Essig wird in vielen sozialen Medien gerne als gesundheitlicher Alleskönner angepriesen. Morgens getrunken soll er gegen Verstopfung und Blähbauch helfen, Blutzucker und Haut positiv beeinflussen und sogar beim Erlangen der Strandfigur helfen. Stimmt das?
Essig: ein uraltes Würz- und Heilmittel
Essig wird seit über 6.000 Jahren zum Würzen und Haltbarmachen, aber auch als Heilmittel genutzt. Denn die Säure im Essig wirkt desinfizierend. Das wussten bereits die alten Ägypter und Chinesen.
Die römischen Legionäre machten sich die desinfizierende Wirkung von Essig zu nutze, indem sie eine Mischung aus Wasser und Essig in ihre Feldflaschen füllten. Da Essig Keime tötet, wurde das Wasser genießbar.
Auch der griechische Arzt Hippokrates soll Essig als Heilmittel eingesetzt haben - etwa zur Wundreinigung oder bei Magenverstimmung.
Wie wird Essig hergestellt?
Um Essig herzustellen, werden alkoholische Ausgangsflüssigkeiten mithilfe von Essigsäurebakterien vergoren. Dazu braucht es die sogenannte Essigmutter, eine gallertartige Masse aus Essigsäurebakterien.
„Das fängt dann ganz langsam an zu fermentieren. Es nimmt den Alkohol auf und scheidet Essigsäure aus“, erklärt Essigmacher Schorsch Wiedemann vom Weinessiggut Doktorenhof in Venningen in Rheinland-Pfalz.
Er stellt seinen Essig auf traditionelle Weise her. Dafür braucht es Geduld: Bis aus dem Wein Essig geworden ist, dauert es etwa 15 Monate.
Danach wird der Essig in kleinere Barriquefässer umgefüllt. Dort verdunstet weiter Wasser. Dabei entwickelt der Essig erst sein eigentliches Aroma.
Die Reifung braucht Zeit. Exklusive Essige können Jahrzehnte lang reifen und an Qualität zunehmen - wie guter Wein.
Vier Wochen vor der Abfüllung kommen dann unterschiedliche Aromen zum Essig – wie Aprikosen, Orangenschalen, Thymian oder Kamille. „Der Essig zieht aus den Kräutern, Wurzeln, aus dem Obstteil die Inhaltsstoffe raus. Wasserlösliche Stoffe, ätherische Öle - je nach dem, was es ist“, erzählt Wiedemann.
Unterschiedliche Essigsorten
Die verschiedenen Essigsorten unterscheiden sich vor allem aufgrund ihrer Ausgangsprodukte:
- Branntweinessig
wird auch Tafelessig, Haushaltsessig oder weißer Essig genannt – nicht zu Verwechseln mit Weißweinessig. Er ist der günstigste Essig. Branntweinnessig wird industriell meist synthetisch hergestellt, indem destilliertem Alkohol - dem Branntwein - aus vergorenem Weizen, vergorenen Kartoffeln oder Zuckerrüben Essigsäurebakterien zugesetzt werden. Mit Weinbrand hat er nichts zu tun, da die Ausgangsbasis für Branntwein, anders als der Name vermuten lässt, nicht Wein ist. Branntweinessig ist eher sauer und scharf, relativ geschmacksneutral und wird oft zum Einlegen von Gemüse verwendet.
- Obstessig
wie beispielsweise Apfelessig oder Himbeeressig wird aus vergorenen Früchten hergestellt. Er ist eher säurearm und fruchtig mild. Er eignet sich für Salatsoßen, aber auch zum Würzen von Speisen.
- Fruchtessig
kann dagegen auch ein Weißweinessig sein, der mit dem jeweiligen Fruchtsaftkonzentrat vermischt wurde.
- Weinessig
wird aus Rot- oder Weißwein hergestellt. Je hochwertiger der Wein, desto besser ist der Essig. Er kann für Salate, aber zum Beispiel auch zum Marinieren oder Würzen verwendet werden.
- Aceto Balsamico
wird aus eingedicktem Traubenmost gewonnen und durch Zugabe von Wein zum Gären gebracht. Er ist sehr aromatisch. Neben der typisch italienischen Caprese mit Tomaten, Mozzarella und Basilikum passt er auch zu vielen anderen mediterranen Gerichten.
- Sushi-Essig
wird aus Reiswein hergestellt und ist mild im Geschmack. Er wird vor allem zum Zubereiten und Würzen von Sushi-Reis verwendet.
- Kräuteressig
ist ein Weinessig, der mit Kräutern wie beispielsweise Rosmarin, Thymian oder Dill aromatisiert wird.
Und was ist Essigessenz?
