Die britische Dramatikerin Sarah Kane wurde nur 26 Jahre alt. Die Depression hat sie ihr Leben gekostet und davor ihr Schreiben stark geprägt. So auch in ihrem letzten Stück „4.48 Psychose“. Am Staatstheater Mainz ist nun eine packende Opernfassung von Komponist Philip Venables zu sehen.
„Du kannst nichts dafür!“
Schlage die Trommel und fürchte dich nicht? Im Staatstheater Mainz stehen rechts und links zwei Schlagzeugerinnen vor der Bühne und treten in einen Dialog. Genau im Rhythmus mit den Worten, die wie von Geisterhand hinten auf die Bühnenwand geworfen werden: Fragen und Antworten zwischen Psychotherapeut und Patientin.
Darunter immer wieder der Satz „Du kannst nichts dafür!“. Eigentlich der Schlüsselsatz in der Kammeroper „4.48 Psychose“ von Philip Venables. Denn für eine Depression kann wirklich niemand.
Klinikaufenthalt, Medikation und Elektroschock-Therapie
Eine Krankheit, unter der auch die Britin Sarah Kane gelitten hat. In ihrem Theaterstück von 1998, das der Oper zugrunde liegt, beschreibt sie jene Momente, in denen die Psychopharmaka nicht mehr wirken und der Kopf klar wird – nämlich jede Nacht um 4 Uhr 48.
Sarah Kanes Texte werden immer wieder eingeflochten in Philip Venables Kammeroper „4.48 Psychose“: Mal hochpoetisch, mal drastisch, mal provokant aggressiv beschreiben sie die psychotischen Zustände einer Frau und den Krankheitsverlauf der Depression, samt Klinikaufenthalt, Medikation und Elektroschock-Therapie.
Packende Musiksprache
Philip Venables findet für die psychotischen Zustände eine packende Musiksprache, die er hier auf sechs Gesangs-Solistinnen verteilt. Und die sie und das Philharmonische Staatsorchester Mainz – um einen Akkordeonspieler und elektronische Verfremdungseffekte ergänzt – unter Dirigent Samuel Hogarth hervorragend umsetzen. Mal technoartig-aggressiv, mal lethargisch, mal Popsong – mal Barock-Zitate von Bach und Purcel.
Verena Tönjes changiert gekonnt zwischen Pop- und Operngesang, begleitet sich dabei selbst auf einem kleinen Keyboard: Einer von vielen berührenden Momenten in Rahel Thiels großartig stimmiger Inszenierung.
Käfig der Närrinnen
Glaswände schließen die sechs Frauen auf der Mainzer Bühne ein. Alle tragen hier die gleiche Blondhaarperücke und blutroten Schlabberpuli zu roten Liebestöter-Socken.
Ein Käfig der Närrinnen, die sich hier durch entsprechendes Licht auch mal in den Wänden spiegeln - verdoppeln, verdreifachen. Und wer schon im Glashaus sitzt, wirft gern auch mal mit Steinen - oder steinharten Worten.
Eine Krankheit, die schwer zu begreifen ist
Irgendwann fällt den Frauen der Himmel auf den Kopf – wenn ein Gestänge samt Scheinwerfern vom Bühnenhimmel herunterfährt, sie in ihrem Glashaus zu zerdrücken droht. Doch es gibt auch die friedvollen Momente, wenn sie sich gegenseitig halten oder umarmen.
Schöne Bilder für Selbst-Mit-Leid. Der rote Striemen an ihren Hälsen erinnert an den Selbstmord von Sarah Kane. 1999 hat sich die britische Dramatikerin in ihrer psychiatrischen Klinik schließlich erhängt, gerade mal 28 Jahre jung.
Biografisch aber will Philip Venables in seiner Oper „4.48 Psychose“ gar nicht sein. Eher eintauchen in eine Krankheit, die so schwer zu begreifen ist: Das ist zwar nicht unbedingt schön anzusehen, aber umso wichtiger hinzusehen. Und hinzuhören.