Bericht

BookTok-Phänomen Colleen Hoover – Romantische Bestseller für Millionen

Stand
AUTOR/IN
Nina Wolf

Wäre BookTok ein Königreich, Colleen Hoover wäre die Königin. Aber auch offline führt kaum ein Weg an ihren Erzählungen rund um Beziehung, Sex und Leidenschaft vorbei. Die Fans der US-amerikanischen Autorin lieben ihre romantischen Romane. Aber was fasziniert sie so an diesen Büchern? Nina Wolf wollte es rausfinden und hat Hoovers Mega-Bestseller „It Ends With Us” gelesen.

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„Wie heißt du?“, fragt er. Oh-oh. Ich spüre seine Stimme bis tief in meinen Bauch hinein und das ist nicht gut. Stimmen sollten nur die Ohren erreichen. Allerdings gibt es manche – wenige – Menschen mit Stimmen, die in meinem ganzen Körper nachhallen. Er hat so eine Stimme. Dunkel und selbstbewusst und zugleich butterweich.

Lily Blossom Bloom ist 23, Blumenhändlerin und trifft Ryle Kineaid, Neurochirurg mit buttriger Stimme, ehrgeizig und wahnsinnig sexy. Beide leben in Boston und verlieben sich. Friede, Freude, Ehepaar: bis Atlas Corrigan auf der Bildfläche erscheint. Er ist Lilys Jugendliebe und ebenfalls wahnsinnig sexy.

Lily, Ryle und Atlas sind die Hauptfiguren in „It ends with us“, einem der romantischen Romane von US-Erfolgsautorin Colleen Hoover.

Wobei „Erfolgsautorin“ in Colleen Hoovers Fall eine glatte Untertreibung ist: bis Ende 2022 wurden an die 20 Millionen Exemplare ihrer Bücher verkauft, hierzulande gehört sie neben Sebastian Fitzek zu den meistverkauften Autor*innen.

Die Booktokerinnen kürten Lily, Ryle und Atlas kürten zu ihren Lieblingen, das 2016 erstmals veröffentlichte „It Ends With Us“ wird in der Pandemie zum Kassenschlager. Wäre BookTok ein Königreich, Hoover wäre die Königin.

Aber was fasziniert die Fans so an den Texten der Texanerin?

Zum einen kann Colleen Hoover wirklich schreiben. Sie kann wirklich Genre schreiben. Sie erfindet nichts Neues, aber sie kann die Genreelemente, die man kennt, einfach wunderbar abmischen und sie konzentriert sich auf das Wesentliche. Also was man in vielen populären Romanen hat und was den Lesefluss stört, findet man bei ihr eigentlich nicht. Also überflüssige Beschreibungen, überflüssige Einblicke ins Innenleben. Sie macht das sehr präzise und sie liefert einem genauso viel, wie man braucht, um die eigene Imagination anzukurbeln.

Christine Lötscher ist Professorin für Populäre Literaturen und Medien an der Universität Zürich. Sie forscht unter anderem zu Mainstream Genres und interessiert sich gerade für das neue Buchhandelsgenre „New Adult“ und das Phänomen BookTok.

Christine Lötscher weiß: Zu Hoovers Erfolg bei den Fans zählt mehr als nur eine unterhaltsame Schreibe.

Ein Geheimnis ist die Beziehung, die sie mit ihren Leserinnen pflegt. Und Fans ist vielleicht gar nicht das richtige Wort: Weil, ich glaube, man kann das gar nicht so mit klassischen Fankulturerklärungsmodellen gar nicht so richtig fassen, weil die Leserinnen hassen sie ja auch.

Der Vorwurf der Leserinnen: Hoovers Bücher würden toxische Beziehungen abbilden. In der Geschichte um Lily Bloom ist es die Figur des Ehemanns Ryle, bei dem sich Abgründe auftun. Als er erfährt, dass Lilys Jugendliebe Atlas Kontakt zu ihr hat, wird er gewalttätig. „It Ends With Us“ erzählt auch die Geschichte von häuslicher Gewalt. Was daran fasziniert die jungen Leserinnen?

Dass das so faszinierend ist, hat vor allem damit zu tun – das wird ihr ja auch oft vorgeworfen – dass sie wirklich heterosexuelle, eigentlich konservative, nicht sonderlich innovative Liebesgeschichten erzählt, aber diese Liebesgeschichten sind fast immer mit Gewalt verbunden. Und dadurch bedient sie einerseits ein Genreklischee und gleichzeitig deckt sie auch die dunklen Seiten davon auf.

