SWR und Kulturamt Freiburg diskutieren zum Holocaust-Gedenktag (Foto: SWR, Chris Libuda)

Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

Gedenkveranstaltung im Freiburger Kaisersaal: Ende der Zeitzeugenschaft?

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Anita Westrup

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Zum Holocaust-Gedenken haben Kulturamt und SWR Freiburg ins Historische Kaufhaus eingeladen.

Am 27. Januar ist Internationaler Holocaust-Gedenktag - der Tag an dem das KZ Auschwitz-Birkenau befreit wurde. 78 Jahre liegt das Ereignis zurück und noch immer lassen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Erinnerung an die NS-Gräueltaten fast acht Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht verblassen. Doch die Ära der Zeitzeugen läuft aus. Bald wird es keine Überlebenden des Holocaust mehr geben. Wie kann die Erinnerung an den Holocaust wachgehalten werden, wenn es keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr gibt? Was muss geschehen, damit die Verbrechen der Nazizeit nicht in Vergessenheit geraten? Wie geht erinnern ohne Zeitzeuginnen und Zeitzeugen? Und wie bleiben ihre Erzählungen und Berichte digital präsent?

Rund 300 Menschen verfolgten die Diskussion im Kaisersaal (Foto: SWR, Chris Libuda)
Rund 300 Menschen verfolgten die Diskussion im Kaisersaal

Anlässlich des Jahrestags der Befreiung von Auschwitz haben das Kulturamt Freiburg und das SWR-Studio Freiburg am Donnerstagabend zu einer Gedenkveranstaltung ins historische Kaufhaus am Münsterplatz eingeladen. Rund 300 Menschen verfolgten die Diskussion auf dem Podium. Neben Oberbürgermeister Martin Horn waren auch die Zeitzeugin Ursula Gießler aus Freiburg und Julia Wolrab vom NS-Dokumentationszentrum zugegen, ebenso Miriam Bürer, die die gleichnamige Ausstellung "Ende der Zeitzeugenschaft?" mitkuratiert hat, sowie Petra Gaus und Julius Gromann vom Zeitzeugen-Projekt "Nemory". Die SWR-Journalistinnen Ulrike Liszkowski und Anita Westrup führten durch die Veranstaltung.

Im Gespräch mit Zeitzeugin Ursula Gießler aus Freiburg

Ursula Gießlers Familie hat die Schreckensherrschaft der Nazis überlebt, weil sie versteckt wurde. Sie wurde 1936 in Freiburg geboren als Tochter der zum Katholizismus konvertierten Jüdin Irmgard Gießler und dem katholischen Journalisten Rupert Gießler, dem Mitbegründer der Badischen Zeitung. Ihr Vater bekam wegen der Heirat mit einer Jüdin Berufsverbot. Als ihnen 1944 akut Verfolgung drohte, flohen die Eltern und ließen die Tochter von Grete Borgmann, einer Freundin der Familie, mit dem Fahrrad ins Kloster nach Stegen (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) bringen, wo Pater Middendorf sie ins Kinderheim aufnahm. Ein, zwei Wochen später versteckte er auch ihre zurückgekehrte Mutter auf dem Klosterareal, der Vater kam regelmäßig zu Besuch. Dort überlebten sie bis Kriegsende. Middendorf hatte in Stegen noch andere Juden versteckt und wurde später als "Gerechter unter den Völkern" geehrt.

"Der Pater Middendorf war einfach wunderbar. Und wenn meine Mutter Angst hatte, hat er immer gesagt, es passiert nichts, über meine Schwelle kommt niemand."

Vortrag zur Ausstellung "Ende der Zeitzeugenschaft?"

