Fastnacht und Krisen 1991 und 2023 (Foto: dpa Bildfunk, SWR, Picture Alliance)

Fastnacht in Zeiten der Krisen

Als wegen eines Krieges der Mainzer Rosenmontagszug ausfiel

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Oliver Nieder

Der Krieg um die Ukraine, der Konflikt im Nahen Osten: Das drückt die Stimmung. Doch niemand käme wohl auf die Idee, deshalb die Fastnacht abzusagen. Das war Anfang der Neunzigerjahre einmal anders.

2. Januar 1991: Der Präsident des Mainzer Carneval Clubs, Bernd Mühl, berichtet auf einer Pressekonferenz über die Vorbereitungen auf die bevorstehende Kampagne. Ein Standardtermin für die Journalisten. Wäre da nicht am Ende der Veranstaltung die beiläufige Frage, was denn eigentlich im Falle des befürchteten Golfkrieges geschehe. Mühls Antwort: "Ich selbst kann es mir nicht vorstellen, Fastnacht zu feiern, wenn es dort Tote gibt."

Zeitung schreibt: "Kein Helau zum Krieg"

Armin Thomas, damals Redakteur der Mainzer Rhein-Zeitung, ruft daraufhin Rudi Henkel an, den Präsidenten des Mainzer Carneval-Vereins (MCV), also des einflussreichsten Fastnachtsvereins in Mainz. "Und Henkel meinte, wenn es zum Krieg kommt, dann können wir kein Helau schreien", erinnert sich Thomas. Die Zeitung titelt am 4. Januar: "Kein Helau zum Krieg". Die Diskussion ist nicht mehr zu stoppen.

In der Nacht zum 17. Januar schlagen in Bagdad die ersten Raketen ein, das ZDF setzt seine Sendung "Die Narren sind los" ab. "In der Redaktion riefen die Vereine im Viertelstunden-Takt an und sagten ihre Kampagnen ab", berichtet Armin Thomas. Am Ende folgen dem auch die anderen Fastnachtshochburgen in Deutschland. Der TV-Schlager "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht" fällt ebenfalls ins Wasser.

MCV-Ehrenpräsident: "Krieg wurde ins Wohnzimmer gebracht"

Werner Mundo war damals im Vorstand des MCV und erlebte die Debatte hautnah mit. "Eine schwierige Entscheidung", erinnert sich der 80-Jährige. Aber er hält sie noch heute für richtig. "Der Krieg wurde damals übers Fernsehen direkt in die Wohnzimmer gebracht", beschreibt der heutige MCV-Ehrenpräsident die Atmosphäre. Und in Wiesbaden habe es das US-Militärhospital für die Verwundeten gegeben. "Wir konnten nicht feiern, wenn in direkter Nachbarschaft die Schwerverletzten liegen." Auch Thomas sagt, Mainz sei damals näher dran gewesen. So seien im Stadtteil Gonsenheim amerikanische Soldaten stationiert gewesen, die in dem Krieg auch zum Einsatz kommen konnten.

Wirtschaftliche Folgen der Absage waren groß

Die Folgen der Absage sind immens. Teils dramatische Verluste für die Fastnachtsvereine und für die, die an dem närrischen Treiben dranhängen: Gastronomie, Hoteliers, Bäcker, Taxifahrer, Aushilfskräfte, Redner, und und und. Bis hin zu den Reisebüros, die Fastnachtsflüchtlinge für gewöhnlich außer Landes helfen. Die Stadt Mainz und das Land Rheinland-Pfalz sagen den Vereinen Hilfe zu.

Und so verläuft die Diskussion bereits ein Jahr später ganz anders. Da stehen die blutigen Auseinandersetzungen im zerfallenden Jugoslawien im weltweiten Fokus, und die liegen noch allemal näher als der Irak. "Aber die Vereine sagten sich nun: Dann können wir ja irgendwann nie wieder Fastnacht feiern", sagt Thomas. Auch Mundo meint heute: "Dann wäre die Fastnacht tot. Die ist ja auch dazu da, um die Leute mal fröhlich zu stimmen und auf andere Gedanken zu bringen."

Tobias Mann: "Absage war nachvollziehbar"

Der Kabarettist Tobias Mann hat seine Ursprünge in der Mainzer Fastnacht, er hätte 1991 im Alter von 14 Jahren sein zweites Kampagnenjahr auf der närrischen Bühne feiern können. "Man hat damals vielleicht die gesamte Weltlage noch nicht so ganz durchschaut, aber die Absage war irgendwie nachvollziehbar. Auch wenn ich es natürlich sehr schade fand", erinnert er sich im Gespräch mit dem SWR.

Wenn man den Humor verliert, dann verliert man als nächstes die Hoffnung.

Heute ist für Tobias Mann Humor bei Krieg und Krisen kein "Flucht-, sondern ein Bewältigungsmechanismus". Man mache sich natürlich schon so seine Gedanken. "Und ich bekomme auch die Diskussionen im Kollegenkreis mit, dass es je nach Lage mal leichter und mal schwerer ist, auf die Bühne zu gehen." Aber: "Es wird leider nie so sein, dass es überall auf der Welt einen Zustand von Frieden und Eintracht gibt." Da sei der Humor auch keine Respektlosigkeit vor den Dingen, sondern ein Weg, um damit umzugehen. "Wenn man den Humor verliert, dann verliert man als nächstes die Hoffnung."

Psychologe: "Lichtblick in einer sich verdunkelnden Welt"

Also in Krisenzeiten ordentlich Fastnacht feiern? Der Kölner Psychologe Stephan Grünewald hält vor diesem Hintergrund das närrische Treiben für legitim und sogar geboten. "Karneval ist ein Akt der Selbstfürsorge und steigert auch die persönliche Resilienz." Die Alternative wäre, sich grübelnd ins stille Kämmerlein zurückzuziehen. Es gehe ja nicht ums Durchfeiern, sondern um einen kurzen Lichtblick in einer sich verdunkelnden Welt. Die Menschen erlebten derzeit Ohnmachtsgefühle, weil die Krisen nicht von der Stelle kämen. "Karneval verschafft dagegen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, Vergemeinschaftung und Sinnlichkeit."

Der Schunkelnde, der alle umarmt, ist sozusagen das finale Gegenbild zum Terroristen.

Zudem sei der Karneval aus einer Anti-Kriegs-Attitüde entstanden, das Soldateske und Militärische sei veralbert worden. Grünewald: "Der Schunkelnde, der alle umarmt, ist sozusagen das finale Gegenbild zum Terroristen."

Was müsste also passieren, damit die Weltenlage nochmal einen Rosenmontagszug stoppt? 2021 schaffte das Corona. Im Jahr 2016 wurden die Züge in Mainz und Düsseldorf nach Sturmwarnungen abgesagt. Und ein militärischer Konflikt? Kabarettist Mann überlegt kurz, bevor er sagt: "Es gibt Dinge, die kann man sich vorstellen. Die Frage ist: Will man sich die auch wirklich vorstellen?"

Mainz

Standpunkt Fastnacht feiern trotz Krisen und Kriegen?

Auf der Welt gibt es viele Krisen und Kriege. Ist es da angemessen, Fastnacht und Karneval zu feiern? Ja, findet SWR-Reporterin Corinna Lutz aus Mainz.

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