Sie sind jung, hochprofessionell und kommen hauptsächlich aus Osteuropa. Von klein auf werden sie offenbar zum Taschendiebstahl erzogen. Sie stehlen, um die Familie zu versorgen. Dabei führen sie anscheinend ein Doppelleben. In der Heimat leben sie einen hohen Lebensstandard mit Goldschmuck und körperhohen Hochzeitstorten. Wenn sie für wenige Monate in europäischen Städten wie Heidelberg stehlen, leben sie unter ärmlichen Bedingungen. Dieses Täterprofil präsentierten Polizei und Staatsanwaltschaft Heidelberg am Montag bei einer Pressekonferenz.
Polizei und Staatsanwaltschaft Heidelberg: Konsequent gegen Taschendiebstahl
Gemeinsam wollen die Ermittler bundesweit agierenden Taschendieben das Handwerk legen. Der sogenannte "Arbeitsbereich unbarer Zahlungsverkehr" (bis 2019 Ermittlergruppe) hat sich darauf spezialisiert. Der Erste Staatsanwalt Jonathan Waldschmidt sagt, ihm sei keine andere Dienststelle bekannt, die mit diesem Engagement und Ausmaß vorgehe.
Wenn wir nur die Taten bearbeiten würden, für die wir tatsächlich zuständig sind, dann würden wir im Zweifelsfall jeweils nur einen kurzen Strafbefehl schreiben.
Das Heidelberger Modell: Sammelverfahren statt Einzelklagen. Das heißt: Sie bündeln beispielsweise 200 Einzelvergehen aus ganz Deutschland. Damit drohen den Tätern Haftstrafen statt Geldstrafen. Ihre Erfolgsbilanz: Seit 2020 gelang es ihnen so, in 16 Verfahren 20 Täter zu verurteilen, denen zusammen 500 Straftaten zur Last gelegt wurden. Über 50 Jahre an Freiheitsstrafen wurden verhängt.

Die Täter: Jung, professionell und aus Osteuropa
Polizeihauptkommisar Joachim Eppler ist der Mann, der den Taschendieben im Nacken sitzt. Seit zehn Jahren ermittelt er mit Kollegen. Dafür durchforstet er polizeiliche Bilddatenbanken, analysiert aktuelle Diebstähle und führt Durchsuchungen deutschlandweit durch. Viele Täterinnen hat er beispielsweise im saarländischen Völklingen gefunden, wo sie unter ärmlichen Bedingungen lebten. Warum genau dort, ist unklar. Sie kommen in Untersuchungshaft - jegliche sichergestellten Beweismittel übergibt Eppler an die Staatsanwaltschaft.
Ich bin noch bis August 2029 im Dienst, und mein persönliches Ziel ist es, bis dahin 100 Jahre Freiheitsstrafe an Taschendiebe zu verhängen
Geldstrafen schrecken Taschendiebe offenbar nicht ab
Die Heidelberger Behörden sind sich sicher, dass es sich nicht um "Gelegenheitsdiebstahl" handle, sondern man es mit organisierter Kriminalität zu tun hat. Die Tätergruppen wechselten ihre Namen, um bei Kontrollen nicht negativ aufzufallen. Sie reisten ständig und agierten in allen Bundes- und Nachbarländern. Laut Eppler kommen sie hauptsächlich aus Bulgarien, gefolgt von Rumänien und Bosnien.
Eppler erklärt auch, dass die Männer den organisatorischen Part übernehmen und die jungen Frauen herumfahren. Oft seien die Täterinnen ungebildet, könnten weder richtig lesen noch schreiben. Sie sähen keinen anderen Ausweg als Stehlen, um zu überleben.

Erster Staatsanwalt Tobias Schmidt erinnert sich an einen Fall, bei dem eine Täterin sogar vom familiären Druck sprach und sie aussteigen wollte. Fraglich ist laut Schmidt, wie taktisch so eine Aussage - so wie Tränen bei Gericht - eingesetzt werden. Denn die Generationen wachsen nach. Bei einer jungen Angeklagten stellten die Beamten ein Video sicher, auf dem ihre kleine Tochter gut gelaunt mit dem Opa "spielt": Geldbeutel aus der Hosentasche ziehen.
Ziel: Mehr Menschen für Taschendiebstahl sensibilisieren
Taschendiebe sollen sollten der Beamten weniger auf Weihnachtsmärkten aktiv sein, sondern im Alltag - dann, wenn man unachtsam ist. Eine Vielzahl der Geschädigten sind ältere Menschen. Zum Diebstahl selbst kommt dann oft auch Computerbetrug hinzu, wenn zum Beispiel die Täter mit den erbeuteten Karten mehrfach Geld abheben. Daher appellieren die Behörden, nie den PIN der EC-Karte im Geldbeutel aufzubewahren.
Polizeihauptkommisar Eppler vermutet, dass der zunehmend bargeldlose Geldverkehr zu einem Rückgang von Taschendiebstählen führen könnte. Bis dahin wollen er und seine Kollegen neben der Täterfahndung auch Präventionsarbeit leisten. Wie zum Beispiel mit der Aktion "gelbe Hand", bei der die Beamten Passanten einen Flyer mit Infos zum Taschendiebstahl unbemerkt zustecken, ohne dass die es merken. Wie Diebe, nur umgekehrt.