Musikstück der Woche

Lionel Martin und Demian Martin spielen Prokofjews Cellosonate C-Dur op. 119

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Jörg Lengersdorf
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Die Jahre stalinistischen Terrors in der Sowjetunion zeitigen regelmäßig kulturelle „Säuberungsaktionen“. Diesmal gerät Sergej Prokofjew ins Visier.

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Konfliktfreie Zone

Stalins Kultursprecher Andrei Zhdanov leitet auch die letzte dieser Maßnahmen im Jahr 1948. Die sogenannte Zhdanov-Doktrin besagt in Kürze, dass der einzig denkbar darzustellende Konflikt in sowjetischer Kunst jener sei zwischen „dem Guten und dem Besten“.

Theoretisch bedeutet das, dass man sich in allen kreativen Fragen eng an die Parteilinie zu halten habe. Praktisch bedeutet es, dass zwei Denunziationen ausreichen, um kreativ kaltgestellt zu werden. Der Vorwurf des „Formalismus“ kann Aufführungsverbote und willkürliche Repressionen gegen ganze Familien auslösen.

Acht Jahre Arbeitslager für Prokofjews Frau

Während einer der endlosen Konferenzen, bei denen Komponisten gezwungen werden, sich offiziell für ihre Produktionen zu entschuldigen, erfährt der angststarre Prokofjew, dass seine erste Frau Lina wegen des Verdachts der Spionage verhaftet worden ist. Die erfundenen Anschuldigungen bringen sie für acht Jahre ins Arbeitslager. Prokofjew wird ihre Entlassung nicht mehr erleben. Er stirbt 1953 am selben Tag wie Stalin.

Die Cellosonate: überdrehtes Zugeständnis

Persönlich befindet sich Prokofjew 1949 also in einer tiefen Krise. Äußerlich allerdings kaschiert er seine Ängste in der Cellosonate op. 119 wirkungsvoll und doppelbödig. Manche Passage wirkt im Mittelsatz fast übertrieben heiter und volkstümlich, ein überdrehtes Zugeständnis an die kommunistischen Sittenwächter.

Den letzten virtuosen Schliff erhält die Sonate auch durch den jungen Widmungsträger Mstislaw Rostropowitsch, der Prokofjew als 20-Jähriger, 1947, bei einem Moskauer Konzert extrem beeindruckt hatte. Im Juni 1949 ist das Werk fertig, es bleibt nicht viel Zeit zum Proben, denn es wird noch im selben Monat vor dem Staatlichen Komitee für Kunstangelegenheiten aufgeführt.

Der lange Marsch durch die Institutionen

Sviatoslav Richter, Pianist der etwas absurd anmutenden Premiere, erinnerte sich später:

Bevor wir sie im Konzert spielen konnten, mussten wir sie im Komponistenverband aufführen, wo diese Herren über das Schicksal aller neuen Werke entschieden. In dieser Zeit mussten sie vor allem herausfinden, ob Prokofjew ein neues Meisterwerk oder ein „volksfeindliches“ Werk geschaffen hatte. Drei Monate später mussten wir es auf einer Plenarsitzung aller Komponisten, die im Rundfunkkomitee saßen, erneut spielen, und erst im folgenden Jahr konnten wir es öffentlich aufführen. Am 1. März 1950 im Kleinen Saal des Moskauer Konservatoriums.

Ob nun von der damaligen sowjetischen Staatspolitik diktiert oder nicht, die Einfachheit der Sonate ist von größter Bedeutung. Die schroffen dissonanten Techniken, die in seinen Werken oft so aufregend hervorstechen, sind verschwunden, Harmonie, Rhythmus und die Satzangaben sind durchsichtig und direkt in der Aussage.

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