Platz 3 (46 Punkte)

Julia Jost: Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht

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Diskutiert auf Platz 3 der SWR Bestenliste Mai 2024

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Manchmal bedarf es nur einer kleinen Perspektivverschiebung, um die Welt genauer sehen zu können. Die Ich-Erzählerin von Julia Josts Debütroman liegt unter einem Lastwagen und schaut sich das Geschehen um sie herum von unten an.

Es ist das Jahr 1994, und die Ich-Erzählerin ist elf Jahre alt. Der Lastwagen steht auf dem Hof ihrer Eltern und gehört einem Umzugsunternehmen. Der Vater hat mit seiner Firma viel Geld verdient; nun kann die Familie sich den vor allem von der Mutter lang ersehnten Umzug in die Stadt leisten. Ein sozialer Aufstieg, fort aus der Kärntner Provinz, fort vom Gratschbacher Hof, von den Jagdvereinen und Wirtshausgesellschaften.

Von ihrem Platz aus sieht die Erzählerin noch einmal die Bevölkerung des Dorfes vorbeiziehen. Die unmittelbaren Eindrücke sind immer wieder verknüpft mit weiten Erinnerungsbögen, die bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreichen. So reihen sich Geschichten an Geschichten, die sich zu einem Anti-Heimatroman klassisch österreichischer Prägung verbinden: Von tödlichen Unfällen bis hin zu einem feschen Feuerwehrhauptmann, der zum Star einer aufstrebenden Rechtsaußen-Partei wird.

Es ist ein Aufwachsen im Waldheim-Österreich, das hier in einer nur auf den ersten Blick urwüchsig anmutenden Sprache beschrieben wird. Tatsächlich aber ist der hypotaktische Sound, die Mischung aus Umgangssprache und dialektalen Einsprengseln, sorgfältig hergestellt. Er verleiht dem Roman Atmosphäre und Musikalität zugleich.

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SWR