Opernkritik

Richard Wagners „Tannhäuser“ in Karlsruhe – Musikalisch wie szenisch gelungen

Stand
AUTOR/IN
Bernd Künzig

Er sei der Welt den „Tannhäuser“ noch schuldig geblieben. Das sagte Richard Wagner selbst über seine romantische Oper. Das Künstlerdrama um den mittelalterlichen Minnesänger, der hin und her gerissen ist zwischen dem Bordell des Venusbergs und der Liebe zur heiligen Elisabeth von Thüringen, überarbeitete Wagner nach der Dresdner Uraufführung für die Grande Opera in Paris – und löste damit den größten Theaterskandal des 19. Jahrhunderts aus. Am Badischen Staatstheater in Karlsruhe haben sich die Regisseurin Vera Nemirova und er Dirigent Georg Fritzsch an die Schuldeinlösung des anspruchsvollen Werks gemacht.

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Sinnsuche nach der Katastrophe

Ein Ereignis hat ein wüstes Loch in die schmucke Kassettendecke des Wartburg-Festsaals im Bühnenbild von Paul Zoller gerissen. Darunter sind Musikinstrumente zu Trümmerbergen gehäuft.

Vera Nemirova lässt in ihrer Inszenierung auf Sinnsuche nach der Katastrophe gehen. Zur Ouvertüre beten blumenbekränzte Mädchen inbrünstig. Unter dem hereingeschleppten Kreuz wird Bergung gesucht, religiöse Inbrunst kippt in erotische Lust.

Die Ouvertüre zum „Tannhäuser“ auf YouTube

Rausch wird Alltag

Die Liebesgöttin Venus verteilt mit Tannhäuser allerlei Rauschmittel. Das braucht sie eigentlich gar nicht. Der wunderbare Mezzosopran von Dorothea Spilger ist selbst schon ein erstklassiges musikalisches Narkotikum.

Der wunderbare Mezzosopran von Dorothea Spilger ist selbst schon ein erstklassiges musikalisches Narkotikum.

Singer-Songwriter Heinrich Tannhäuser ist diesem Alltag gewordenen Rausch dennoch überdrüssig und flieht. Und landet schließlich in der Renovierungsbaustelle des Festsaals. 

Die Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe (Foto: Pressestelle, Badisches Staatstheater Karlsruhe ©Felix Grünschloß)
Tannhäuser wird dem Rausch auf dem Venusberg überdrüssig.

Sängerkrieg mit Bierseidel

Erneut soll der Sängerkrieg stattfinden, ausgeführt von Minnesängern im weißen Dinnerjacket. Zum musikalischen Hit des Einzugs der Gäste werden Bierseidel gereicht. Ob darin das Radeberger Pilsener sprudelt, sei dahingestellt. Jedenfalls ein ironischer Verweis, wo die Kunst nach ihrem Untergang gelandet ist: bei der Bierwerbung.

Auch da büchst Tannhäuser wieder aus. Anstatt sich an die Regelsetzung des Wettbewerbs zu halten, improvisiert er über die sinnlichen Aspekte der Liebe und gesteht im Sündenpfuhl der Venus gebadet zu haben.

Die Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe (Foto: Pressestelle, Badisches Staatstheater Karlsruhe ©Felix Grünschloß)
Der Sängerkrieg wird in Vera Nemirovas Inszenierung ausgeführt von Minnesängern im weißen Dinnerjacket.

Das bringt selbst die ihn liebende Elisabeth als kunstfördernde Dirigentin zeitweise aus dem Takt. Sie rettet ihn vor dem lynchwütigen Kunstmob und schickt ihn auf Bußfahrt.

Bodenloser Abgrund im letzten Akt

Das alles ist Hinführung zum letzten Akt, der die ganze Wucht der Tragödie als Hymne an die Nacht entfaltet. Erschütternd schon das Vorspiel, zu dem Elisabeth unter den Pilgern vergeblich ihren Heinrich sucht und den Erschöpften doch Zuwendung gibt.

Die Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe (Foto: Pressestelle, Badisches Staatstheater Karlsruhe ©Felix Grünschloß)
Elisabeth (Pauliina Linosaari) sucht unter den Pilgern vergeblich ihren Heinrich.

Wenn der Elisabeth ebenfalls liebende Wolfram sie von ihrer unerfüllten Sehnsucht erlöst, zum Lied an den Abendstern in den Armen wiegt und schließlich erwürgt, dann wird es mit den Harfenakkorden und dem nach seiner misslungenen Bußfahrt doch noch zurückkehrenden Tannhäuser bodenlos abgründig.

Inszenierung eines musikalischen Wunders

Seine Romerzählung und die Zurückweisung der letzten Verführungsversuche durch Venus, treibt den nun auch schuldig gewordenen Wolfram in die Arme der Liebesgöttin.

Der Chor der jüngeren Pilger verkündet die Vergebung durch die höheren Mächte. Und dann gestattet sich Vera Nemirova tatsächlich das Bild eines musikalischen Wunders.

Die Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe (Foto: Pressestelle, Badisches Staatstheater Karlsruhe ©Felix Grünschloß)
In strahlendem Weiß erfährt Elisabeth ihre Auferstehung.

In strahlendem Weiß erfährt Elisabeth ihre Auferstehung, die liegengelassenen Instrumente werden aufgenommen und die Heilige der Kunst dirigiert eine „Musica Coelestis“, eine Himmelsmusik mit dem Schlusschor.

Ein sich bildmächtig steigernder Bogen

Das ist so naiv gläubig, wie atemberaubend schön: Ein sich bildmächtig steigernder Bogen, der eine dystopische Welt durch den Glauben an die höhere Macht der Kunst und Musik erlösen will.

Gewaltig steigert sich auch die Musik unter der Leitung von Georg Fritzsch. Gerät die Erotik des Venusbergs noch etwas asketisch, so gelangt die Badische Staatskapelle am Ende zu einem ekstatischen Klangwunder. Dazu wird wunderbar gesungen.

Am Ende gelangt die Badische Staatskapelle zu einem ekstatischen Klangwunder.

Überzeugende Sänger, perfekter Chor

Der nobel leidende Wolfram von Armin Kolarczyk wird zu Recht gefeiert. Pauliina Linnosaari als Elisabeth bietet eine große Wagnerstimme, gelegentlich flackernd, aber mit enormen Spitzentönen.

Die fordernde Partie des Tannhäuser steht Michael Weinius bestens durch, ohne ein großer Ausdeuter dieser zerrissenen Künstlerfigur zu sein. Perfekt der Chor. Ein musikalisch wie szenisch sehr gelungener Abend mit dem problematischen Kunstdrama Wagners.

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