Sonderausstellung

NS-Raubkunst oder nicht? „Herkunft (un)geklärt“ im Mainzer Landesmuseum gibt spannende Einblicke in die Provenienzforschung

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AUTOR/IN
Leonie Berger

Woher stammen die Kunstwerke, die in den Jahren 1933-1945 vom Altertumsmuseum und der Gemäldegalerie der Stadt Mainz erworben wurden? Diese Frage versucht deren Nachfolgeinstitution, das Mainzer Landesmuseum, zu beantworten. Gezeigt werden zahlreiche Geschichten von Gemälden und anderen Kunstobjekten, die häufig mit dem Schicksal jüdischer Familien verwoben sind.

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Bilder und ihre Besitzer

Eine Ansicht von Mainz in Öl, ein großformatiges Gemälde mit opulentem Rahmen, der Rhein, der Dom und weitere Kirchtürme sind gut zu erkennen. Nicht ungewöhnlich, ein solches Bild im Mainzer Landesmuseum zu sehen.

Dass es aber nicht um dessen kunsthistorische Bedeutung geht, allerdings schon. Diesmal, in der Ausstellung „Herkunft ungeklärt“ geht es um die Frage, warum das Bild dort nun hängt. Und vor allem geht es um seinen Besitzer.

Was geschah mit der Sammlung von Siegmund Levi?

Siegmund Levi, 1864 in Mainz geboren, war Jurist, Kunstsammler und Jude. Von den Nationalsozialisten erhielt er 1938 Berufsverbot. Aus seinem großen Haus an der Uferstraße musste er in eine kleine Wohnung nach Frankfurt umziehen, 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo ein halbes Jahr später starb.

Biografien von Objekten und Menschen Zwischen Archiv und Internet – So arbeitet eine Provenienzforscherin

Herauszufinden, wer Kulturgüter wann besessen hat, kann sehr kompliziert sein. Dorothee Glawe arbeitet als Spezialistin für NS-Raubgut am Mainzer Landesmuseum. Die Provenienzforscherin weiß, welche Quellen mehr über die Biographie eines Kunstwerks verraten.

Was mit seiner Kunstsammlung passierte, ist schwer nachvollziehbar. Sicher ist: Teile wurden versteigert, der Auktionskatalog blieb im Museum erhalten. 

 Aktenzeichen 626/13: Identität geklärt

In diesem Auktionskatalog ist beim Ölgemälde von der Stadt Mainz ganz klein die Nummer 626 vermerkt. „Der Einlieferer ist vorne nachzuschauen und steht dort mit dem Kürzel S.L.“, sagt die Kuratorin der Ausstellung, Dorthee Glawe.

„Auf der Rückseite des Gemäldes steht auch tatsächlich die 626/13, also die Nummer 13 des Einlieferers 626, das heißt, wir können davon ausgehen, dass die Identität geklärt ist, dass es tatsächlich auf dieser Auktion war“, so die Provenienzforscherin.

 Provenienzforschung ist Erinnerungsarbeit

Nachfahren von Siegmund Levi leben heute in Nordamerika. Sie haben der Ausstellung des Gemäldes und anderer Werke aus der Sammlung des Urgroßvaters gerne zugestimmt.

Provenienzforschung ist auch Erinnerungsarbeit, eine Ausstellung wie „Herkunft ungeklärt“ eine historische Mahnung. Die gezeigten Kunstwerke, seien es Gemälde, Porzellanfiguren oder Zeichnungen, haben alle ihre eigene Geschichte.

Wie man unkenntlich gemachte Hinweise entschlüsselt

So sieht man in der Ausstellung eine expressionistische Zeichnung, die der Vorgängerinstitution des Landesmuseums von „einer anonymen Dame“ geschenkt wurde. Sie gehört zu einer ganzen Reihe von Zeichnungen, auf denen Informationen ausgekratzt wurden. Doch auf einer Zeichnung war der Provenienzhinweis nur verklebt, zeigt Dorothee Glawe:

 „Wenn man ihn dann gegen das Licht hält, sieht man, dass da „Eigentum von M. Lehne, Mainz“ steht. Die Eigentümerschaft von Maria Lehne konnte so nachgewiesen werden.

Warum waren die Provenienzmerkmale ausgekratzt? „Vermutlich hat das was damit zu tun, dass die Kunstwerke eher expressionistisch sind“, sagt Glawe. Mit dieser damals als „entartet“ verschrienen Kunst habe Maria Lehne vielleicht nicht in Verbindung gebracht werden wollen.

Viele Archive im Krieg zerstört

Solche Hinweise zu finden ist ein glücklicher Zufall, denn im Krieg wurde fast das gesamte Museumsarchiv zerstört. Auch das wird in der Schau anhand historischer Fotografien und zerfledderter Inventarbücher deutlich. Zudem gingen Kunstwerke verloren: gut zwei Drittel der zwischen 1933 und 1945 erworbenen Objekte.

Untersucht wurden nun 375 Objekte, davon wurden 106 als unbedenklich eingestuft, zwei als eindeutig belastet. Beim Rest ist die Herkunft lückenhaft oder nicht sicher unbedenklich.

Provenienzforschung als Dauerauftrag

Eine Mosaikarbeit, sagt die Direktorin des Mainzer Landesmuseums Birgit Heide. „Manchmal tauchen Puzzlestückchen nach Jahren auf, die einem dann wieder weiterhelfen.“

Jede Neuerwerbung, die das Museum tätige, würde heute einer kritischen Provenienzanalyse unterzogen, sagt die Museumsdirektorin. „Wir möchten keine Gemälde mehr kaufen, die eventuell bedenklich sind.“ 

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