhaft gefakte Porno-Szenen mit ihr verbreiteten – mit KI-Software erstellt.

Kaum kontrollierbare Entwickung

Das verletzt tiefgreifend die Persönlichkeits- und Urheberrechte. Deepfake-Inhalte werden deshalb auch in großem Stil gelöscht. Doch die Technologie steht inzwischen jedem offen. Täglich wird mehr hochgeladen, als gelöscht werden kann.

Denn Deepfake entsteht in erster Linie nicht bei den Major-Labels oder in südkoreanischen Produktionsfirmen, sondern vor allem hier: in Homestudios, am Schlafzimmer-Laptop. Das ist kaum zu kontrollieren. Daran werden auch die neuen Richtlinien der US-Gewerkschaft SAG-AFTRA wenig ändern können.

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