Nochmal in die 1. Klasse: Ein Mädchen, das an der Gräfenauschule in Ludwigshafen gerade das erste Jahr wiederholt, erzählt von ihren Erfahrungen. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance / Davide Agosta//dpa | Davide Agosta)

Portrait einer kleinen Wiederholerin

Ludwigshafen: Warum sich Kinder an der Gräfenauschule so schwer tun

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Nicoletta Prevete

Auch in diesem Schuljahr werden in etwa 40 Kinder an der Ludwigshafener Gräfenauschule die erste Klasse nicht schaffen. Wir haben ein kleines Mädchen getroffen, das gerade die erste Klasse dort wiederholt.

Elena (Name von der Redaktion geändert) ist klein und ganz dünn. Aus großen haselnussbraunen Augen schaut sie schüchtern in die Welt. Wenn sie spricht, muss man zweimal hinhören - so leise ist ihr Stimmchen. Während ihre drei kleinen Brüder in der Küche toben, zieht sie sich in den Wohnraum zurück. Insgesamt hat die bulgarische Familie Y., die anonym bleiben möchte, sechs Kinder im Alter von vier bis 13 Jahren.

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Spielsachen und Bilderbücher gibt es nicht

In der Wohnung der achtköpfigen Familie in Ludwigshafen gibt es kein Bilderbuch, kein Spielzeug, keine Malsachen. Nichts, womit sich ein Kind beschäftigen könnte. Auch macht keines der Schulkinder an diesem Nachmittag Hausaufgaben. Auf die Frage, ob ihre Mama ihr denn bei den Schulaufgaben helfen könne, schüttelt die Kleine ihren Kopf mit dem dicken schwarzen Zopf. "Mama putzt nur!", erzählt sie leise.

Gleich in Klasse 1 das Klassenziel verfehlt

Elena wiederholt die erste Klasse an der Gräfenauschule. Sie ist eines der 40 Kinder, die im vergangenen Schuljahr an der Grundschule im Stadtteil Hemshof quasi "sitzengeblieben" sind und derzeit die erste Klasse wiederholen. Das Hauptproblem bei allen: Die Kinder sprechen zu schlecht deutsch. Elena hatte zwar den Kindergarten besucht - aber nur ein Jahr lang. Zu kurz, um schon so gut deutsch sprechen zu lernen, um dem Unterricht folgen zu können.

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Die Mutter hat nie eine Schule besucht

In Elenas Familie wird türkisch gesprochen. Sie gehört zur Minderheit in Bulgarien mit türkischer Abstammung. Elenas Mama hat nie eine Schule besucht. Und doch ist ihr die Schule sehr wichtig. Sie erzählt, dass sie hauptsächlich wegen ihrer beiden autistischen Kinder nach Deutschland gekommen ist - weil sie wusste, dass auch Kinder mit einer Behinderung in Deutschland beschult werden und somit eine Chance auf eine Ausbildung und eine Arbeit haben.

Elena hat große Lernschwierigkeiten

Elena hat keinerlei Behinderung, wie ihre großen Geschwister, aber dennoch große Probleme beim Lernen. Ihr Deutsch ist zwar wesentlich besser in der Zwischenzeit, wie mir eine ehrenamtliche Betreuerin der Familie erzählt, aber dennoch braucht Elena mehr Unterstützung als andere Kinder.

Gräfenauschule: Vorfertigkeiten für den Schulbesuch fehlen

Auch die kleinen Geschwister von Elena haben keinen oder nur ein Jahr den Kindergarten besucht. Dieses eine Jahr reicht nicht, um alle Fertigkeiten zu erlangen, die ein Kind für einen Schulbesuch benötigt. Denn es muss nicht nur gut deutsch sprechen, sondern auch wissen, wie ein Stift oder eine Schere zu benutzen ist, was es heißt, auch mal in Stille zu arbeiten oder wie man ein Blatt in einem Ordner abheftet. Fertigkeiten, die Elena fehlten.

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Die Mutter hat keine Zeit für die Kinder

Elenas jüngster Bruder ist vier. Er hat noch nie eine Kita von innen gesehen. Auf die Frage, was die Mutter mit dem Kind denn den ganzen Tag mache, lacht die ehrenamtliche Betreuerin nur. "Was soll eine Mutter von sechs Kindern denn mit einem Vierjährigen tun? Sie muss den Haushalt und die Wäsche für acht Personen machen: Für acht Leute kochen, die Kleinen von der Kita oder der Schule abholen, zu Ärzten oder Ämtern gehen. Was soll sie denn mit dem Vierjährigen tun?", fragt die Ehrenamtliche.

Und so tobt der Kleine durch die Wohnung, schubst und ärgert seine Geschwister und wird wohl in zwei Jahren an der Gräfenauschule auch keine Ahnung haben, wie er kleine Bildchen passend zu den Buchstaben ausschneiden soll.

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