Wolf und Luchs leben bereits wieder in Baden-Württemberg. Bären werden sich kurz- bis mittelfristig aber wohl nicht im Land ansiedeln.

Wildtierökologe gibt Ausblick

Rückkehr der Raubtiere: Diese Perspektive haben Wolf, Luchs und Bär in Baden-Württemberg

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Oliver Linsenmaier
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Schritt für Schritt kehren große Raubtiere nach BW zurück oder werden aktiv angesiedelt. Wolf und Luchs haben gute Chancen auf eine dauerhafte Rückkehr - wenn der Mensch sie lässt.

Die großen europäischen Raubtiere kehren nach Deutschland und damit auch Baden-Württemberg zurück. So leben Luchse bereits wieder im Land und sollen sogar noch vermehrt angesiedelt werden. Besonders wird aber über den Wolf in Baden-Württemberg diskutiert. Ist er schützenswert oder doch eine Gefahr für Tier und Mensch und sollte deshalb abgeschossen werden? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Umso wichtiger ist eine fachliche Einordnung, die Micha Herdtfelder von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in Freiburg geben kann. Diese ist für den Wald im Land zuständig, berät die Politik und erfasst und erforscht die Wildtierbestände in Baden-Württemberg.

Doch welche Perspektiven haben Wolf, Luchs und theoretisch auch der Bär in Baden-Württemberg? Ist die Natur im Land überhaupt für sie geeignet? Welche Regionen bieten sich als Territorien am besten an? Und wie würden sich die Populationen entwickeln, wenn der Mensch das zulässt? Die wichtigsten Antworten auf die zentralen Fragen - und mögliche Szenarien für Baden-Württemberg.

Wie viele Wölfe gibt es derzeit in Baden-Württemberg?

Aktuell sind vier europäische Grauwölfe in Baden-Württemberg sesshaft - einer im Nordschwarzwald und drei im Südschwarzwald. Sie verteilen sich auf drei Territorien, denn das einzige weibliche Tier lebt gemeinsam mit einem männlichen Wolf in demselben Territorium. Bei diesem Paar spricht Wildtier-Biologe Micha Herdtfelder von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg in Freiburg bereits von einem Rudel. Denn das Paar hat Jungtiere. Zwar wurden diese noch nicht gesichtet, allerdings ist auf einem Bild des weiblichen Wolfes anhand der Milchdrüsen zu sehen, dass die Wölfin säugt. "Das reicht als Nachweis, dass sich da tatsächlich ein Rudel etabliert", sagt Herdtfelder.

Seit 2015 wurden insgesamt 19 Wölfe in Baden-Württemberg genetisch erfasst. Viele von ihnen sind aber wohl nur durch das Land gezogen. Wahrscheinlich hat es noch weitere Tiere gegeben. Denn nicht jeder Wolf tappt in eine Fotofalle. Ohnehin kann anhand der Fotos nicht geklärt werden, um welches Tier es sich handelt. Das baden-württembergische Umweltministerium führt eine Liste mit Wolfsnachweisen. Im Jahr 2023 gab es bislang Fotofallen-Aufnahmen von 25 Wölfen.

Können Wölfe überall in Baden-Württemberg vorkommen?

Theoretisch können Wölfe überall in Baden-Württemberg auftauchen. Gerade durchziehende Wölfe laufen auch durch weniger geeignetes Gebiet. Eine Großstadt meidet ein Wolf aber normalerweise. Denn diese ist für ihn eine "Sackgasse", erklärt Herdtfelder. Daher kehrt er dann lieber wieder um.

Welche Regionen in Baden-Württemberg sind für den Wolf besonders geeignet?

Theoretisch sind in Baden-Württemberg der Schwarzwald, der Odenwald, die Schwäbische Alb und der Schwäbisch-Fränkische Wald besonders für Wölfe geeignet. Herdtfelder geht davon aus, dass diese Bereiche als erstes besiedelt werden. Denn Wölfe brauchen ausreichend Beutetiere und einen Rückzugsraum für die Aufzucht der Jungen. Allerdings sind sie auch sehr anpassungsfähig.

"Wölfe können aber auch in suboptimalen Landschaften, in denen es noch ausreichend Nahrung und Rückzugsraum gibt, leben", sagt der Experte. "Wenn man den Wolf lässt, würde er über kurz oder lang die großen Wälder und die Wald-Offenland-Gebiete besiedeln." Auch das Allgäu wäre damit für den Wolf ein möglicher Lebensraum. Dieser Prozess würde aber mehrere Jahrzehnte dauern und hänge stark vom Menschen ab, so der Wildtierökologe.