Dass Zeitzeugen so wichtig für die Aufarbeitung des Holocaust sind, war nicht immer so. Die Geschichte der Zeitzeugenschaft und ihre gesellschaftlichen Rollen hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert - von Augenzeugen direkt nach der Befreiung der NS-Konzentrationslager, über Tatzeugen in den NS-Prozessen, bis hin zu Zeitzeugen bei Gedenkfeiern, in Film-Dokumentationen oder in Klassenzimmern. Diese Entwicklung thematisiert die Wanderausstellung "Ende der Zeitzeugenschaft?". Die Schau wurde in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg (Bayern) in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Hohenems konzipiert. Die Kulturwissenschaftlerin Miriam Bürer hat die Ausstellung mitkuratiert.

SWR-Moderatorin Ulrike Liszkowski im Gespräch mit Ursula Gießler (Foto: SWR, Chris Libuda)
SWR-Moderatorin Ulrike Liszkowski im Gespräch mit Ursula Gießler

Zeitzeugen-Interviews im Freiburger NS-Dokuzentrum

Auch im neuen NS-Dokumentationszentrum in Freiburg, das im Frühling nächsten Jahres eröffnen soll, werden Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen eine wichtige Rolle spielen. In Zusammenarbeit mit dem SWR Studio Freiburg sind bereits einige Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus Freiburg und Umgebung realisiert worden. Ausschnitte aus den Interviews wurden am Donnerstag präsentiert und von der Leiterin des NS Doku-Zentrums, Julia Wolrab, kommentiert. In der achtminütigen Collage kommen mehrere Zeitzeugen-Generationen zu Wort, die während der NS-Diktatur in der Colombistraße 11 in Freiburg lebten und/oder dort arbeiteten. Bis sie verfolgt und vertrieben wurden.

Freiburg

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Generationenübergreifendes Zeitzeugen-Projekt "Nemory"

Sozialarbeiterin Petra Gaus und Schüler Julius Gromann sprachen über das theater- und filmpädagogische Projekt "Nemory" (2021). Der Titel lehnt sich an das englische Wort "Memory", zu Deutsch Gedächtnis oder Erinnerung an. Bei dem Projekt sind Schülerinnen und Schüler mit älteren Menschen im Wohnstift Rabenkopfstraße in Freiburg ins Gespräch gekommen. Es ging um die Kindheitserinnerungen der Seniorinnen und Senioren an die Zeit des Nationsozialismus. Die Gespräche wurden gefilmt. Außerdem ist eine Bühnenperformance daraus entstanden.

Digitales Erinnern: Hologramme, Instagram, TikTok

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen persönlich zu erleben – ist unersetzlich, aber Medien können helfen, ihre Erinnerungen am Leben zu halten. Eine Chance bieten zum Beispiel Hologramme. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden mit Kameras dreidimensional aufgenommen. Anschließend erscheinen sie als lebensgroße, interaktive 3D-Projektionen – der virtuelle Zeitzeuge spricht als Avatar. Ein Phänomen aus den USA (University Southern California) – das mittlerweile auch schon in Deutschland angekommen ist. Im Februar soll das Hologramm von Kurt Maier in der Deutschen Nationalbibliothek eingeweiht werden. Kurt Maier aus Kippenheim (Ortenau) wurde als 10-Jähriger mit seiner Familie nach Gurs deportiert, in letzter Minute gelang der Familie die Ausreise nach Amerika.

Das frühere KZ Mauthausen ist zum Beispiel auf der Plattform TikTok aktiv. In kurzen Hochkantvideos werden Führungen oder persönliche Gegenstände von Verfolgten gezeigt. Auch auf Instagram gibt es verschiedene Projekte zum Thema Holocaust. "IchbinSophieScholl" vom SWR und BR hat die letzten zehn Monate der Widerstandskämpferin Sophia Scholl in Form von Stories und Memes nacherzählt. Dabei handelte es sich um Fiktion, die sich allerdings an wahren Begebenheiten orientiert hat. Solche Versuche, junge Menschen auf Plattformen wie Instagram oder TikTok für den Holocaust zu interessieren, sind umstritten. Kritiker sprechen zum Einen von Geschichtsverfälschung oder sehen zum Anderen darin eine Gefahr der Manipulation von Videos durch Holocaust-Leugner.

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Anita Westrup