Die syrische Journalistin Luna Watfa berichtet vom weltweit ersten Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien

OLG Koblenz hat Weltrechtsprinzip angewendet

Luna und die Gerechtigkeit: ARD-Film über weltweit ersten Prozess um syrische Staatsfolter

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Im Januar 2022 ging in Koblenz der weltweit erste Prozess um Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien zu Ende. Am 24. Oktober zeigte die ARD, wie es zu diesem Verfahren kam.

Frühmorgens in Koblenz im Januar 2022. Die syrische Reporterin Luna Watfa steht im Morgengrauen vor dem Oberlandesgericht Koblenz (OLG), wartet gespannt auf ein wegweisendes Urteil. In wenigen Stunden wird das Gericht eine lebenslange Haft gegen den Hauptangeklagten, einen syrischen Geheimdienstmitarbeiter und Gefängniswärter, aussprechen. Der Prozess in Koblenz wird international beobachtet, es geht um Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

 "Was ist Gerechtigkeit, wenn es um die Ermordung von Menschen geht?", fragt einer der Nebenkläger, selbst ein Folteropfer, vor dem Gericht. Diese Frage treibt auch Luna Watfa um. Luna lebt und arbeitet seit ihrer Flucht aus Syrien ausgerechnet in dem Ort, wo der Prozess stattfindet. Sie ist keine Zeugin, sondern dokumentiert das Prozessgeschehen für syrischen Online-Seiten und Nichtregierungsorganisationen.

Koblenz

Erster Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz ARD-Dokumentation: Luna und die Gerechtigkeit

Im Januar 2022 ging in Koblenz der weltweit erste Prozess um Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien zu Ende. Am Mittwoch zeigt die ARD, wie es zu diesem Verfahren kam.

Nach ihrer Flucht aus Syrien lebt Luna in Koblenz

Aber der Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz wirft sie zurück in ihre eigene Vergangenheit. Sie war selbst in einem der berüchtigten Gefängnisse des syrischen Geheimdienstes inhaftiert, in dem die Taten begangen wurden, die in Koblenz verhandelt werden. Auch sie wurde im Gefängnis misshandelt.

2013 war sie in Damaskus verhaftet worden, als sie im Begriff war, im Rahmen ihrer journalistischen Arbeit Zeugen der Giftgasangriffe des syrischen Regimes zu interviewen. Nach 13 Monaten Haft kam sie frei und floh nach Deutschland.

Während des Prozesses in Koblenz werden eine Reihe von Zeugen befragt. Sie schildern, was ihnen die Wärter und Folterknechte angetan haben. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Friedhofes von Damaskus – er will anonym bleiben und wird deshalb nur Zeuge Z 30 genannt – schildert, wie ganze Lastwagen voller Leichen abgeladen wurden, die er begraben musste.

OLG Koblenz wendet erstmals weltweit Weltrechtsprinzip an

Fotos von Folteropfern werden im Gerichtssaal gezeigt. Dort stehen zwei Angeklagte vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, in einem Gefängnis gearbeitet zu haben, in dem tausende Regimekritiker gefoltert und hingerichtet wurden. "Wir versuchen die Wahrheit über die systematische Folter, die bis heute in Syrien angewandt wird, ans Licht zu bringen", sagt einer der Nebenkläger in Lunas Mikrofon.

Vor dem Koblenzer Oberlandesgericht soll geklärt werden, wie viel Verantwortung die beiden Angeklagten für die Taten haben. Luna ist eine der wenigen Journalisten, die den gesamten Prozess beobachten. Kaum ein Prozesstag findet ohne sie statt.

Luna will wissen, was "Gerechtigkeit" ist

Der Prozess weckt ihre journalistische Neugier. Sie besucht Zeugen und Opfer, spricht mit Anwälten, Angehörigen der Angeklagten. Denn sie will Antworten auf die Frage finden, was "Gerechtigkeit" für alle Beteiligten bedeutet. "Was hier heute in Koblenz geschieht, kann man als historisch bezeichnen", sagt einer der Anwälte, der die Opfer vertritt und den Luna interviewt. "Es kann aber nur ein Anfang sein, und es wird viele weitere Prozesse geben müssen."

An einem der Prozesstage trifft Luna eine ältere Frau aus Syrien, die mit dem Foto ihres Sohnes und ihres Mannes vor dem Gericht sitzt. "Beide wurden am 20. September 2012 festgenommen. Seither habe ich nie wieder etwas von ihnen gehört", erzählt sie der Reporterin. Auch ihr geht es um Aufklärung und um die Frage, wer für die Verbrechen die Verantwortung trägt: "Dass da einer vom Regime strafrechtlich verfolgt wird, ist so, als ob das ganze Regime vor Gericht stehen würde."

Am 13. Januar 2022 fällt das Oberlandesgericht Koblenz sein Urteil und verurteilt den Hauptangeklagten Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft. Sein Anwalt hatte als Verteidiger zuvor Freispruch gefordert.

ARD-Dokumentarfilm wird am Mittwoch im Ersten gezeigt

Lunas Geschichte ist im Dokumentarfilm "Luna und die Gerechtigkeit - Syrische Staatsfolter vor Gericht in Deutschland" am 26. Oktober 2022 um 22:50 Uhr Uhr im Ersten zu sehen. Er ist aber bereits ab 24. Oktober für 90 Tage in der ARD Mediathek abrufbar.

Der Dokumentarfilm von Luna Watfa & Adithya Sambamurthy ist eine Koproduktion von Tondowski Films im Auftrag von SWR und BR (gemeinsame Federführung) mit MDR/NDR/RBB/WDR. Der Film wurde gefördert von der Medienförderung Rheinland-Pfalz und hat sich im vergangenen Jahr beim 10. ARD Dokumentarfilm-Wettbewerb "TopDocs" durchgesetzt.

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SWR