Was löst Trauer in einem Menschen aus? Und wie überlagern sich Erinnerung, Imagination und Realität in einem Bewusstsein, das mit einem Verlust zu kämpfen hat? Inga Machel, Jahrgang 1986, verhandelt in ihrem Debütroman diese Fragen auf literarische Art und Weise, mit Überblendungen und den Verschiebungen von Wirklichkeitsebenen.
Der Ich-Erzähler Mario hat vor zehn Jahren seinen Vater verloren. Da war Mario Mitte zwanzig, und ein Anruf der Mutter erreichte ihn, zusammen mit dem Satz, ein ICE habe den Vater mit 200 Kilometern in der Stunde überfahren. Identifiziert wurde er anhand eines einzelnen Winterstiefels im Gleisbett.
Mario ist voller Wut und zugleich voller Schmerz über diesen Abgang; alles, was er von seinem Vater behalten hat, befindet sich in einem Umschlag in seinem Nachttisch. Es sind hauptsächlich Fotos, mit denen Mario nur noch wenig verbindet.
Und dann, zehn Jahre später, ist P. da. So nennt Mario ihn. Und Mario glaubt, in P., einer zufälligen Begegnung in Berlin, seinen Vater wiederzuerkennen: „Das erste Mal sah ich P. an einem Nachmittag, der mir wie kurz nach Sonnenaufgang vorkam. Ich erkannte ihn sofort, ohne genau zu wissen woran, fast so wie man sich selbst erkennt, oder vielleicht eine Jahreszeit, einen vertrauten Geruch. Er erkannte mich nicht.“ P. ist ein Junkie und ein Streuner, und Mario beginnt, ihm auf seinen Wegen durch Berlin zu folgen, und von nun an verschwimmen sämtliche Maßstäbe von Raum und Zeit.