Wie viele Wölfe könnten rein theoretisch in BW leben?

Ein Wolfsterritorium ist meist zwischen 150 und 200 Quadratkilometer groß. Das entspricht von der Fläche etwa Städten wie Freiburg und Stuttgart. Laut Herdtfelder ist in Deutschland rein wissenschaftlich Platz für 700 bis 1.400 Wolfsterritorien. Für Baden-Württemberg gibt es derzeit keine wissenschaftlich belastbaren Zahlen.

Was frisst der Wolf am häufigsten?

Die meisten Wölfe in Deutschland ernähren sich überwiegend von wilden Huftieren wie Rehen, Hirschen und Wildschweinen. Der Anteil der Nutztiere als Nahrung liegt laut Herdtfelder bei einem Prozent. Allerdings tötet ein Wolf oft mehrere Weidetiere, frisst aber nur einen kleinen Teil davon.

Wie viele Luchse gibt es aktuell in Baden-Württemberg?

Seit 2015 leben durchgängig Karpaten-Luchse in Baden-Württemberg. Bisher konnten 16 Tiere genetisch nachgewiesen werden. Territorial und damit zeitgleich im Land sind es meist aber nur drei bis fünf Tiere. Aktuell gibt es drei Luchse in Baden-Württemberg: einen im Südschwarzwald, einen im Nordschwarzwald und einen im Donautal. Allerdings sind das nur männliche Tiere.

Warum steigt die Zahl der ansässigen Luchse in BW nicht?

Im Gegensatz zu den männlichen Luchsen scheuen die weiblichen Tiere eine gewisse Infrastruktur beziehungsweise offene Flächen. Deswegen bleiben sie lieber im Schweizer Jura-Gebirge und kommen nicht über den Hochrhein nach Baden-Württemberg. Daher kann hier auch keine neue Population entstehen.

Wie soll der Luchs in BW wieder angesiedelt werden?

Es gibt ein Projekt der Landesregierung zum Erhalt des Luchsvorkommens in Baden-Württemberg. Das ist auch für die Populationen in der Schweiz und Rheinland-Pfalz wichtig, um den genetischen Pool der Tiere zu vergrößern. Daher sollen in den kommenden Jahren sechs bis zehn Luchse im Schwarzwald ausgewildert werden, die bereits für die Auswilderung gezüchtet werden. Mindestens sechs von ihnen sollen weiblich sein. Der Schwerpunkt der Auswilderung liegt auf den Jahren 2025/26. Einzelne Tiere könnten aber auch schon früher ausgewildert werden, dann wohl auch im Schwarzwald.

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Welche Regionen in BW eignen sich für den Luchs am besten?

Wie der Wolf bevorzugt auch der Luchs große Waldflächen. In Baden-Württemberg sind das der Schwarzwald, die Schwäbische Alb, der Odenwald und der Schwäbisch-Fränkische Wald. Da die Nähe zur nächsten Population - in diesem Fall in der Schweiz - eine wichtige Rolle spielt, ist der Schwarzwald besonders für Luchse geeignet. Auch das Obere Donautal ist ein möglicher Lebensraum für Luchse, allerdings sind es hier nur recht kleine Flächen.

Wie viele Luchse könnte es in Baden-Württemberg perspektivisch geben?

Der Raumbedarf ist je nach Geschlecht unterschiedlich. Weiblichen Luchsen reichen 70 bis100 Quadratkilometer, männliche brauchen 150 bis 200 Quadratkilometer. Im Schwarzwald gibt es rein wissenschaftlich gesehen Platz für 70 erwachsene Luchse, im baden-württembergischen Teil des Odenwaldes sind es 5 und auf der Schwäbischen Alb und dem Schwäbisch-Fränkischenen Wald noch einmal 25. Allerdings: "Das ist ein sehr langfristiger Prozess. Wir sprechen über Dimensionen von 20 bis 30 Jahren", sagt Wildtierökologe Herdtfelder.

Was frisst der Luchs am liebsten?

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Greift der Luchs auch Nutztiere an?

Luchse greifen seltener Weidetiere an als der Wolf. Wenn sie das tun, reißen sie maximal Schafe oder Ziegen, keine größeren Tiere. Und wenn es dazu kommt, töten sie meist nur ein oder zwei Tiere. In Baden-Württemberg haben bisher 2 der 16 bekannten Luchse überhaupt Weidetiere angegriffen.

Kommt der Bär nach Baden-Württemberg zurück?

