Meterhoch türmen sich Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über der Ahr  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Boris Roessler)

Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss

Ungeschult und chaotisch: Kritik an ADD-Einsatzleitung nach der Ahr-Flut

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Dirk Rodenkirch
Dirk Rodenkirch  (Foto: ARD-Hauptstadtstudio/Jens Müller )

Im Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags haben Zeugen die ADD-Einsatzleitung nach der Flutkatastophe kritisiert. Sie berichteten unter anderem von chaotischen Zuständen.

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Die Zeugen schilderten die Verhältnisse wenige Tage nach der Flut, als die für den Katastrophenschutz zuständige Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) die Einsatzleitung übernommen hatte.

Ein Feuerwehrmann aus München sprach von einem ungenügend besetzten Verwaltungsstab. Der Mann war als Unterstützung für eine Woche in der Einsatzleitung in Bad Neuenahr-Ahrweiler im Einsatz. Die Ausstattung und Organisation dort hätten nicht dem Standard entsprochen, den er aus Bayern gewohnt sei.

Zeuge im Untersuchungsausschuss: "Unstrukturierte Lagebesprechungen und holprige Kommunikation"

Die Lagebesprechungen seien unstrukturiert gewesen und hätten dadurch viel Zeit gekostet. In der Zusammenarbeit zwischen Verwaltungsstab und Einsatzleitung habe es immer wieder Lücken gegeben. Eine seiner Feuerwehrkolleginnen aus Bayern berichtete: Ihrem Eindruck nach seien die Mitarbeiter des Verwaltungsstabes für die Aufgabe nicht geschult gewesen. Die interne Kommunikation sei holprig verlaufen.

Krisenmanagement der ADD: "Verbessungsvorschläge wurden ignoriert"

Zuvor hatten bereits Zeugen der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz in Bad Neuenahr-Ahrweiler die Situation im Führungsstab der ADD als chaotisch bezeichnet. Es seien keine grundlegenden Strukturen erkennbar gewesen, die Mitarbeiter hätten ungeschult gewirkt, sagte ein Referent der Akademie.

Verbesserungsvorschläge seien ignoriert worden. Die operative Verantwortung habe aus seiner Beobachtung allein bei ADD-Präsident Thomas Linnertz gelegen, eine Vertretung habe es nicht gegeben. Die ADD hatte die Einsatzleitung drei Tage nach der Flut vom Kreis Ahrweiler übernommen.

ADD lehnte Hilfsangebote der Akademie für Bevölkerungsschutz ab

Die Zeugen berichteten auch, dass die ADD damals Hilfsangebote der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz abgelehnt habe. Zu den Angeboten gehörte demnach die Beratung und Schulung von Mitgliedern des Verwaltungsstabs, berichtete der stellvertretende Akademieleiter Frank Meurer.

ADD-Präsident Linnertz und andere Mitarbeiter der Behörde hätten aber nur eine kurze Beratung für zwei Personen gewünscht, aber kein umfassendes Coaching oder personelle Unterstützung für den Führungs- oder Verwaltungsstab.

Experte im Untersuchungsausschuss zur Flut: "Chaosphase am Anfang ist üblich"

Für Meurer war es nach eigenen Angaben nicht überraschend, dass der Verwaltungsstab drei Tage nach der Flut noch nicht gut aufgestellt war. "Das ist üblich, dass es am Anfang eine Chaosphase gibt", so Meurer. Das habe ihn nicht verwundert, weil es sich um ein Extremereignis gehandelt habe.

In der täglichen Ausbildung an der Akademie für Bevölkerungsschutz in Bad Neuenahr-Ahrweiler erlebten er und seine Mitarbeiter, dass Verwaltungen wenig trainiert seien: "Verwaltungskrisenstabsarbeit wird nicht mehr trainiert." Die Akademie habe seit dem vergangenen Jahr aber deutlich mehr Zulauf.

Aufarbeitung der Flutkatastrophe U-Ausschuss: Auch ADD stellt Flut-Videos und Akten verspätet bereit

Die Landesbehörde ADD hat zugegeben, dass sie dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe ebenfalls Akten verspätet zur Verfügung gestellt hat. Darunter seien auch Videos der Polizeihubschrauberstaffel.

Der Nachmittag SWR1 Rheinland-Pfalz

CDU in RLP fordert Absetzung von ADD-Präsident Linnertz

Der Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss, Dirk Herber, wirft der ADD-Führung vor, weder personell noch strukturell auf eine Einsatzleitung vorbereitet gewesen zu sein. Herber forderte deshalb, ADD-Präsident Linnertz abzusetzen. Der stellvertretende SPD-Obmann Florian Maier sagte, der Ausschuss müsse Linnertz noch einmal die Gelegenheit geben, zu den neuen Äußerungen Stellung zu nehmen.

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Schon in der Vergangenheit hatten CDU und die Freien Wähler den Rücktritt des ADD-Präsidenten gefordert. Im Interview mit dem SWR-Politikmagazin Zur Sache Rheinland-Pfalz wollte sich Linnertz dazu nicht äußern. Er sehe seine Aufgabe darin, sich bei der Neustrukturierung des Katastrophenschutzes im Land einzubringen, sagte Linnertz. Die verspätete Aktenzulieferung bedaure er sehr. Da sei leider etwas schief gelaufen.

ADD auch wegen Vorgehen in der Flutnacht in der Kritik

Die Landesbehörde ADD ist während der Aufarbeitung der Flutkatastrophe schon mehrfach in die Kritik geraten. Zum einen gibt es den Vorwurf, die ADD hätte schon in der Flutnacht die Einsatzleitung im besonders betroffenen Kreis Ahrweiler übernehmen müssen. Zum anderen musste die Landesbehörde kürzlich eingestehen, dem U-Ausschuss 122 Videos von der Lage im Ahrtal und viele weitere Akten verspätet bereitgestellt zu haben.

Der Untersuchungsausschuss soll klären, welche Versäumnisse es bei der Flutkatastrophe Mitte Juli gab und wer dafür verantwortlich ist. Die Flut hatte in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 für verheerende Zerstörungen gesorgt, 135 Menschen starben alleine in Rheinland-Pfalz. Das Land hat die Zahl der Opfer zwei Jahre nach der Flut auf 136 korrigiert.

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