Bei Colleen Hoover kann man eigentlich in die Schatten der RomCom, der Romantic Comedy, eintauchen. Dieser Traum von der perfekten Liebe, was da alles für Abgründe dahinter verborgen sind und was für Machtkämpfe und was für ein Geschlechterkampf letztlich auch. Ohne dass sie das explizit machen würde. Es plätschert als sehr leicht konsumierende Unterhaltung so daher.

Romantische Klischee-Komödie trifft auf Psychothriller-Elemente: Eine explosive Mischung. Entscheidend ist aber auch noch eine andere Zutat, die ihrem Gemisch Wucht verleiht.

Er trägt wieder OP-Kleidung und hat diesmal sogar ein Stethoskop um den Hals hängen. Frisch von der Arbeit. Sehr sexy. Ich kann mir nicht helfen. Der Look macht mich nun mal an. „Hallo, Herr Doktor.“

Ohne Sex kommen die Hoover-Geschichten nicht aus. Und die Autorin setzt ihn geschickt ein, meint Christine Lötscher:

(…) und zwar schafft sie es ihre Leserinnen in ein erotisches Verhältnis, eine erotische Spannung zwischen der Leserin und ihren Büchern herzustellen. Man kann es wirklich nicht anders erklären, und zwar läuft das über Suspense, also sie schafft, so ganz klassisch, Spannung, man will wissen, wie es weiter geht, man will wissen, was am Ende passiert. Es passiert meistens dann gar nicht so wahnsinnig Verrücktes, also man ist auch oft dann ein bisschen enttäuscht von den Plottwists und den Enden, die sie bringt, aber es gelingt ihr einfach diese wahnsinnige Spannung aufrecht zu erhalten. Und das macht sie auch oft über tatsächlich auch diese Beschreibung sexueller Anziehung, also wie es zwischen den Figuren dort hin und hergeht, wie es sich ewig lang hinzieht, bis sie sich näherkommen und es ist klar, sie begehren sich, aber irgendwie geht’s dann doch nicht – und das macht sie wirklich sehr gut.

Diversität oder Politisches haben im Colleen-Hoover-Kosmos allerdings keinen Platz. Wie passen diese Bücher in unsere Zeit?

Die passen überhaupt nicht rein – und genau deswegen passen sie ja auch so wunderbar rein. Denn sie greifen ja auch Geschichten auf, die wir bei Jane Austen und den Brontës lieben, natürlich sehr viel weniger literarisch und sehr viel klischierter. Sie greift damit was auf, was eigentlich schon im 19. Jahrhundert von Frauen gelesen wurde, das ist diese Art Liebesgeschichte, die jetzt nochmal neu aufgekocht wird, aber es ist natürlich schon wahnsinnig, dass alles sich nur auf die Liebe konzentriert. Und das scheint mir eben auch unglaublich unzeitgemäß, weil wir sind ja permanent konfrontiert mit politischen Themen, dem Klima – all das spielt überhaupt keine Rolle.

Die Genderthematik kommt eigentlich auch nur über Sexualität und Gewalt über die Bücher hinein, aber das ist vielleicht auch Teil des Geheimnisses, dass die Bücher sich letztlich an der Genderfrage abarbeiten, aber auf eine ziemlich indirekte Weise. Dass sie die Freuden der heterosexuellen Sexualität gleichzeitig feiern, aber auch zeigen, dass sie eigentlich auch keine Zukunft haben, weil diese Liebesgeschichten völlig von der Welt abgeschnitten sind.

Colleen Hoovers Bücher reihen sich in eine lange Tradition der unterhaltsamen Liebesromane ein. Und auch die Vorwürfe, denen sie ausgesetzt sind, sind nicht neu. Der moralische Maßstab, den ein kritisches Publikum an „It Ends With Us“ und Co. anlegt, kam auch schon bei Rosamunde Pilcher, der Twilight-Reihe oder Fifty Shades of Grey zum Einsatz. Das Skandalisieren populärer Literatur ist ein alter Zopf, meint Professorin Christine Lötscher:

Weil eben serielles, sentimentales Schreiben und Lesen war schon im 19. Jahrhundert klar weiblich konnotiert, wurde dem Weiblichen zugeschrieben, galt als intellektuell unterirdisch, als emotional und reduziert auf irgendwie wenig elaborierte Grundemotionen.

Und irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass jetzt Frauen mit einem anderen Selbstbewusstsein sagen: Wir wollen diese Guilty Pleasure oder gar keine Guilty mehr, sondern wir wollen das jetzt einfach genießen und unseren Spaß haben mit solchen Texten, die vielleicht auch problematisch sind.

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Nina Wolf