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María Gainza – Schwarzlicht

Stand
AUTOR/IN
Victoria Eglau

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Kunstbetrug in Buenos Aires: Eine angesehene Gutachterin arbeitet mit einer Fälscherbande zusammen. Und eine Kunstkritikerin sucht besessen nach einer Malerin, die Bilder der österreichisch-argentinischen Künstlerin Mariette Lydis kopierte. Im Roman „Schwarzlicht“ von María Gainza verschwimmen die Grenzen von Wahrheit und Fiktion.

Ein Hotel in Buenos Aires: Hier quartiert sich eine Kunstkritikerin unter falschem Namen ein. Die Zeitung, für die sie schrieb, hat ihr gekündigt. Die Kritikerin schließt sich in ihrem eleganten Zimmer ein und beginnt, ihre Geschichte aufzuschreiben: Eine faszinierende und geheimnisvolle Geschichte, vielleicht sogar ein Geständnis, aus der Welt der Kunst – und der Kunstfälschungen. So beginnt María Gainzas Roman „Schwarzlicht“.

Schlüsselfigur des Romans ist die Kunstsachverständige Enriqueta Macedo. Die Ich-Erzählerin ist ihr vor vielen Jahren – lange, bevor sie Kritikerin wurde – in der Taxierungsstelle einer Bank begegnet. Sie selbst fand dort ihren ersten Job, während die strenge Enriqueta Macedo schon seit Jahrzehnten als Kunstgutachterin der Bank arbeitete. Macedo nahm die junge Mitarbeiterin zunächst unter ihre Fittiche, eines Tages aber machte sie sie zu ihrer Komplizin – denn das eigentliche Metier der angesehenen Expertin bestand darin, gefälschte Kunstwerke für echt zu erklären.

Plötzlicher Tod der Chefin

Gar nicht schockiert, begleitete die Ich-Erzählerin fortan ihre Chefin, wenn sich diese in den Bars von Buenos Aires mit Fälschern traf und Echtheitszertifikate gegen Umschläge mit Geld tauschte. Doch dann starb Enriqueta Macedo plötzlich – und die Ich-Erzählerin verlor nicht nur eine Freundin, sondern auch die abenteuerliche und subversive Tätigkeit, an der sie beide so viel Gefallen gefunden hatten.  

Die Argentinierin María Gainza, selber Kunstkritikerin, hat in leichtem und lakonischem Ton einen geistreichen Roman über das Thema Fälschungen geschrieben. Macedo handelt, wie Gainza schreibt, nicht des Geldes wegen, sondern wird im Namen der Kunst zur Straftäterin.

„Kann eine gute Fälschung etwa nicht ebenso viel Vergnügen bereiten wie ein Original? Ist das Falsche in einem gewissen Punkt nicht wahrhaftiger als das Authentische? Und besteht der eigentliche Skandal (…) nicht darin, dass mit Kunst gehandelt wird?“, lässt die Autorin ihre Romanfigur fragen.

Kunstfälscher und-fälscherinnen sind in „Schwarzlicht“ romantische, rebellische Gestalten. Von der Ich-Erzählerin erfahren wir, wie Enriqueta Macedo in den 1960er Jahren zu einer Gruppe stieß, die in dem Roman „Bande der melancholischen Fälscher“ heißt. Ihr Treffpunkt: ein heruntergekommenes Anwesen in einem bürgerlichen Stadtviertel von Buenos Aires, genannt Hotel Melancólico. Interessant ist, dass es einen Ort dieses Namens, an dem sich Künstler und Dichter trafen, in der argentinischen Hauptstadt tatsächlich gegeben hat – auch wenn er heute in Vergessenheit geraten ist.

Bohémienne als Kopf einer Fälscher-Bande

Und auch die Malerin mit dem Spitznamen La Negra, die so etwas wie der Kopf der Fälscher-Bande ist, basiert auf einer realen Person: Einer ebenfalls fast dem Vergessen anheimgefallenen Künstlerin, die zur Bohème und alternativen Kulturszene im Buenos Aires der 60er Jahre gehörte. Im Roman fälscht La Negra Bilder von Mariette Lydis, einer heute noch bekannten, aus Österreich stammenden Malerin und Illustratorin, die 1970 in Argentinien starb.

Die Ich-Erzählerin des Romans, das heißt, die Kunstkritikerin, flicht in ihre eigene Geschichte immer wieder andere Geschichten ein, die auf verschiedenen zeitlichen Ebenen spielen. Ein bisschen wie Schachteln mit überraschendem Inhalt, die plötzlich geöffnet werden. Einer dieser Einschübe ist Mariette Lydis gewidmet.

Verschwimmende Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion

In literarischen Schnipseln lernen wir das bewegte Leben der Künstlerin kennen, mit Stationen unter anderem in Wien, Paris und schließlich Buenos Aires. Die Grenzen zwischen Biografischem und Erfundenem verschwimmen hier, in dem ganzen Roman sind Wahrheit und Fiktion nie klar voneinander zu trennen, allem haftet der Zweifel an. Ja, so wie bei einem Gemälde und seiner gelungenen Kopie: Der Unterschied zwischen Original und Fälschung ist schwer zu erkennen.

Es ist eine herausfordernde und spannende Reise durch das Labyrinth des Kunstbetrugs, zu der María Gainza uns mitnimmt. Ihr Roman ist provokant und äußerst kurzweilig. Was vordergründig wie eine Verklärung der Welt der Fälscher wirkt, und dadurch durchaus auch irritiert, regt am Ende zum Nachdenken an, über den Kunst-Kommerz und darüber, wo Kunst eigentlich anfängt und aufhört.

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Victoria Eglau