Redewendung

Woher kommt der Ausdruck "Die Kirche im Dorf lassen"?

Stand
AUTOR/IN
Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Audio herunterladen ( | MP3)

Es gibt dazu zwei halbwegs plausible Erklärungen. Die eine geht so: Der Ausdruck geht auf die Zeit zurück, in der die katholische Kirche noch viele Prozessionen auf dem Land durchführte. Dummerweise haben Dörfer aber die Eigenschaft, dass sie klein sind, und eine Prozession, die etwa von einem Ende des Dorfes zum anderen geht, wäre dann schnell zu Ende und macht nicht viel her. Und wenn aus der Umgebung auch noch genügend Gläubige dazu kommen, platzt das Dorf schnell aus allen Nähten.

Also gab es Bestrebungen, die Prozessionen außerhalb der Dörfer auszutragen, so dass die Kirche – gemeint war also demnach nicht das Kirchhaus, sondern die Kirchengemeinde – sich aus dem Dorf heraus begeben musste. Das stieß jedoch auf Widerstand. Und viele meinten: Nein, die Kirche – das Kirchenleben – gehöre ins Dorf, und da soll man es doch belassen, auch wenn die Prozession dann eben kleiner ausfallen mag. Das passt auch zur heutigen Bedeutung des Ausdrucks "Die Kirche im Dorf lassen" im Sinne von: Lasst es uns nicht übertreiben, es geht auch eine Nummer kleiner.

Dorfkirchen regierten anfangs über Stadtkirchen

Es gibt aber noch eine andere Erklärung, die führt den Ausdruck auf das späte Mittelalter zurück, wo der Ausdruck zum ersten Mal nachgewiesen ist, auch in Frankreich. Bis ins späte Mittelalter hinein wurden neue Siedlungen in enger Zusammenarbeit mit der Kirche gegründet. Die Kirche war im Dorf verwurzelt, die Kirche war Kristallisationskern neuer Siedlungen.

Diese Dorfkirchen regierten anfangs auch über viele Stadtkirchen. Beispiel Ulm: Bevor das Ulmer Münster gebaut wurde, lag die für Ulm zuständige Pfarrkirche außerhalb der Stadt. Und verwaltet wurde sie auch nicht von Ulm, sondern vom Kloster Reichenau. Und so war es in vielen Städten, die Städte hatten über ihre Kirchen wenig zu sagen, denn die wurden organisatorisch von Pfarrkirchen auf dem Land verwaltet.

Das änderte sich dann aber im späten Mittelalter, als die Kathedralen gebaut wurden. Da wurden die Stadtgemeinden nach und nach so groß und mächtig, dass sie sich nicht mehr von den Dorfpfarreien regieren lassen wollten und sich von ihnen abkapselten. Das wiederum passte natürlich den Dorfpfarreien nicht, denn die fürchteten, an Bedeutung zu verlieren, wenn sich die Städte alle von ihnen loslösten. Deshalb gaben sie die Parole aus: Man möge doch die Kirche im Dorf lassen, da, wo sie traditionell gewachsen ist. Der Vorteil dieser Erklärung ist: Sie passt ein bisschen besser zu den historischen Quellen. Der Nachteil ist: Der Bezug zur heutigen Verwendung dieses Ausdrucks ist weniger deutlich.

Religion Was bedeutet der Hahn auf einem Kirchturm?

Der Hahn geht zurück auf die berühmte Geschichte im Neuen Testament, in der Jesus dem Petrus prophezeit: "Du wirst mich dreimal verleugnen bis der Hahn kräht". Und so ist es ja dann auch gekommen. Von Gábor Paál | Dieser Beitrag steht unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Architektur Dom, Münster, Kathedrale, Basilika – Was sind die Unterschiede?

Ein Dom ist ein großes, historisch bedeutsames Kirchenhaus. Ebenso die Kathedrale, aber Kathedralen sind außerdem Bischofssitz. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Sprache Welche ist die schwierigste Sprache der Welt?

Für Deutsche sind Sprachen besonders schwierig, zu denen es überhaupt keine Verwandtschaft gibt. Also nicht-indogermanische Sprachen wie Finnisch, Ungarisch oder auch Georgisch. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Derzeit gefragt

Religion Warum feiert die orthodoxe Kirche Ostern später?

Die Ursache liegt in der Kalendergeschichte. Es gibt den julianischen und den gregorianischen Kalender. Den hat Papst Gregor XIII. nachgeschärft, um Kalenderungenauigkeiten zu beseitigen. Von Werner Mezger

Ornithologie In welchen Abständen legen Meisen ihre Eier?

Eine Blaumeise kann bis zu 12 Eier legen – jeden Tag eins. Trotzdem schlüpfen die Jungen alle gleichzeitig, denn gebrütet wird erst, wenn das Gelege vollständig ist. Von Hans-Heiner Bergmann

Tiere Warum schreien Hühner, nachdem sie ein Ei gelegt haben?

Hühner haben ständig zu allen Situationen irgendwelche akustischen Kommentare abzugeben; sie sind ständig in akustischer Kommunikation. Und es sind hoch soziale Vögel. Das bedeutet, dass dieses Gegacker nach der Eiablage in diesem Zusammenhang gesehen werden muss. Von Hans-Heiner Bergmann

Ornithologie Benutzen Blaumeisen das Nest vom Vorjahr oder bauen sie neu?

Das alte Nest, so wie es ist, wird nie mehr direkt benutzt, sondern die Vögel bauen ein neues Nestchen darüber. Von Claus König

Astronomie Wie lautet der Merkspruch für die Reihenfolge der Planeten?

Früher hieß er "Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten." Seit Pluto weggefallen ist kann man sagen: "Mein Vater erklärt mir jeden Samstag unseren Nachthimmel." Von Tilman Spohn

Gesundheit Mit dem Rauchen aufhören: Wann ist der Körper wieder auf Nichtraucherniveau?

Das Rauchen hat viele Auswirkungen auf den Körper. Manche verschwinden, wenn man aufhört, schneller, andere brauchen länger. Recht schnell verschwinden die unmittelbaren Symptome, also der Raucherhusten und die Kurzatmigkeit. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Hirnforschung Benutzen wir wirklich nur 10 Prozent unseres Gehirns?

Das Gerücht hat der Gründer von Scientology, Ron Hubbard, in die Welt gesetzt. Es wird heute noch von Scientology verbreitet. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Redensart Woher kommt "der Teufel ist ein Eichhörnchen"?

Der weit verbreitete Spruch hängt damit zusammen, dass das Eichhörnchen immer schon im Aberglauben negativ besetzt war. Denn zwei Faktoren verbinden es mit dem Teufel. Von Rolf-Bernhard Essig.

Holocaust 6 Millionen ermordete Juden – Woher stammt diese Zahl?

6 Millionen Juden haben die Nationalsozialisten ermordet. Rund 4 Millionen Menschen starben in Konzentrations- und Vernichtungslagern, 2 Millionen durch Massaker. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0. | http://swr.li/holocaust