Bei Essigessenz handelt es sich um industriell gereinigte Essigsäure. Sie wird meist synthetisch hergestellt. In industriellen Anlagen wird Ethanol - Alkohol - zu Essigsäure umgewandelt. Essigessenz ist durch ihren hohen Säuregehalt stark ätzend.
Erst verdünnt - ab einer Verdünnung von vier Teilen Wasser auf einen Teil Essigessenz - kann man Essigessenz als Speiseessig verwenden. Essigessenz wird auch häufig im Haushalt zur Reinigung von Küche und Bad verwendet.
Ist Essig gut für die Haut?
In den sozialen Medien tauchen immer wieder Videos auf, in denen sich Menschen Essig auf ihre Pickel tupfen oder ein bis zwei Teelöffel Essig früh morgens verdünnt mit Wasser trinken. Hilft das wirklich?
„Essig ist in erster Linie sauer. Und die Säure hilft, da sie desinfiziert. Das heißt, wenn wir kleine Entzündungen auf der Haut haben oder ein Pickelchen, kann Essig schon gut sein“, erklärt Ökotrophologin Dr. Brigitte Bäuerlein.
Ist Essig gut für die Verdauung?
Auch auf den Magen hat Essig positive Auswirkungen.
„Essig hilft uns bei der Verdauung, indem er zum Beispiel schon im Mund und Rachenraum mithilft zu desinfizieren, den Schleim mit unterstützt und auch im weiteren Verlauf im Magen die Verdauungssäfte anregt“, sagt die Ökotrophologin.
Hilft Essig gegen Gefäßverkalkung, also Arteriosklerose?
Wissenschaftler beschäftigen sich seit Längerem mit der antioxidativen Wirkung von Essig. Sie fanden heraus, dass insbesondere Balsamicoessig das Risiko für Gefäßverkalkungen - auch Arteriosklerose genannt - senken kann.
Grund dafür sollen die aus den Trauben stammenden Polyphenole sein. Diese sekundären Pflanzenstoffe können entzündungshemmend und antioxidativ wirken.
Im Essig sind diese Pflanzenstoffe allerdings nur in kleinen Mengen zu finden. Der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse lohnt sich im Vergleich dazu deutlich mehr.
Essig bei Diabetes
Studien legen nahe, dass Essig besonders für Diabetiker positiv wirken kann, und zwar aufgrund seiner möglichen Blutzucker regulierenden Wirkung. So könnten kleine Mengen Essig zu einer Mahlzeit das anschließende Ansteigen des Blutzuckerspiegels etwas absenken.
Oftmals sind Zellen von Diabetikern nicht empfindlich für Insulin. Das hat zur Folge, dass bei ihnen Insulin schlechter an der Zelle andocken kann. Damit Zucker aus dem Blut in die Zellen gelangen kann, ist jedoch genau das notwendig. Andernfalls steigt der Blutzuckerspiegel.
Nehmen Diabetiker Essig zu sich, so die Vermutung, kann die Empfindlichkeit für Insulin in den Zellen erhöht werden. Dadurch kann das Insulin besser an Rezeptoren andocken und der Zucker letztlich besser in die Zellen gelangen. So könnten Diabetiker ihren Blutzuckerspiegel effektiver steuern.
Ernährungswissenschaftlerin Dr. Bäuerlein rät, zu diesem Thema Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu halten.
Hilft Apfelessig beim Abnehmen?
Keine Essig-Sorte hat es in der letzten Zeit so in die Schlagzeilen geschafft wie der Apfelessig, der als angeblicher Schlankmacher Karriere machte. Auslöser für diesen Hype war eine libanesische Studie. Junge, übergewichtige Probanden haben dort sechs bis acht Kilo Körpergewicht innerhalb von zwölf Wochen abgenommen - angeblich durch Apfelessig.
„Wenn man genau hinschaut, waren es nur wenige Teilnehmer“, kritisiert Dr. Bäuerlein. Zudem sei unklar, wie viel Sport die Teilnehmenden machten und ob möglicherweise eine weitere Ernährungsumstellung Grund für die Gewichtsabnahme war.
Der wissenschaftliche Beweis, ob Apfelessig beim Abnehmen helfen kann, steht jedenfalls weiter aus.
Vorsicht bei übermäßigem Essigkonsum
Säureempfindliche Menschen sollten mit Essig vorsichtig sein. Ein übermäßiger Essigkonsum kann zu Magenreizungen führen und den Zahnschmelz angreifen.
In unverdünntem Zustand sollte man Essig nicht trinken. Wer den Essigtrend ausprobieren möchte, kann ein bis zwei Teelöffel Essig mit Wasser verdünnen.