Dass Bären ins Land kommen, ist eher unwahrscheinlich. Das baden-württembergische Umweltministerium geht aktuell nicht davon aus, dass Braunbären aus den Alpen so weit wandern. Auch Wildtier-Biologe Felix Knauer von der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der früher an der Universität Freiburg geforscht hat, rechnet nicht mit einer Zuwanderung. Die nächsten Bären-Populationen leben in der italienischen Provinz Trentino und in den Pyrenäen. "Braunbären sind noch mehr als Luchse und erst recht als Wölfe an den Wald gebunden", sagte Knauer jüngst dem SWR. "Die Pyrenäen sind mit den Alpen und erst recht nicht mit Baden-Württemberg durch Wald-Korridore verbunden. Sie wären auch sehr weit weg."

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Wäre Baden-Württemberg ein guter Lebensraum für den Bären?

Durchaus. Gerade der Schwarzwald bietet ausreichend Nahrung und Rückzugsgebiete. Zudem sind Bären nicht territorial. Sie dulden also auch andere Bären in ihrem Streifgebiet. Wilde Bären in Baden-Württemberg bleiben aber höchstwahrscheinlich Theorie.

Entsteht durch die Rückkehr von Wolf und Luchs wieder ein natürliches Gleichgewicht, so dass Rot- und Damwild nicht mehr bejagt werden muss?

Nein. Das Nahrungsangebot für Wildtiere ist viel besser als vor einigen Hundert Jahren. Auch die Waldflächen sind heutzutage größer und es gibt deutlich weniger Krankheiten, erklärt der Wildtier-Biologe Herdtfelder. Daher ist der Wildtierbestand aktuell sehr hoch. Weder Wolf noch Luchs werden in der Lage sein, das zu regulieren. Nur in Ausnahmefällen mit weniger Beutetieren könnte das lokal oder saisonal der Fall sein.

"Wenn man die Wälder weiterhin so bewirtschaften will, ist die Bejagung der Bestände weiterhin das wichtigste Mittel. Da werden Wolf oder Luchs nicht die Arbeit der Jägerschaft übernehmen", sagt Herdtfelder. Dennoch müsse das Thema im Blick behalten werden. Denn wenn es doch einmal zu wenige Beutetiere in der freien Wildbahn geben sollte, würde der Riss von Nutztieren wohl ansteigen.

Wie wird sich die Rückkehr der größeren auf die kleineren Raubtiere auswirken?

Gerade für die "mittelgroßen Beutegreifer" wie Fuchs oder Dachs hat die Rückkehr gewisse Folgen. Bei einer direkten Begegnung würden Wolf oder Luchs wohl die Nahrungskonkurrenten töten. Das könnte einen positiven Effekt für die Beutetiere von Fuchs oder Dachs haben - allerdings auch in einem recht überschaubaren Rahmen.

Können Wölfe, Luchse und Bären im selben Lebensraum leben?

Ja. Der direkten Begegnung gehen sie aber aus dem Weg. Gerade für den Luchs könnte diese lebensgefährlich sein.

Sind Luchs und Wolf für den Menschen gefährlich?

Laut dem Wildtier-Biologen Herdtfelder gab es bisher keinen nachgewiesenen Luchs-Angriff auf Menschen - beim Wolf allerdings schon. In Baden-Württemberg, Deutschland und Europa gebe es aber nur Probleme, wenn Wölfe aktiv angefüttert würden und lernen, dass die Nähe zu Menschen Futter bedeute und die Tiere die Zurückhaltung verlieren würden. "Seit die Wölfe nach Deutschland zurückgekehrt sind, ist es aber noch nie vorgekommen, dass sie aggressiv gegenüber Menschen geworden sind", sagt der Experte. Dennoch sei der Wolf ein Wildtier, das sich wehre, wenn es sich bedroht fühle.

Welche Perspektive haben große Raubtiere in Baden-Württemberg?

Das ist vor allem eine politisch-gesellschaftliche Frage. "Es gibt die Lebensraumkapazität und die gesellschaftliche Kapazität. Also wie viele Wölfe, Luchse und Bären verträgt eine Gesellschaft?", sagt Herdtfelder. Wenn der aktuell strenge Schutzstatus der Tiere beibehalten wird, dürfte sich der Luchs im Schwarzwald und Teilen der Schwäbischen Alb wohl etablieren. Für den Wolf gilt das ebenfalls. Außerdem würde er sich wahrscheinlich im Odenwald und im Schwäbisch-Fränkischen Wald sehr wohlfühlen. "Hier würden sich Wölfe perspektivisch mit Sicherheit ansiedeln", sagt Herdtfelder. Beim Bären ist eine Ansiedlung in Baden-Württemberg in absehbarer Zeit sehr unwahrscheinlich.

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