Theater Basel

Bürgertum in der Krise: Dietmar Daths Neufassung von Gorkis „Sommergäste“

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INTERVIEW
Maull Doris

Das Theaterstück „Sommergäste“ von Maxim Gorki löste bei seiner Uraufführung 1904 einen Skandal aus, weil es die bourgeoise Lebenseinstellung radikal kritisierte. Der Autor Dietmar Dath schrieb für das Theater Basel nun eine Neufassung des Stücks. Er findet, das Bürgertum sei heute in einer noch prekäreren Situation als am Vorabend der Russischen Revolution.

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Paradoxe Situationen eines neuen Bürgertums

„Der Witz ist der, dass die Menschen, die sich damals als Aufsteiger sahen, jetzt als Absteiger empfinden“, sagt Dietmar Dath über den heutigen Zustand des Bürgertums. Aus den akademischen Berufen bei Gorki, etwa Ärzte oder Schriftsteller, seien IT-Sicherheitsberater oder Verlagslektoren geworden.

Anders als in der historischen Vorlage würden diese Menschen heute keine geistige Unabhängigkeit mehr mit ihrem Beruf verbinden. Daraus entstünde die paradoxe Situation, dass man eine Momentaufnahme von einer ganz ähnlichen Menschengruppe machen könnte. Der Unterschied liegt laut Dath darin, dass es eine Vision von einer gerechteren Welt heute nicht mehr in der Form gebe, wie es damals am Vorabend der Oktoberrevolution der Fall war.

Maxim Gorki (1868 - 1936)
Maxim Gorki (1868 - 1936) porträtierte 1904 in „Sommergäste“ die russische Bourgeoisie und die Zeitenwende um sie herum.

Lachen als Ausweg aus der Krise

„Du hast also verzagtere Leute in ähnlicher Stellung, die genauso viel labern, aber sie haben keinen Grund mehr zur Hoffnung und das ist selbstverständlich eine Vorlage für etwas sehr Lustiges“, meint der Autor. Er wolle mit seiner Überschreibung weniger auf Psychologie setzen, sondern auf Witze, Verletzung und anderes bruchstückartiges, plötzliches Geschehen.

Lachen, so Dath, ist aus einer Angst geboren. Man könne mit dem Lachen die Angst vor dem Abstieg verlieren. Das Strampeln und Kämpfen der Figuren sei etwas, in dem das Publikum sich wiederentdecken könne.

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Gespräch Kampf um die Jugend: Peter Kastenmüller inszeniert „Das Leben ist unaufhaltsam – Szenen aus Cherson“ am Theater Basel

Wie lebt es sich als junger Mensch im Krieg? Wenn man doch eigentlich etwas anderes vorhatte: studieren, ausgehen, reisen. Am 24. Februar 2022 wurden viele junge Menschen in der Ukraine schlagartig erwachsen. So wie Matwij aus Cherson. Über ihn und mit ihm hat Regisseur Peter Kastenmüller jetzt ein Stück inszeniert.
Es ist das Wesen des Stückes von Natalia Blok, die die Geschichte ihres Sohnes Matwij aufgeschrieben hat, dass es den Kampf um Jugend zeigt. Den Kampf darum, was es heißt, ein junger Mensch sein zu können, sich nicht das wegnehmen zu lassen, was junge Menschen brauchen: soziale Kontakte, Bindungen, das Leben als Abenteuer. So fasst Peter Kastenmüller „Das Leben ist unaufhaltsam“ zusammen. Und zugleich vermittelt das Stück, wie der Krieg wirkt: in Zerstörung, in Auflösung von sozialen Bindungen, im Verschwinden von Heimat, im Ausgesetztsein oder in Orientierungslosigkeit.
Dokumentation als Widerstand
Im Stück entwickelt Matwij einen ganz eigenen Umgang mit der Situation. Er filmt und dokumentiert, was in seiner Stadt und in seinem Umfeld passiert. Eine Form des Widerstands und der Versuch, der Nachwelt zu beweisen, was er erlebt und was passiert. Diese Ereignisse werfen Matwij in riesige Konflikte: bleiben oder gehen? Seine Mutter, die in Basel lebt, will ihn bei sich wissen, zugleich sind seine Freunde in Cherson, hier ist sein Leben. Er will seiner Mutter gerecht werden, aber auch seinem Land. „Das ist für viele die große Diskussion in den vergangenen Jahren, soll man bleiben, was ist gefährlich oder soll man doch das Land verlassen?“ sagt Peter Kastenmüller.
Perspektiven finden
Aus welcher Perspektive kann das Stück erzählt werden, war eine wichtige Frage, die sich der Regisseur mit seinem Team stellte. „Was kann man glaubhaft auf die Bühne bringen aus der Schweiz mit seinen warmen Stuben?“ Als der Peter Kastenmüller dann Gespräche mit dem realen Matwij führte, wurde klar, dass dieser unbedingt an der Aufführung beteiligt sein sollte. „Wir wissen nicht, wo die Reise hingeht, aber ‚be part of the production“, war die Bitte Kastenmüllers. So spielt und filmt auch der echte Matwij auf der Bühne in Basel. Nahe Vergangenheit, die sich in der Fiktion des Stückes vermittelt, steht neben der aktuellen Gegenwart. Dass es dabei nicht um einen Versuch, Realität abzubilden geht, liegt auch am Stück selbst. Natalia Bloks Text hat eine ganz eigene Form: Well made Play, Tragikomödie mit viel Witz und Humor. „Das ist das Recht der Jugend mit Chuzpe Tabus zu brechen. Was darf man sagen, was darf man nicht sagen“, meint Peter Kastenmüller.

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Die Neuproduktion von Richard Wagners Opernvierteiler „Der Ring des Nibelungen“ versteht Intendant und Regisseur Benedikt von Peter als ein groß angelegtes Familienstück. Nach der kompletten Familie geht es im ersten Tag „Die Walküre“ um die Kinder des Familienoberhaupts Wotan. Sie sind letztlich Werkzeuge im Spiel um die Macht, mit dem der Ring der Herrschaft zurückerobert.

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