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Percival Everett: James

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Mit seinem Roman „Erschütterung“ gelang dem 1956 geborenen Schriftsteller und Literaturprofessor Everett im Jahr 2022 auch in Deutschland der Durchbruch. Im vergangenen Jahr folgte dann der viel gefeierte Roman „Die Bäume“, in dem Everett auf so gewagte wie gelungene Weise von Ungerechtigkeit und Rassismus erzählt, nämlich in Form einer bitterbösen und auch zynischen Komödie, in der der Lynchmord an einem 14-jährigen Afroamerikaner im Jahr 1955 in die Gegenwart zurückschlägt.

In „James“ dreht Everett die Literaturgeschichte raffiniert auf links, indem er einen Perspektivwechsel vornimmt und einen Klassiker der amerikanischen Literaturgeschichte überschreibt. Die Geschichte von Huckleberry Finn und Jim, dem schwarzen Sklaven, die gemeinsam auf einem Floß in Richtung Norden fliehen, gehört zum literarischen Nationalbestand. Wer daran rührt, braucht Können und auch ein wenig Mut. Everett erzählt die Geschichte aus der Perspektive von Jim. „Diese weißen Jungs, Huck und Tom, beobachten mich. Sie spielen immer irgendein Phantasiespiel, in dem ich entweder ein Schurke oder ein Opfer war, auf jeden Fall aber ihr Spielzeug.“ So heißt es gleich auf der ersten Seite.

Seine Auffassungs- und Beobachtungsgabe, seine hohe Intelligenz versteckt James vor den Weißen ganz bewusst. Doch auf der gemeinsamen Flucht mit Huck ist er es, der die Fäden in der Hand hält und mit Geschicklichkeit die Herausforderungen und den alltäglichen Rassismus meistert. Eine gekonnte Verschiebung des Kanons.

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AUTOR/IN
SWR