Nach wie vor finden in Baden-Württemberg Demonstrationen von Impfgegnern und Anhängern der "Querdenken"-Bewegung statt. Dabei ist zu beobachten: Immer häufiger werden diese Proteste für andere Themen instrumentalisiert. Als am Samstag in Reutlingen gegen die Impfpflicht in Pflegeberufen demonstriert wurde, konnte man auf Schildern und Plakaten aber auch Botschaften zu anderen Themen wie Affenpocken oder dem Ukraine-Krieg lesen.
Auch auf der Homepage von "Querdenken711" wird deutlich, dass sich die Szene neue Themen sucht. So wird dort den Medien eine Abhängigkeit von der Politik unterstellt und die Gruppierung unterstützt pro-russische Kriegspropaganda und schürt Panik vor weiteren Einschnitten durch scheinbar übergriffige Corona-Maßnahmen.
Strobl: "'Die Bewegung hat den Raum der demokratischen Grundordnung verlassen"
Die Anzahl der Demonstrierenden gegen die Corona-Maßnahmen ist laut Polizei in den letzten Monaten zurückgegangen. Aber gleichzeitig radikalisiert sich der zurückbleibende Kern. Eine Entwicklung, die der Verfassungsschutz bereits Ende vergangenen Jahres auch unter Anhängern von "Querdenken 711" beobachtet hat. "Inzwischen geht es aber um eine immer aggressiver werdende Ablehnung unserer Demokratie und unseres Staatswesens," erklärt Innenminister Thomas Strobl (CDU) dem SWR. Die Querdenken-Szene bleibe gefährlich, auch wenn sich die Themen, die die Szene behandelt, verändern würden.
"Es werden insbesondere Feindbilder aufgebaut, es werden Notwehrsituationen konstruiert und es wird gleichsam zu Widerstand gegen den Staat aufgerufen," so Strobl weiter. Damit würde die "Querdenken"-Bewegung den Raum der demokratischen Grundordnung verlassen und sich gegen diese richten. Inzwischen werden alle Themen instrumentalisiert, aktuell vor allem die Themen Affenpocken und der Krieg gegen die Ukraine. "Die russische Propaganda wird zum Teil eins zu eins von 'Querdenken' übernommen", sagt Stobl.
Menschen bewegen sich in geschlossenen Kommunikationssystemen
"Es geht um Themen, über die man sich empören kann", beobachtet der Politikberater Erik Flügge. "Querdenken hat es geschafft, einen Teil von Menschen in geschlossene Kommunikationssysteme zu kriegen." Oftmals finde diese Kommunikation dann in Telegram-Gruppen statt - meist unter dem Motto "alle Medien lügen, außer wir selbst". Diese Menschen könne man beliebig beeinflussen, "wenn sie diese an einen Punkt bekommen haben, dass sie nur noch ihnen glauben und keinen anderen neutralen Medien mehr".
Der Lösungsansatz von Erik Flügge: Es braucht mehr unabhängige Nachrichten an öffentlichen Plätzen. Zum Beispiel in Bahnhöfen, Zügen und Straßenbahnen. "So wie wir es an Straßenbahnhaltestellen kennen, wo man Nachrichten lesen kann." Dies sei ein Weg, mögliche Manipulationen durch Falschinformationen aufzubrechen.